“Ein Konzept namens ,Stadionallianzen‘ darf nicht ohne Einbindung der Fans stattfinden” – Interview mit der Fanhilfe Mönchengladbach

Vergangenen Donnerstag wurde bekannt, dass neun NRW-Klubs gemeinsam mit dem Innenministerium des Landes und den lokalen Polizeibehörden das Konzept Stadionallianzen erarbeitet haben, um besser gegen Gewalt im Rahmen von Fußballspielen vorgehen zu können. Am Montag folgte die Unterzeichnung. Faninitiativen wie ProFans übten deutliche Kritik am Konzept Stadionallianzen.

Auch die Fanhilfe Mönchengladbach äußerte sich in einer gemeinsamen Stellungnahme der Fanhilfen NRW. Wir haben mit Simon – selbst aktiv in der Fanhilfe – über das Konzept und die Kritik der Fanszenen gesprochen.

Was kritisiert Ihr konkret an der „Kooperation zur Einrichtung und Erhaltung von Stadionallianzen“?
Ganz grundlegend ist die Vereinbarung erstmal ohne die Einbeziehung von Fans geschehen. In Mönchengladbach wurde nicht mit dem Supporters Club, dem sozialpädagogischen Fanprojekt “DeKull” oder anderen Fangruppen gesprochen, auch bei den anderen Vereinen spielten die Fans keine Rolle. Wenn ein Konzept namens ,,Stadionallianzen‘‘ ohne den wohl wichtigsten Teil der Stadien, den Fans eben, erarbeitet wird, läuft etwas falsch.

Wogegen richtet sich Eure Kritik inhaltlich?
Inhaltlich stoßen wir uns insbesondere an den zwei Punkten 2.2 und 2.8. Erstens sollen die ,,Vertragspartner‘‘ auch bei solchen Meinungsäußerungen eine Distanzierung verlangen können, die nicht strafrechtlich relevant sind. Wir befürchten hier, dass die Vereine sich bald regelmäßig von Äußerungen distanzieren müssen, die zwar von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, aber irgendwem bei der Polizei oder in der Politik nicht passen. Zweitens ist eine schnelle Aussprache von Stadionverboten geplant, die sich nicht an einer strafrechtlichen Verurteilung, sondern bloß einem Ermittlungsverfahren orientieren soll.

Welche Folgen befürchtet Ihr für Stadionbesucherinnen und Besucher konkret in der Zukunft?
Im Falle der Meinungsäußerungen ist zu befürchten, dass nicht mehr Gerichte entscheiden, was gesagt werden darf, sondern dass das Gutdünken der Polizei in Zukunft bestimmt, was in der Kurve geht und was nicht.

Bei den Stadionverboten ist es so, dass sie bereits heute oftmals vor einer Verurteilung ausgesprochen werden. Auch wenn das Ermittlungsverfahren später eingestellt wird und die Leute letztendlich unschuldig ausgesperrt waren. Es ist zu befürchten, dass diese Fälle durch die neue Vereinbarung noch häufiger vorkommen werden.


Was befürchtet Ihr beim Thema der Stadionverbote?
Bei den Stadionverboten ist es so, dass sie bereits heute oftmals vor einer Verurteilung ausgesprochen werden. Auch wenn das Ermittlungsverfahren später eingestellt wird und die Leute letztendlich unschuldig ausgesperrt waren. Es ist zu befürchten, dass diese Fälle durch die neue Vereinbarung noch häufiger vorkommen werden.

Ihr erwartet eine weitere „Kriminalisierung von Fußballfans“ durch das Papier. Nun gab es in der Vergangenheit medial immer wieder Berichte von Überfällen auf Züge oder Busse mit Fans rivalisierender Vereine. Was entgegnet Ihr denen, die solche tatsächlich kriminellen Aktionen verurteilen und die Kooperation „Stadionallianzen“ daher nachvollziehen können?
Die angesprochenen Punkte sehen wir nicht als geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung von Kriminalität im Fußball, die in den vergangenen Jahren nachweislich abgenommen hat, an. Bei den Meinungsäußerungen reden wir ja nicht davon, dass die Polizei effektiv strafbare Äußerungen verfolgen soll – was sie ohnehin tut -, sondern davon, dass von der Meinungsfreiheit gedeckte Aussagen geächtet werden sollen. Und auch Stadionverbote verhindern keine Straftaten: Erstens sind, wie bereits gesagt, oftmals Unschuldige betroffen und zweitens finden die meisten Straftaten gar nicht in den Stadien statt, aus denen die Fans dann ausgesperrt sind.

Da geben Euch die Statistiken Recht. Dennoch hört man von Vereins- und Verbandsvertretern immer wieder, dass aktive Fans nur dann Gesprächspartner auf Augenhöhe sein können, wenn sie sich klar von Straftätern in den eigenen Reihen abgrenzen. Könnt Ihr das Argument nachvollziehen?
Zunächst einmal ist die Einbindung von Fans in diesem Fall wohl nicht daran gescheitert, dass die Funktionäre keine Gesprächspartner auf Augenhöhe gefunden haben. Mit Supporter Clubs, sozialpädagogischen Fanprojekten und anderen Institutionen gibt es ja genügend Einrichtungen, die professionell aufgestellt und seriöse Ansprechpartner sind – die sind nur eben nie gefragt worden.

Fanszenen umfassen abertausende Menschen, die größte Jugendkultur dieses Landes und unheimlich viele, heterogene Gruppierungen. Trotzdem gibt es, wie die Statistiken zeigen, kein Gewaltproblem, sondern einzelne Konflikte, die wegen der medialen Bedeutung des Fußballs eben eine übermäßige Beachtung finden.

Das habt Ihr bereits angesprochen. Also gab es nirgendwo eine Einbindung der Fans?
Nein, absolut nicht! Darüber hinaus kann es auch nicht der Anspruch an die Fanszene sein, dass nie wieder irgendwo etwas passieren darf, damit Fans in Prozesse eingebunden werden. Fanszenen umfassen abertausende Menschen, die größte Jugendkultur dieses Landes und unheimlich viele, heterogene Gruppierungen. Trotzdem gibt es, wie die Statistiken zeigen, kein Gewaltproblem, sondern einzelne Konflikte, die wegen der medialen Bedeutung des Fußballs eben eine übermäßige Beachtung finden. Und diese einzelnen Konflikte sollten wiederum kein Grund für härtere Repressionen sein, sondern umso mehr für Dialog und Einbindung.

Ihr pflegt einen regelmäßigen Austausch mit Borussia. Wie und wann habt Ihr von dem Konzept erfahren?
Wir haben am vergangenen Donnerstag aus den Medien davon erfahren.

In der Corona-Krise sind ohnehin keine – oder nur sehr wenige – Fans in den Stadien zugelassen. Wieso kommt ein solcher Vorstoß aus Eurer Sicht in einer solchen Phase?
Da wir in die Erarbeitung nicht einbezogen worden sind, können wir da nur mutmaßen.

Beleidigungen gegen Dietmar Hopp werden strafrechtlich sowieso schon verfolgt, hier muss es also keine Verschärfung geben – den handelnden Personen scheint es vielmehr darum zu gehen, auch solche Kritik mundtot zu machen, die eigentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Du darfst gerne mutmaßen!
Insbesondere der Punkt zu den Meinungsäußerungen lässt sich in unseren Augen auch auf die Thematik rund um Dietmar Hopp Anfang des Jahres zurückführen. An dem Beispiel lässt sich auch zeigen, worauf die Unterzeichner mit ihrem Plan hinauswollen könnten: Beleidigungen gegen Dietmar Hopp werden strafrechtlich sowieso schon verfolgt, hier muss es also keine Verschärfung geben – den handelnden Personen scheint es vielmehr darum zu gehen, auch solche Kritik mundtot zu machen, die eigentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Überrascht Euch der Zeitpunkt?
Die Ratifizierung der Vereinbarung zu diesem Zeitpunkt erscheint in Anbetracht der Umstände aber umso unnötiger, da ja momentan ohnehin kein richtiger Stadionbesuch stattfindet. Die Zeit, die es brauchen wird, bis die Stadien wieder voll sind, hätte man lieber sinnvoll nutzen können, um gemeinsam mit Fanorganisationen eine bessere Vereinbarung zu erarbeiten.

Was fordern die NRW-Fanhilfen konkret von den unterzeichnenden Vereinen? Was fordert die Fanhilfe Mönchengladbach von der Borussia?
Ein Konzept namens ,,Stadionallianzen‘‘ darf nicht ohne die Einbeziehung von Fans stattfinden. Die Vereinbarung sollte auf Eis gelegt und gemeinsam mit Fanorganisationen überarbeitet werden.

Foto zu diesem Beitrag: Ina Fassbender / Getty Images

Ein Gedanke zu „“Ein Konzept namens ,Stadionallianzen‘ darf nicht ohne Einbindung der Fans stattfinden” – Interview mit der Fanhilfe Mönchengladbach

  • 15. September 2020 um 18:22
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    Und wer vertritt die größte Gruppe der Stadion-Besucher, nämlich die, die nicht in irgendeiner Fangorganisation sind? Sollen die dann alle einzeln gehört werden?
    Kann es sein, dass sich die “wahren” Fans etwas zu wichtig nehmen?
    Sorry, ist nur so ein Gedanke…

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