Borussias erster Corona-Spieltag: Ist das der Fußball, den wir lieben?

Der Re-Start der Bundesliga scheint weltweilt für Jubelstürme zu sorgen. Hat die Bundesliga mit ihrer Entscheidung die Welt zu glücklicheren Menschen gemacht? Drei MitGedacht-Autoren blicken aus ihrem ganz besonderen Blickwinkel auf Borussias-Auswärtssieg in Frankfurt. Borussias erster Corona-Spieltag aus drei Perspektiven.

Blickwinkel 1: 22 Menschen, die einem Ball hinterherlaufen

Dass meine Borussia schon nach sieben Minuten 2:0 in Frankfurt führte, erfuhr ich kurz vor Ende der ersten Hälfte über den Liveticker. Denn während des Spiels ging ich mit Freunden spazieren, trank ein paar Bier und genoss die frische Luft. Borussias Spiel passte nicht in meinen Zeitplan. Schließlich sind in den letzten Wochen corona-bedingt neue Routinen entstanden. Nichts Ungewöhnliches also?

Doch! Denn wenn ich gemeinsam mit meinem Freundeskreis oder der Familie Pläne mache, schaue ich immer zuerst: Wann und wo spielt Borussia? Im Normalfall plane ich sorgfältig um diese Spiele herum. Es gab schon so einige Termine, die ich sausen ließ.

„Ungefähr zwölf Stunden Zugfahrt an einem Tag, um 22 Menschen 90 Minuten dabei zuzusehen, wie sie einem Ball hinterherlaufen – wieso machst Du das?“ Diese Frage hörte ich häufig. Die Antwort ist eng damit verbunden, warum Borussias erster Corona-Spieltag mich nicht dazu brachte, ich meine Pläne zu ändern.

Ich konnte stets verstehen, wieso viele Menschen nicht ansatzweise nachvollziehen können, wieso Fans so etwas machen. Dass sie es aber machen, fasziniert mich bis heute.

Als Kind spielte ich viel Fußball, begeisterte mich aber ebenso für Sportarten wie Basketball, Handball oder Tennis. Aber Fan eines Teams war ich so richtig nie. Bis ich mein erstes Spiel auf dem Bökelberg sah. Das packte mich. Menschenmassen, die mit dem Spiel hin und her wogen und einen zweiten Wettstreit neben dem Spiel auf dem Rasen austrugen. Das war unberechenbar und gab es in dem Maße nur beim Fußball. Deshalb wurde ich Fußballfan. Später kamen dann die Fahrten oder sogar Flüge zu den Auswärtsspielen dazu. Manchmal sehr lange Reisen mit den immer gleichen Gesichtern.

Ich konnte stets verstehen, wieso viele Menschen nicht ansatzweise nachvollziehen können, wieso Fans so etwas machen. Dass sie es aber machen, fasziniert mich bis heute. Und ich werde wehmütig, dass das im Moment nicht geht. Denn ohne all das, ist Fußball für mich dann irgendwie doch nur ein Sport, bei dem 22 Menschen 90 Minuten einem Ball hinterherlaufen. Das werde ich mir in den kommenden Wochen sicher mal anschauen. Aber es reicht nicht, um meine Pläne danach auszurichten.


Emtionen zeigten die Spiele sehr wohl, vor die Fernseher übertragen wurde diese bei unsere Redakteuren nur sehr selten (Photo by Michael Probst/Pool via Getty Images).

Blickwinkel 2: Familie und Auswärtssiege sind eine überzeugende Kombination

Grillen mit der Familie – das war also der Plan für den ersten Bundesliga-Spieltag seit mehr als zwei Monaten. Zum Auftakt nebenbei ein bisschen die Konferenz inklusive Revierderby schauen und dann volle Konzentration auf das Top-Spiel mit Beteiligung unserer Borussia. Es war Borussias erster Corona-Spieltag, klang nach einem guten Plan und sorgte für ein bisschen Vorfreude zwischen Quarantäne- und Hygienekonzept-Diskussionen.

Dass ich auch heute noch positiv über den letzten Samstag denke, hat vor allem zwei Gründe: Borussia überzeugte bei dem ersten Auftritt nach der langen Pause und trotz der kurzen Vorbereitungszeit. Der Sieg in Frankfurt, mit Publikum definitiv eines der kompliziertesten Auswärtsspiele, war absolut verdient und hätte höher ausfallen müssen. Der zweite Grund war aber nicht etwa die Freude über die Rückkehr des Fußballs, sondern vielmehr die Gesellschaft meiner Familie. Der Fußball an sich, das Spiel, das ich seit ich mich erinnern kann, liebe, enttäuschte eher.

Der neue Fußball wirkt klinisch rein, und nimmt sich damit seinen wichtigsten Aspekt: die Emotionen.

Die grauen Tribünen und der trostlose Sound schafften es nicht, eine spannende Atmosphäre herzustellen. Selbst die Tonoption von Sky, in der es Stadionatmosphäre vom Tonband gab, stellte sich eher als kurzfristige Hilfe heraus: Bereits nach wenigen Minuten wiederholten sich die gleichen Fangesänge. So war beim Top-Spiel nahezu pausenlos ein VFL-Wechselgesang mit entsprechend beleidigender Antwort aus der Frankfurter Nordwestkurve zu hören. Dazu Sky-Reporter, die nicht wussten, wie sie mit ihrem Mundschutz umgehen sollen und skurrile Interview-Szenen.

Doch anscheinend müssen wir uns an all das in den nächsten Wochen gewöhnen. Der neue Fußball wirkt klinisch rein und nimmt sich damit seinen wichtigsten Aspekt: die Emotionen. Bei reduziertem Kneipenverkehr und Social Distancing wird es für jeden Fußballfan in den nächsten Wochen eine Herausforderung, sich die Emotionen außerhalb des Stadions zu suchen.


Blickwinkel 3: Fußball hilft mir gerade wirklich nicht

„Ich nehme es zur Kenntnis“, waren meine recht kühlen und flapsigen Worte, als mich die Trinkkumpanin am Samstag, zur späten Stunde, auf das Endergebnis hinwies: 3:1 hatte die Borussia also gewonnen. So so. Selbst meine betagte Oma lies ihre Finger über ihr altersgerechtes Smartphone gleiten: „Dein Verein, SPITZE“, schrieb sie. Zumindest das blies mir ein Lächeln ins Gesicht.

Hätte mich der Fußball in all seinen Facetten einst aus den tiefsten Löchern geholt, ist er mir jetzt ziemlich egal.

Nach nun über zwei Monaten ohne Kita, Sorgen um die Verwandtschaft und um einen selbst, Kurzarbeit und anderen Engpässen, bin ich einfach ausgelaugt. Nicht nur körperlich, sondern vor allem auch emotional. Hätte mich der Fußball in all seinen Facetten einst aus den tiefsten Löchern geholt, ist er mir jetzt ziemlich egal. Denn das, was momentan über den Bildschirm flimmert, ist für mich derzeit nicht mehr als eine Belastung.

Während sich die Weltpresse darüber echauffiert, dass die Hertha doch (mal wieder) keine Anstalten machte, sich an Absprachen zu halten, blicke ich sorgenvoll in meinen Kalender – und entdecke nichts. Kein wirkliches Licht am Ende des Tunnels, sondern jeden Tag im selben Trott. Klar könnte ich sagen: „Hey, der König-Fußball bringt ein bisschen Leben ins Wochenende.“ Doch Samstag und Sonntag brauche ich gerade viel mehr zur Erholung – und einfach mal keine Aufregung.

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das bald ändert. Dass wir wieder ins Stadion gehen können, uns gemeinsam in den Armen liegen – und ich montags ziemlich “durch”, aber immerhin glücklich, zusammen mit meiner Tochter an der Kita klingle. Doch ich bin Realist genug, um zu wissen: Weder das eine, noch das andere wird so schnell passieren.   


Foto zu diesem Beitrag: Photo by Eric Dobias/Pool via Getty Images

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