Auswärtsspiel des Lebens

Eigentlich wollten wir nur Champions League schauen. Was sich dann aber in Manchester abspielte, hätten wir nie gedacht. Der ganz subjektive Bericht eines MitGedacht.-Autors. Über geföhnte Socken, Buchungswahnsinn und das wohl verrückteste Auswärtsspiel.

Irgendwie muss ich immer wieder an diesen einen Dialog am Dienstagnachmittag zurückdenken! Unsere Reisegruppe saß in ganz entspannter Atmosphäre in einem Pub mitten in Manchester. Dem Unicorn-Pub, seit vergangenem Dezember fast so etwas wie unser Wohnzimmer in Manchester. Vor uns ein paar Tageszeitungen und fünf Pints.

„Ich fürchte, an dieses Auswärtsspiel wird sich bald sowieso niemand mehr erinnern können“, so ein Mitfahrer. Ein anderer: „Das wird so wie damals beim zweiten Mal in Sevilla. Für die, die da sind, super! Aber das Spiel kannste knicken!“ Klar, auch ich dachte ähnlich. Erst vor ein paar Monaten waren wir hier gewesen. Viele Gladbacher waren gar nicht erst nach Manchester gekommen. Epochal würde dieses Spiel wohl nicht werden.

Pustekuchen! Keine sieben Stunden später stand ich in einer Pfütze vor dem Stadion – knöcheltief wohlgemerkt. Mitten drin im möglichen Auswärtsspiel des Lebens!

Am frühen Dienstagabend waren wir bei sonnigem Wetter zum Treffpunkt der Fanszene gegangen, hatten dort noch das eine oder andere Bierchen getrunken. Die üblichen Gesichter, der harte Kern. Hier ein „Hallo“, da ein „Wie geht’s?“. Schnöder Auswärts-Smalltalk, der international ja doch immer mehr Spaß macht. Anschließend zogen wir gemeinsam mit ca. 1000 Borussen zum Stadion. Was für ein dezimierter Haufen im Gegensatz zum Auftritt im Dezember.

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Dennoch hatte der Marsch irgendwie was. Über allem lag eine entspannte Atmosphäre. Die Fanbetreuer wurden von den gleichen Polizisten wie beim letzten Gastspiel begrüßt, bekamen Lob für die Bilder aus Bern. Die Polizei ließ uns machen. Angeblich feierte der eine oder andere Sicherheitsbeamte unseren Auftritt sogar hinter vorgehaltener Hand ab. Bis zum Stadion war es das fast perfekte Auswärtsspiel. Bis zur Ankunft.

Die Stadiontore waren noch nicht geöffnet. Der gleiche Scheiß wie damals! Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch kurz vor Öffnung der Tore. Mein Gegenüber sagte zu mir: „Lass uns mal unterstellen. Gleich regnet es!“ Ich lachte, schaute gen Himmel, hielt die Hände aus – wie man es so tut, wenn man versucht, Regen zu fühlen. Ein paar Tropfen.

Plötzlich watest du durch Wassermassen

Dann das Unfassbare: Innerhalb von einer Minute schüttete es wie aus Kübeln. „Der Himmel öffnet seine Pforten” – ich habe glaube ich noch nie erlebt, dass dieser altbackene Satz derart zutrifft. Mit ein paar Leuten sprinteten wir in einen in der Nähe stehenden Bus. Anschließend: Warten, warten, warten. Und mit jeder Minute die Gewissheit: Das ist kein normaler Regen. Nach 45 Minuten hatten wir genug. Die schlappen 50 Meter vom Bus zum Eingang könnten wir doch bestimmt ohne Probleme per Sprint zurücklegen. Also raus aus dem Gefährt und ab Richtung Block. Das deprimierende Ergebnis: Ich bin noch nie so nass geworden!

Die Kontrollen am Eingang hatten die Ordner größtenteils eingestellt. Dennoch stand das Wasser beim Einlass schon so hoch, dass wir die letzten Meter – zwischen provisorischem Abtasten und Eingang – durch eine knöcheltiefe Pfütze zurücklegen mussten. Wie irre! Da stehst du in Manchester, willst eigentlich nur City gegen Borussia sehen und watest plötzlich durch Wassermassen.

Im Stadion angekommen eilte ich auf die Toilette. Viele andere Borussen schienen denselben Plan zu haben. Und so standen wir in einer Reihe und föhnten Schuhe, Hosen, Socken. Die T-Shirts zogen wir aus. Ganz ehrlich: Alles andere hätte auch keinen Sinn ergeben! Ich war bis auf die Unterhose nass. Immerhin: Meine Tasche hielt halbwegs. Andere verzweifelte Borussen fischten aufgeweichte ihre Karten oder defekte Handys aus ihren Hosentaschen!

Wenige Minuten später verrückte Bilder vor dem Stadion: Hunderte klatschnasse und frierende Borussen standen in Kleingruppen diskutierend zusammen, fast jeder ein Handy in der Hand, fast jeder wild darauf herumtippend. Dazwischen immer wieder Offizielle oder Busfahrer, die zu vermitteln versuchten. Buchungswahnsinn wie sonst nur bei Gruppenauslosungen, nur eben mit noch mehr Zeitdruck.

Die Stimmung im Block war vergleichsweise gut. Irgendwie musste man das ja auch mit Humor nehmen: Abends oberkörperfrei bei 18 Grad in Manchester! Erste Gesänge. „Es kommt die Zeit…“ Wir waren uns sicher: „Es kommt auch die Zeit, in der das Spiel beginnt. Ganz sicher!“ Doch da hatten wir die Rechnung ohne den Wettergott, die Sicherheitsbehörden und Björn Kuipers gemacht. Um 19.28 Uhr nach diversen Gerüchten der Schock: Ein lauter Gong, eine Durchsage. Abgesagt! Na toll.

Anschließend nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Die City-Verantwortlichen wollten uns schon aus dem Block schicken, als die Mannschaft auf den Platz kam. Anschließend Gänsehaut-Momente pur! Die Mannschaft feierte uns, wir die Mannschaft. Sogar André Schubert traute sich – eigentlich untypisch für unseren Trainer – nah an den Block. Zuversicht stieg in vielen Fans auf. Mit diesem Zusammenhalt würden wir es dann halt am nächsten Tag angehen.

Fragen über Fragen nach der Absage

Wenige Minuten später verrückte Bilder vor dem Stadion: Hunderte klatschnasse und frierende Borussen standen in Kleingruppen diskutierend zusammen, fast jeder ein Handy in der Hand, fast jeder wild darauf herumtippend. Dazwischen immer wieder Offizielle oder Busfahrer, die zu vermitteln versuchten. Buchungswahnsinn wie sonst nur bei Gruppenauslosungen, nur eben mit noch mehr Zeitdruck. Die Fragen überall die gleichen: Wer kann bleiben? Wer muss zurück? Bekomme ich noch frei? Wo gibt’s den günstigsten Rückflug? Wo die beste Unterkunft? Wie kommen wir zurück vom Flughafen in unseren Heimatort?

Unsere Reisegruppe musste sich – wie so viele andere – trennen. Zwei Jungs traten deprimiert den angepeilten Rückflug an, drei blieben in Manchester. Flüge bekamen wir für den Donnerstag und 55 Euro nach Eindhoven, ein Hostel in Manchester gab’s für 20 Euro. Alles noch im Rahmen für dieses ganz besondere Spiel. Gegen kurz nach elf Uhr war fast alles geklärt – auch weil die ersten Reisebusse nun, aufgrund der Lenkzeiten der Fahrer, aufbrechen mussten.

Wir gingen nach Hause, nicht ohne die eine oder andere weitere Pfütze mitzunehmen. Spät am Abend stießen vier weitere Jungs zu uns dazu. Sie waren unterkunftslos durch die Stadt geirrt, hatten irgendwann verzweifelt einen Bekannten aus unserer Gruppe angerufen. „Habt ihr einen Platz frei?“ „Klar, ihr müsst auf dem Boden pennen.“ „Kriegen wir hin!“ Auch das ist Borussia!

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Was ich genau am nächsten Morgen beim Aufwachen gedacht habe, weiß ich nicht mehr. Es muss aber irgendwie so etwas gewesen sein: „Meine Güte, was war das denn? War das wirklich real oder habe ich das geträumt?“. Ziemlich schnell realisierte ich aber, dass nur erste Möglichkeit infrage kam: In der eigentlich für fünf Personen ausgelegten Airbnb-Wohnung pennten neun Jungs. Irgendwie zusammengepfercht auf dem Boden. Kurz war ich amüsiert, dann motiviert. Das würde unser Spiel werden.

Nach kurzem Frühstück und einer warmen Dusche zogen wir um: Aus der Wohnung in ein Hostel. Kurz das Zimmer bezogen, dann ab in die Stadt zum Treffpunkt. Manchester wirkte etwas verschlafen. Von Regen keine Spur, es schien sogar die Sonne. Borussen entdeckten wir kaum. Erst in den Straßen rund um den Treffpunkt an der Sinclair‘s Oyster Bar sahen wir die ersten bekannten Gesichter. Rund um die Lokalität hatte sich eine kleine, illustre Runde zusammengefunden. Viele Allesfahrer, aber auch einige eher unbekannte Fans.

Einige übernachteten im Auto, andere duschten im Schwimmbad

Schnell hörten wir die ersten lustigen Geschichten. Einige Fans hatten in Autos, andere im Bahnhof gepennt. Viele Borussen hatten sich morgens in der Stadt mit neuen Klamotten eingedeckt, weil ihre Sachen noch nicht trocken geworden waren. Einige ganz Kreative hatten sich kein Zimmer gebucht, sondern zahlten stattdessen morgens den Eintritt in einem Schwimmbad, um sich frisch zu machen. Trotz aller Widrigkeiten war die Stimmung aber, keine 24 Stunden nach dem wohl krassesten Unwetter der letzten Jahre in Manchester, sehr gut.

Ohnehin habe ich selten so eine entspannte Atmosphäre vor einem Auswärtsspiel erlebt. Etwa 150 Fans saßen zusammen, quatschten, hörten Musik, tranken Bier. Den gewievten Auswärtsfahrer erinnerte das alles irgendwie an den Trip nach Zypern. Wobei Manchester eigentlich noch mal intimer, weil kleiner war. Auch die Vereinsführung schaute auf ein Getränk vorbei. Wobei wir das auch erwartet haben. Genau wie eine kleine Geste an uns Fans, wie beispielsweise die Zurückerstattung der Karten. Ganz ehrlich: Für mich selbstverständlich. Borussia kann stolz auf seine Fans sein und schmückt sich schließlich auch damit. Da kann man auch mit einem kleinen Entgegenkommen rechnen.

Der Spieltag selber verlief weitestgehend ruhig und entspannt. Knapp drei Stunden vor dem Spiel liefen wir gemeinsam in Richtung U-Bahn, mit der es dann in Richtung Stadion ging. Kurze Umrundung der Arena, die für mich von außen weiter zu den hässlicheren gehört, in denen ich war. Drinnen dann eine Überraschung: Max Eberl hatte es sich angeblich nicht nehmen lassen, im Block „Hallo“ zu sagen. Laut Berichten anderer Fans stand er plötzlich grinsend im Block, schüttelte fleißig Hände und ließ sich geduldig mit allen möglichen Fans fotografieren. Feine Geste, Herr Eberl!

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Zum Spiel selber möchte ich an dieser Stelle aus bekannten Gründen nur wenig schreiben. Was für ein Desaster! Natürlich kann Borussia gegen einen Gegner wie Manchester City verlieren. Und natürlich auch 0:4. Aber nicht derart sang- und klanglos, ohne Kampf und ohne Leidenschaft. Ebenfalls sehr enttäuschend (trotz allem Verständnis über die Enttäuschung der Profis): Die Mannschaft kam nach dem Spiel nicht wirklich nah zu den Fans. Sorry, aber aufgrund der widrigen Umstände für viele Fans unverständlich!

Denn gerade wir Fans haben aus meiner Sicht die beste Leistung des Tages gebracht. Die 300 Jungs und Mädels gingen wirklich hoch motiviert zu Werke. Wir versammelten uns im Unterrang – direkt neben dem Spielfeld. Einen koordinierten Support gab es nicht, das hatte aber auch Charme. So hatte das Ganze ein bisschen „Oldschool-Feeling“ – inklusive toller Pöbeleien gegen gegnerische Spieler bei Ecken. Das hat doch auch mal was!

„Ich fürchte, an dieses Auswärtsspiel wird sich bald sowieso niemand mehr erinnern können!“ Noch einmal muss ich an den Satz eines unserer Mitfahrer vom Dienstagmittag zurückdenken. Mittlerweile sind wir über Eindhoven wieder zurück in Deutschland. Ich sitze auf dem Weg in meine Studienstadt und schreibe diese Zeilen. Natürlich war dieses Auswärtsspiel doch etwas besonders. Und natürlich wird sich jeder in ein paar Jahren auch noch daran erinnern. Für mich war es definitiv sehr speziell. Vielleicht ja sogar das Auswärtsspiel meines Lebens.

Fotos zu diesem Beitrag: Facebook/Borussia, MitGedacht.

9 Gedanken zu „Auswärtsspiel des Lebens

  • 15. September 2016 um 18:27
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    Und dieser Moment, wenn du in der Uni sitzt und nur am Beten bist, dass du es pünktlich vor den Fernseher schaffst, das Spiel nach hinten verschoben wird und du das Jubeln im Vorlesungssaal unterdrücken musst. Aus der Uni raus und Spielabsage… wie gern wäre ich trotz des 0:4 in Manchester gewesen…

    Aber mal wieder ein Artikel mit Gänsehautfeeling… wie eigentlich jeder Artikel von Euch 🙂

    Liebe Grüße aus Mannheim,
    Eva :)!

    Antwort
  • 16. September 2016 um 9:26
    Permalink

    TOLL GESCHRIEBEN ALS WÄRE MAN SELBST DABEI GEWESEN ‼️
    HABE AM ENDE ERST EINMAL NACHGESCHAUT OB MEINE SOCKEN AUCH NASS SIND ????

    BESTE GRÜSSE VOM SCHÖNEN NIEDERRHEIN
    CLAUS

    Antwort
    • 16. September 2016 um 17:14
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      Wir hoffen, sie waren noch trocken! Grüße, die vier MitGedacht.’ler

      Antwort
  • 16. September 2016 um 9:40
    Permalink

    Wirklich schön geschrieben. Dafür gebe ich eine “2” plus!!

    Antwort
    • 16. September 2016 um 17:12
      Permalink

      Danke! Nächstes mal arbeiten wir dann am “sehr gut minus”. Grüße, die vier MitGedacht.’ler

      Antwort
  • 16. September 2016 um 11:42
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    …und Max E. hat doch jedem Fan die Hand gegeben. Er ist im Block durch jede Reihe . Ihr wart einfach zu spaet.
    Es als Selbstverstaendlickeit zu erachten, eine Erstattung zu erhalten, halte ich fuer anmassend. Persoenliches Risiko und hoehere Gewalt.
    Da 1:0 fiel zu frueh. Der Gegner war haushoch überlegen.Gedanklich und physisch schneller. Ein Vorwurf mache ich dem Trainer….nicht gleich defensiver begonnen zu haben…4 5 1….dann kannste mit Kamof was reissen. Aber nachher ist man immer schlauer. Was soll’s, wir ains Gruppendritter und qenn einer eine Reise tut…kann er was erzaehlen.

    Antwort
    • 16. September 2016 um 17:11
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      Moin Shalakai. Wir wollen gerne zu deiner Kritik Stellung nehmen!

      Egal wer wann in den Block gekommen ist: Max Eberl hat nicht – wie bspw. Donnerstag in Kicker und Bild noch einmal prominent behauptet – allen 300 Fans die Hand geschüttelt. Das ist ja auch keine Kritik an Eberl (der muss irgendwann qua UEFA-Protokoll eh wieder im Innenraum sein), sondern eine Beobachtung der schnell übereifrigen Berichte einiger Journalisten!

      Zu deiner Kritik an unserer Sichtweise der Karten-Rückzahlungen: Feiner Zug des Vereins, klar! Wir haben aber eine kleine Entschädigung erwartet. Borussia ist ein riesiges Unternehmen mit Millionen-Gewinnen, das sich seit jeher volksnah zeigt. Da war mit einem kleinen Dank an die angereisten Fans zu rechnen, die teilweise noch einmal Unsummen drauf gezahlt haben, um ihre Borussia auch einen Tag später nicht alleine spielen zu lassen. Unsere Meinung!

      Auch im letzten Punkt gehen wir nur teilweise mit Dir: Die Kritik am Trainer ist berechtigt! Unsere an der Einstellung der Spieler aber auch! Sorry, aber gegen so eine Niederlage kann man sich mehr wehren. Und im Anschluss wenigstens noch einmal anständig Danke sagen bei 300 hartgesottenen Fans, die noch einmal extra draufgezahlt haben, neu Urlaub nehmen mussten oder möglicherweise sogar Studium/Arbeit geschwänzt haben.

      Viele Grüße, die vier MitGedacht’ler

      Antwort
  • 16. September 2016 um 12:25
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    Klasse Bericht, vor allem schreibt mal einer ehrlich über das “sang- und klanglose Untergehen” unserer emotionslosen Kicker. Wenn das auswärts so weitergeht, werden wir zur Lachnummer Europas. Für mich unerklärlich, dieses lasche und unorganisierte Spiel gegen Ball und Gegner – das reicht nicht mal für die 2.Liga.
    Wenn ich die Motivation und die Einsatzbereitschaft der Borussia-Fans anschaue, ist das ein Beispiel für die müden Kicker und den “scheinbar” planlosen Trainer.

    Antwort
  • Pingback: Europa-Auswärtstour: Traum von Manchester. - MitGedacht.

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