Elf Inselgeschichten

Borussia verabschiedet sich in Manchester aus der Champions-League-Saison 2015/16 – auch für uns Fans geht ein Abenteuer zu Ende. MitGedacht. schaut noch einmal auf die europäische Abschlusstour zurück und berichtet über die Stadt, das Duell auf den Rängen und das Sportliche.

Nachts um zwei – eine kranke Anreise

Wir haben mit unserem Freundeskreis ja schon viele vollkommen verrückte Touren verbracht: Autotour nach Sarajevo, Sevilla-Hamburg-Reise, eine Villen-Woche in Turin. Aber das, was wir uns da für Manchester vorgenommen hatten, sprengt in puncto Krankheitsgrad nun wirklich alle Rahmen! In der Nacht von Montag auf Dienstag ließ sich unsere lustige Reisegruppe von einem heimischen Taxi-Unternehmen nach Brüssel-Charleroi kutschieren, um von dort nach Manchester zu starten. Unser ambitionierter Plan: Hinflug gegen sieben, Rückflug am nächsten Morgen um acht. Hotel? Geschenkt! Dass es hart werden würde, war jedem klar – unterschätzt haben wir es trotzdem.

In Manchester stieß dann noch eine kleine Abordnung dazu, die bereits am Samstag gen England gereist war, die Tage in Liverpool verbracht hatte und schwärmte: Eine Stadt voller Nostalgie. An jeder Ecke trinklaunige Engländer, die in kuscheliger Pub-Atmosphäre grölende Britinnen bestaunen. Irgendwie wurden in Liverpool sämtliche Erwartungen/Vorurteile komplett bestätigt. Und wenn wir ehrlich sind: wäre es anders gewesen, wir wären verstört zurückgeblieben. Schön is dat nich. Aber geil!

Manchester, wo ist dein Charme?

Nicht ganz so verranzt und deutlich „metropolitaner“ war unser Eindruck von Manchester. Fuhr man vom Flughafen mit der Metro noch durch die altbekannten Wohnviertel à la Harry Potter, lächelte einem spätestens nach Ankunft am Bahnhof Piccadilly Station die Wucht der modernen Stadtentwicklung entgegen: Neue Bürokomplexe reihten sich an alte, kernsanierte Backsteingebäude. Auch die Innenstadt war in ihrer Einzelhandelsstruktur und der Vielzahl von Shopping-Malls kaum von deutschen Großstädten zu unterscheiden. Viel schien auf den ersten Blick nicht mehr übrig geblieben zu sein vom früheren „nebligen“ Charme der englischen Industriehochburg.

Ein Highlight: Das „National Football Museum“

Mitten in Manchester gelegen. Eintritt: frei! Oftmals wird man als Fan in solchen Ausstellungen enttäuscht. Die Verbände und Offiziellen werden beweihräuchert, die tatsächlichen Emotionen kommen zu kurz. Nicht so in Manchester. Geboten wird ein Potpourri aus alten Trikots, Schals, Fußbällen, Gemälden, Filmen und Radiomitschnitten. Dabei geht es ebenso um das Finale Liverpool gegen die Borussia im Jahre 1977, wie um Parallelen zwischen Weltklassefußball und dicken, grätschenden Jungs auf verregneten englischen Matschplätzen. Es werden allerdings auch Themen aufgegriffen, die für Fans und Verbände schwieriger sind. So geht es auch um Themen wie die Entwicklung der englischen Fankultur oder die Bekämpfung von Homophobie im Fußball. Schöne Emotion und differenzierte Auseinandersetzung. Wir hätten hier Stunden verbringen können. Am Ende musste man uns natürlich aus der temporären Ausstellung über Fußball und Videospiele zerren. Jeder wie er kann eben!

Manchesters Pub-Money

Auf der Suche nach geeigneten Pubs gestaltete es sich zunächst recht simpel: einfallen, hinsetzen, bestellen, zahlen und… Aber genau hier wurde es das erste Mal etwas schwierig. Der aktuelle Wechselkurs brachte die ersten Haushaltsberechnungen ordentlich ins Schwanken, also hieß es meist: Weitersuchen und nicht versacken. So erinnerten sich einige Mitstreiter an den diesigen Vorabend und einen urigen Pub mit dem wunderbaren Namen „The Unicorn“ (zu Deutsch: Das Einhorn). Ein nicht ganz so ranziger Laden mit angenehmen Preisen und redefreudigen Gästen. Übrigens: Eine derartige Kleingruppe englischer „Supporters“ begegnete uns bei der Widerankunft nach Schlusspfiff und es entwickelte sich eine launige Diskussion über deutschen und englischen Fußball. Bei leckerem Bierchen wunderte uns vor allem, wie sehr die Jungs die Argumentation der Scheichs, der russischen und amerikanischen Investoren verinnerlicht haben: „For good football, you need good players. And they cost money. Thats it!“

Volle Kraft nach vorn – der Fanmarsch

Es gab mal wieder einen gemeinsamen Fanmarsch zum Stadion. Unter Freunden zum Stadion laufen macht immer Spaß. Und so zog die aktive Fanszene, gefolgt von hunderten (oder tausenden?) weiteren Borussen, friedlich singend und hüpfend Richtung Stadion. Das Ganze lief zwar etwas chaotisch ab, war aber dennoch ein schönes Highlight des Trips. Da keine Megaphone erlaubt waren, konnten die Gesänge nicht immer koordiniert werden. Dennoch erreichten sie immer wieder gute Lautstärke und Mitmachquote. Der Marsch kam zwar nicht an das Erlebnis in Kiew heran, wird jedoch eine schöne Erinnerung bleiben. Im Übrigen auch, weil es völlig friedlich blieb! Auffallend war das coole und freundliche Auftreten der englischen Polizisten. Lobende Gesänge beklatschten sie, dumme Bemerkungen ignorierten sie. Keine Masken vor den Gesichtern, keine Knüppel im Anschlag. Das ist deeskalierendes Auftreten. Bitte nachmachen, deutsche Polizisten!

Zum Sportlichen: Zwei Halbzeiten

Letztlich ist wohl jedem Borussen unterbewusst klar: Borussia hat verdient verloren! Zu eindeutig war der Klassenunterschied in Halbzeit zwei. Doch das ist auch nicht weiter verwunderlich: Denn während unser Trainer André Schubert als erste Wechselmöglichkeit den jungen Marvin Schulz einwechselte, letzte Saison noch in der Regionalliga aktiv, brachte Manchester City mal eben die millionenschweren Akteure Bony, Jesus Navas und Sagna. So bleibt unserer Truppe nur die Anerkennung einer bärenstarken ersten Halbzeit. Nicht nur wir, auch Sportdirektor Max Eberl musste sich „mal kurz kneifen, weil wir eine Mannschaft mit solcher Qualität auswärts an die Wand gespielt haben“. Raus mit Applaus – selten ist dieser Ausdruck derart angebracht. Unsere Truppe hat uns wirklich stolz gemacht mit ihren couragierten Auftritten in der viel zitierten „Hammer-Gruppe“!

Auftritt des Gästeblocks: Die Nordkurve bebt

Bringen wir unseren Auftritt mit einem Wort auf den Punkt: Bombastisch! Schon Minuten vor dem Anpfiff spürte man förmlich die Motivation eines Großteiles der mitgereisten Borussen, es den Engländern mal so richtig zeigen zu wollen. Und so bebten die drei Ränge des Auswärtssektors speziell in Halbzeit eins mehrfach. Kleiner Kritikpunkt: Der Wechselgesang fiel dieses Mal in die Kategorie „Wer kann V-F-L schneller schreien?“. Etwas mehr Contenance hätte der Sache gut getan. Dass der Support in Halbzeit zwei abflaute, ist dagegen nicht wirklich zu kritisieren. City schnürte unsere Borussia regelrecht am eigenen Sechzehner ein, das lähmte auch die Nordkurve, die trotzdem wieder einmal eine wirklich beeindruckende Visitenkarte abgab. Eine Visitenkarte, die (so selbstbewusst dürfen wir sein) der Champions League fehlen wird!

Traurig, peinlich, eklig: Die Heimseite

Man hat ja schon eine Menge über die City-Fans und die Atmosphäre im Etihad-Stadium gehört. Dennoch müssen wir konstatieren: Wir sind erschrocken! Nicht nur aufgrund der zahlreichen Verbote, die dem Fußballfan entgegen schlagen, wenn er seinen liebsten Sport verfolgen will: Stehverbot, Jubelverbot, Feuerzeugverbot, Alkoholverbot, Rauchverbot… Nein, vor allem wegen den Kunden, die sich die englischen Klubs mittlerweile herangezogen haben. Schon weit vor Anpfiff standen wir kurz vor einem Brechreiz als uns das Banner mit der Huldigung des Scheiches auf Höhe der Mittellinie ins Auge sprang. Die Ablehnung wurde nicht kleiner als wir uns näher mit den „Fans“ der Heimseite beschäftigten. Der Großteil der – im Durchschnitt zehn Minuten vor Anpfiff ins Stadion gekommenen – Anhänger schien in den 90 Minuten vor allem damit beschäftigt zu sein, das Handy in Richtung des Gästeblockes zu halten. Ein paar kleine Hansel hinter dem Tor unternahmen wenigstens den Versuch, eine aktive Fanszene darzustellen. Mit ihren kleinen Fähnchen und den halbherzigen Gesängen ging aber auch das leider in die Hose. Die Krönung erlebten wir dann gegen Ende der Partie, als Manchester City unsere Borussia sportlich in die Schranken wies: Nach den Treffern provozierte das Stadion: „You’re not singing anymore!“. Immerhin eine Sekunde, in der wir zuhörten.

Einige der wenigen Emotionen waren dann aggressive City-Fans, die normale Gladbacher in den Heimbereichen bepöbelten und bedrohten. Nutzt eure Energie doch ein wenig um euch gegen all das aufzulehnen was in eurem Stadion geschieht: Stille, Nichts! Dieser erbärmliche Auftritt einer Fanszene sollte uns alarmieren: Die 50+1-Regel ist eines der höchsten Güter, die wir in Fußball-Deutschland haben. Sie darf auf keinen Fall kippen!

Ein Ansatz Fankultur – Die Respect-Fahne

Es gab ihn doch: den kurzen Moment der Bewunderung für einige Heimfans. Kurz vor Spielbeginn zogen einige Cityfans neben dem Gästesektor – direkt hinter dem Tor also – eine Zaunfahne hoch. „Closing Grounds punishes Fans“ war darauf zu lesen. Dazu das bekannte „Respect Fans“ Logo, das auch unsere Fanszene immer wieder nutzte. Leider war es nur eine kleine Gruppe, die hier so etwas wie Fankultur bewies. Dennoch nötigt uns das Respekt ab. In einem Umfeld, in dem 95% des Stadions lediglich Cola trinken und Fußball schauen wollen, kritische Fankultur zu bewahren ist nicht einfach. Verständnis des restlichen Publikums dürfen die Jungs sicher nicht erwarten, Nachsicht oder Unterstützung vom Verein schon gar nicht. Dafür sicher eine Menge Ärger: Die UEFA steht bekanntlich nicht auf kritische Meinungsäußerung, englische Vereine auch nicht.

Im Zeichen der Sperrstunde

Was neben dem teuren, aber leckeren Bierchen in der englischen Kneipenkultur eben auch verankert bleibt, ist die Sperrstunde. Und einer selbigen schienen auch wir am Dienstag zum Opfer zu fallen. Unser „Einhorn“ hatte ausgeritten und musste zurück in seinen Stall, so dass wir schon fast genötigt wurden den Pub zu verlassen (es wurde das Licht ausgeknipst). Auch die Aussicht auf einen Top-Umsatz konnte die Bediensteten nicht überzeugen – da sie uns aber freundlicherweise Plastikbecher reichten und generell sehr zuvorkommend agierten, wurden sie mit dem neuen Klassiker „We love the Unicorn, we do“ verabschiedet. Nä, wat schön!

Dennoch blieb die Frage, was nun? Ins Zimmer der kleinen Hostel-Fraktion? Keine Option! Zum Flughafen? Viel zu früh! Also: Weiterschauen und in niederrheinischer Manier ne´ lecker Pinte suchen. Und so fielen wir nacheinander noch in drei weitere Pubs ein, die wir allesamt praktisch mit abschlossen. Trinkfest sind sie ja, die Engländer – aber auch sie wollen am nächsten Tag raus. Dennoch ein großes Dankeschön an alle Barkeeper und Zapferinnen der Stadt! Ihr seid unsere wahren Helden des Abends!

Endlich Richtung Heimat

Nach dem Ende der Kneipen-Tour stand der wohl zäheste Teil unserer Reise an: Das Warten auf den Rückflug. Gegen drei schlugen wir am Bahnhof Picadilly auf, der nächste Zug Richtung Flughafen ging allerdings erst um 4.49 Uhr. Und so versuchten wir noch etwas zu schlafen, was in einer Bahnhofs-Halle mit mehreren geöffneten Türen bei drei Grad Außentemperatur nicht wirklich einfach ist. Gleiches gilt für eine volle (und vor allem laute) Wartehalle im Flughafen. Wohl alle Teilnehmer unserer Reisegruppe waren froh, als um kurz vor acht im Billig-Flieger unseres Vertrauens die langersehnte Durchsage ertönte: „Boarding completed!“ Endlich nach Hause!

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Fotos zu diesem Beitrag: MitGedacht., Stefen Köpp, Marvin Wanders

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