Der beste Capitano der Welt

Mit Lars Stindl verlässt eine echte Identifikationsfigur Borussia Mönchengladbach. Wir blicken auf die acht Jahre des „Capitanos“ am Niederrhein zurück und kommen zum wenig überraschenden Schluss: Dieser Typ wird uns Fans fehlen!

Im Sommer 2015 war die Welt noch eine andere – und das liegt sicherlich nicht ausschließlich daran, dass wir alle acht Jahre jünger waren. Die Dauer-Konstanten Merkel und Löw waren noch im Amt, der FC Bayern natürlich mal wieder Meister – übrigens (fast schon jungfräulich) erst zum dritten Mal in Folge. Viele Krisen und schreckliche Ereignisse dominierten die Schlagzeilen des Jahres 2015: Charlie Hebdo, November-Anschläge, Germanwings-Absturz, VW-Abgasskandal. Am 2. Mai wurde die britische Prinzessin Charlotte of Cambridge geboren – am 31. Januar starb mit Udo Lattek übrigens ein ehemaliger Trainer unserer Borussia.

Apropos Borussia: Unser Herzensklub hatte im Sommer 2015 die erfolgreichste Saison der jüngeren Vereinsgeschichte beendet. 66 Punkte, Tabellenplatz 3, direkte Champions-League-Qualifikation. Diesen Höhenflug wollte das Erfolgs-Duo Eberl/Favre (Lang, lang ist’s her…) nun fortsetzen und die Qualität des Kaders punktuell erhöhen, um nach eigenem Bekunden “als Verein den nächsten Schritt” zu machen. Aus unserer Sicht belegen folgende Namen, dass dies unterm Strich wohl durchaus gelungen ist. Abgänge: Kruse, Younes, Daems, Brandenburger, Blaswich, Mlapa, Marx. Zugänge: Drmic, Hazard, Elvedi, Schulz, Sippel, Christensen und – natürlich – Lars Stindl.

Lars Stindl wurde im Rekordtempo zum Führungsspieler

In einer Zeit, in der der Borussia-Weg nicht bloß blumig angepriesen, sondern als Fundament der Klub-DNA auf dem Transfermarkt auch gelebt wurde, verkörperte Lars Stindl einen extrem wichtigen Spielertypus: Ein bundesligaerfahrener Spieler mit Führungsanspruch, der seinen früheren Arbeitgeber Hannover 96 als Kapitän und Leistungsträger sogar schon durch internationale Gefilde führen durfte. Das Ganze zur Mini-Ausstiegsklausel-Ablöse von gerade einmal 3 Millionen Euro. Sagen wir mal so: Mit dem Blick auf oben genannte Namen wurden Champions-League-Millionen mal schlechter investiert.

Stindl verkündete seinen Wechsel zum Niederrhein damals übrigens bereits im März 2015 – mit den Worten: “Ich wollte schon in diesem frühen Stadium für Klarheit sorgen!” Davon könnte sich der ein oder andere heutige Profi sicher eine Scheibe abschneiden. Und auch wenn Stindls sportlicher Start bei Borussia unter Lucien Favre alles andere als komplikationsfrei verlief (taktische Anpassungen und Probleme, Auswechslung am vierten Spieltag nach 55 Minuten, Bankplatz im letzten Favre-Spiel gegen Köln), war dieser Sommer 2015 der Beginn von etwas ganz Großem.

Nach dem Trainerwechsel und der Stabilisierung der gesamten Mannschaft avancierte Stindl in absoluten Rekordtempo zu einem echten Führungsspieler mit Identifikationsfigur-Potential. Das lag einerseits daran, dass er direkt vorwegmarschierte und recht schnell mit Leistung auf dem Platz überzeugte. Zum anderen bewies Stindl auch abseits des Platzes, dass er alles andere als ein stereotyper Fußball-Millionär ist: Sicherlich keiner der lauten, knalligen und populistischen Worte – eher einer, der durch Ehrlichkeit, Tiefgang oder Loyalität auffällt. Werte, die viele Fans im heutigen Profifußball immer schmerzlicher vermissen.

Zwei italienische Nächte als Höhepunkt

Diesen Charakter Stindls durften wir schon wenige Monate nach seinem Wechsel zu Borussia persönlich erleben. Mitte Oktober 2015 trafen wir den Neuzugang zum allerersten MitGedacht.-Spielerinterview im Borussia-Park. Was uns damals direkt auffiel: Auch wenn Stindl der „Star“ war, erkundigte er sich ehrlich interessiert nach unserer Sichtweise als Fans auf Borussia und den Fußball. Schnell kamen wir so auf Themen, die weit über die Situation am Niederrhein hinausgingen. So entstand beispielsweise der Satz „Fußball ist für mich Samstag 15.30 Uhr“, den später sogar die 11FREUNDE in ihrem Magazin zum „Zitat des Monats“ kürte. Ein Ausspruch als Charakterisierung eines Fußballbegeisterten!

Bei Borussia erlebte Lars Stindl in der Folge – das würde er heute vermutlich selbst sagen – die Blütezeit seiner Karriere. Anbei nur mal einige beeindruckende Zahlen und Fakten: 28 Scorerpunkte in der ersten Saison (14/14), 11 Bundesligatreffer in der eigentlich eher bescheidenen Bundesliga-Spielzeit 2016/17, sogar 14 Liga-Treffer und 10 Vorlagen im zweiten Rose-Jahr 2020/21. Ab Sommer 2016 Kapitän, absoluter Fan-Höhepunkt sicherlich die magischste Altweiber-Nacht, die Italien jemals erlebt hat: 23. Februar 2017, Florenz, Stindl in Höchstform, Dreierpack. Wir könnten stundenlang in den Erinnerungen an diese Tour schwelgen. Unvergessen ist aber auch die Geschichte rund um seinen „Linienhinterherflug“ in Richtung Rom, wo er im Stadio Olimpico mal eben so einen Elfmeter in der Nachspielzeit verwandelte – garniert mit dem flapsigen Kommentar: „In diesem Stadion schießt man Elfmeter einfach links unten…“ Wahnsinn!

Echte Größe in den schwierigsten Momenten

Mit solchen Geschichten hat Stindl sicherlich die erfolgreichste Episode der jüngeren Vereinsgeschichte maßgeblich mitgeprägt und uns Fans dadurch unvergessliche Momente geschenkt. 80 Tore und 61 Vorlagen in 264 Pflichtspielen für Borussia sprechen Bände. Und sind wir doch mal ehrlich: Wer von uns abstiegskampfsozialisierten fußballromantischen Fans hätte je gedacht, dass wir (alleine in Stindls acht Borussia-Jahren) drei Champions-League- und zwei Europa-League-Teilnahmen erleben werden.

Fakt ist aber auch, dass Stindl (nach all diesen Höhen) in den vergangenen knapp drei Jahren auch die turbulentesten Monate der jüngeren Vereinsgeschichte als Kapitän miterleben, moderieren und kommentieren musste. Und aus unserer Sicht haben vor allem diese Momente bewiesen, warum der „Capitano“ für uns über jeden Zweifel erhaben ist. Trotz zunehmender körperlicher Wehwehchen und kleineren Ausfällen ließ Stindl immer wieder seine Klasse und enorme Wichtigkeit für Borussia aufblitzen. Dass er den Verein im Sommer als Stammspieler verlässt, zeugt von Größe und wird ihm gerecht.

Vor allem abseits des Platzes hat Stindl aber einen echten Spagat vorbildlich hinbekommen: In öffentlichen Interviews hat er die offensichtlichen Probleme des Vereins und seines Kaders nie öffentlich zur Schau gestellt und dennoch einordnende und einleuchtende Begründungen geliefert! Er hat keinen Mitspieler oder Funktionär an den Pranger gestellt und uns Fans trotzdem Verständnis für unseren Frust entgegengebracht! Seine Kritik hat er übrigens dennoch deutlichst zum Ausdruck gebracht. Nur eben nicht plump in der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen. Das haben uns sowohl Lars als auch Vereinsverantwortliche bestätigt. Ein wahrlich perfekter, weil loyaler und feinsinniger, Kapitän!

Maximale Wertschätzung für den Menschen Stindl

Dass Lars Stindl im persönlichen Gespräch übrigens auch mal kritisch auf Fan-Meinungen geblickt und mit Gegenfragen Kontroversen erzeugt hat, macht ihn aus unserer Sicht nur noch spannender und glaubwürdiger. Wir jedenfalls möchten für den Menschen Lars Stindl nach den Begegnungen und Gesprächen an dieser Stelle unsere maximale Wertschätzung aussprechen: Weil er uns Fans gegenüber nach so vielen Jahren mit Höhen und Tiefen weiterhin unfassbar bodenständig und höflich aufgetreten ist. Weil aus jedem seiner Sätze Glaubwürdigkeit und Überzeugung für die Dinge gesprochen haben, die ihm wichtig sind. Und weil er keine Identifikation vorgaukelt, sondern sie proaktiv und ohne große Worte gestiftet hat. Deshalb bereitet uns der Abschied eines solchen (immer selteneren) Typen Fußballers auch große Sorgen. Erst recht in einer Zeit, in der die bedingungslose Liebe aktiver Fußballfans zu ihrem Lieblingssport ohnehin auf eine immense Probe gestellt wird.

Lieber Lars, wir danken Dir jetzt schon von Herzen für Deinen Einsatz für unseren Verein! Du warst und bist für uns ein Borusse durch und durch! Dir haben wir jeden deiner Sätze abgekauft und werden das wohl noch lange tun – auch weil du verstanden hast, wie man sich würdig und angemessen von einem Traditionsverein wie Borussia verabschiedet! Wir werden dein Wirken und die vielen emotionalen Momente bei Borussia nie vergessen! Dir und Deiner Familie wünschen wir von Herzen nur das Beste in Eurer neuen, alten Heimat. Du weißt hoffentlich, dass Dir am Niederrhein immer alle Türen offen stehen!

Am Ende dürfen wir vielleicht einen Mini-Teil einer Nachricht von Dir veröffentlichen. Sie wird alle Borussia-Fans freuen und unterstreicht viele Sätze dieses Textes. Du hast geschrieben: „Ich sehe mich schon in Hoffenheim oder Freiburg Stuttgart Frankfurt Mainz oder so mit nem Schal und ‘nem Bier im Gästeblock 🙌🏼🍺❤️“ Freilich geht das erste Bier auf uns! Wir nehmen Dich beim Wort!

19 Gedanken zu „Der beste Capitano der Welt

  • 13. April 2023 um 14:13
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    Der Artikel ist super!!!
    Ihm ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer diesem Spruch eines Fernseh-
    Kommentator (ich weiß nicht mehr, ob nach dem Florenz-Spiel oder während des Confed-Cups) :Er hat seine Gegenspieler wieder einmal “stindelig”
    gespielt 😁.
    In diesem Sinne :
    Danke Lars für all die Jahre.
    Dir und Deiner Familie alles erdenklich
    Gute.
    Ob das mit dem gemeinsamen Biertrinken klappt, weiß ich nicht.
    Aber Dein Name findet auf jeden Fall einen Ehrenplatz auf einem meiner Trikots. (schafft übrigens nicht jeder!)

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      • 13. April 2023 um 21:50
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        Danke Lars ich wünsche dir und deiner Familie alles erdenklich gute und hoffe auf ein Wiedersehen im Borussia Park vielleicht beim nächsten Legendenspiel im diesem Sinne mach es gut und viel Glück

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  • 13. April 2023 um 14:18
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    Unser überragender Capitano hätte alles Bier der Welt verdient! Was ein geiler Kicker und feiner Mensch – ihm kauft man wirklich die Bindung zu unserer Borussia und uns Fans ab. Er wird fehlen und zwar in allen Facetten. Um den Umbruch einzuleiten, ist es für ihn und uns Fans vielleicht aber auch ein passender Zeitpunkt.

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  • 13. April 2023 um 14:36
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    Alles ist gesagt, super Typ sehr sympathisch. Guter Fußballer obendrein, bleibt ihm alles gute zu wünschen und das er gesund bleibt.
    Vielen Dank Lars

    Antwort
    • 13. April 2023 um 19:37
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      Ein toller Spieler, ein würdiger Kapitain und großartiger Mensch verlässt am Ende der Saison unsere Borussia.
      Vielen Dank für die 8 Jahre bei uns.
      Dein bevorstehender Abschied in Würde und mit großem Anstand, zeigt uns allen noch einmal welch toller Mensch du bist.
      Lieber Lars, ich wünsche dir weiterhin sportlichen Erfolg und privat dir und deiner Familie alles Glück der Welt.

      Antwort
    • 13. April 2023 um 23:11
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      Man kann nur sagen: Alles erdenklich Gute. Möge Deine /Eure Entscheidung Alles in Erfüllung gehen. Bleibt gesund immer Willkommen.

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  • 13. April 2023 um 16:06
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    Über Lars Stindl ist alles gesagt und ihm kaufe ich das ab. Nehmt euch ein Beispiel und macht das mal nach ihr so großen Fußballer die alle 2 Jahre oder so bei einem großen Club anheuern,,, Borussia ist der größte…. Wer kannte Thyram Bensebaini vorher??? 😀 Gehen jetzt zu dem Börsenclub oderRotkligger oder Scheich Abdullah Club wo ihr den Arsch mit Dollars gepudert bekommt 🙃danke Lars sowas kommt nie wieder. Borussencharles@yahoo.de. Fan seit 58 Jahren., da waren diese Söldner noch lange in der Schwebe

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  • 13. April 2023 um 17:42
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    Unfassbar geiler Text. Pipi in den Augen!🥲

    Antwort
  • 14. April 2023 um 11:28
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    Wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute
    Du warst der beste.
    Ein echter Borusse. 3st

    Antwort
  • 14. April 2023 um 15:05
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    Wir in Hannover können nachempfinden, welche Lücke ein Lars Stindel hinterlässt. Einfach ein klasse Typ mit Charakter und Werten. Er würde in Hannover Zeit seines Lebens ein Trikot bekommen und Spielen dürfen.

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  • 14. April 2023 um 16:02
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    Ich kann das nur bestätigen: Ein unheimlich toller, einfallsreicher, wertschätzender Beitrag, den ihr veröffentlicht habt. Ich musste mir ebenfalls ein Tränchen wegdrücken (oder zwei).
    Das ist ganz toller Text für einen grundsympatischen Menschen, Borussen, Capitano und Fussballspieler!!!
    Viele von uns hätten ihn gern in einer Funktionärsrolle in Gladbach gesehen, mit seinen positiven Eigenschaften!
    Wir wünschen ihm uns seiner Familie von Herzen alles erdenklich Gute.
    Danke und auf niederheinisch: Lott Jonn, Lars!

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  • 15. April 2023 um 10:45
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    Super Text.
    Kann man wirklich nicht informativer und sachlicher zusammenfassen.
    @Lars: Alles Gute 🍀 und Gesundheit für die Zukunft.
    DANKE .

    Antwort
  • 15. April 2023 um 13:09
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    Danke Lars und Danke für den klasse Artikel! Jetzt weiß ich, warum wir zum letzten Spieltag in den Park kommen: Lars verabschieden!!! Ich nehme Taschentücher mit. Bei Lars, weil ich sie brauche; bei Bense zum Winken.

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  • 16. April 2023 um 13:04
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    Der beste Artikel, den ich seit langem gelesen habe!

    Ohne Lars Stindl geht es nächste Saison in die 2. Liga – denkt an meine Worte!
    BMG verliert einen überragenden Führungsspieler mit einer unfassbaren Spielintelligenz, einen Profi, der sich mit dem Verein zu 100 Prozent identifiziert! Ganz ehrlich: wer sollte ihn ersetzen?! Ich sehe da niemanden …
    Ich kann ihn durchaus verstehen, dass er nicht noch 1 Jahr bei BMG verlängert hat: einen Lars Stindl muss man von Anfang an auf den Platz schicken, er ist kein Auswechselspieler! Dazu kam die sportliche Lethargie der letzten Wochen seiner Mitspieler: außer Omlin, Kramer, Neuhaus und (bedingt) Hofmann hat kein Spieler Leistung gezeigt. Diese Arbeitsverweigerung hat auch Stindl angekotzt und keine Perspektive mehr im Verein gesehen. Und in der Summe sind all dies Punkte, die der Trainer zu verantworten hat. Und ganz deutlich ausgedrückt: ohne Farke wäre Stindl noch geblieben!

    Antwort
  • 16. April 2023 um 16:30
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    Eine schöne Reflexion von euch! Kompliment!
    Schade, dass es von der Person Stindl zu wenige gibt! Die müssen wahrscheinlich erst wieder „geboren“ werden!

    Antwort
  • 18. April 2023 um 12:46
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    Absolute Hochachtung und vielen Dank für viele unvergessliche Momente!

    Viele Fans werden Dich sehr vermissen und es brennt bereits jetzt schon in der Brust und der Tränenkanal ist gereizt.

    Antwort
  • 21. April 2023 um 15:59
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    DANKE für den tollen Artikel.
    DANKE auch an die schönen Kommentare, die ja so wahr sind.
    DANKE vor allem an Lars, den ich voll verstehen kann, auch wenn er selbst vielleicht doch gern geblieben wäre. Aber was wären wir Männer ohne Frauen? Und Versprechen muss man halten.
    Ich sehe leider etwas schwarz für Borussia ohne ihn denn er fehlt ja nicht nur auf dem Platz,
    sondern auch in der Kabine…

    Antwort
  • 8. Mai 2023 um 18:31
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    Danke Lars Zuhause ist Zuhause….aber was zählt ist Heimat.!!!! ich bin KAler und freue mich sehr.. einen neuen Lars zu zaubern ist verdammt schwer. Es lebe der Fußball der KSC und die Borussia…..✌️😎⚽

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