Fanhilfe-Interview: “Es sind Rechte mit Füßen getreten, Fans schikaniert worden!”

Die extrem schwache sportliche Leistung beim 1:1 in Istanbul steht auf dem einen Blatt, der riesiger Ärger mit der Polizei am Donnerstagabend auf einem anderen. Wir haben mit Simon von der Fanhilfe Mönchengladbach über die Vorfälle gesprochen. 


Simon, Borussias 1500 mitgereiste Fans erlebten ein alles andere als gelungenes Auswärtsspiel. Gib uns doch erst einmal einen generellen Überblick: Wie viele Verhaftungen gab es und wie ist die Gemütslage?
Die Stimmung ist natürlich gedrückt. Nach zwei Jahren europäischer Abstinenz hat das erste Auswärtsspiel im Europapokal für mächtig Vorfreude in der Fanszene gesorgt, alle anwesenden Fans freuten sich auf dieses Comeback. Dass dabei jetzt nicht das Spiel samt der Unterstützung der Mannschaft, sondern der Ärger mit der türkischen Polizei sowie dem Ordnungsdienst von Basaksehir im Vordergrund stand, ist schon bitter. Alle Fans in Istanbul sind enttäuscht und wütend, egal ob sie direkt betroffen waren oder nur am Rande davon mitbekommen haben. Zwischenzeitlich waren eine Handvoll Fans in Gewahrsam, es konnten aber noch gestern Abend glücklicherweise alle Fans nach Hause. 

Die Probleme fingen schon beim Bustransfer zum Stadion an. Schilder die Vorfälle doch mal aus Deiner Sicht?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Bustransfer von den türkischen Behörden vorgegeben war. Diese Maßnahme sahen wir bereits im Vorfeld kritisch, da sie die Fans in ihrer Reisefreiheit beschränkt. Da Basaksehir Istanbul über keine nennenswerte Fanszene verfügt und sich Borussias Fans vor sieben Jahren beim Spiel gegen Fenerbahce vorbildlich benommen haben, sahen wir keinen Grund für diese Maßnahme. Es wurde im Vorfeld deutlich gemacht, dass man nicht in den Gästeblock gelassen wird, wenn man nicht am Transfer teilnimmt. Die Fans sind daher davon ausgegangen, dass dieser Anreisezwang zwar nervig und unbegründet ist, aber immerhin funktionieren wird.

Wie kam es denn dazu, dass die Busse so spät fahren und derart lange unterwegs waren?
Die Abfahrt des Buskonvois war für 17 Uhr angesetzt. In Bewegung gesetzt hat sich der Konvoi aus knapp 30 Reisebussen aber erst um ca. 17:45 Uhr, da die Organisation katastrophal schlecht vonstatten ging. Die Busse sind nur nach und nach im Abstand von mehreren Minuten angekommen, mussten dann rückwärts in Seitenstraße einparken. Das hat bei 30 Bussen natürlich utopisch lange gedauert. Wer den Verkehr in Istanbul kennt, kann sich dann vorstellen, dass ein so großer Konvoi auf der in etwa 40 km langen Strecke zur RushHour nicht problemlos und ohne Stau fortbewegt. Das Ergebnis war, dass die Busse erst wenige Minuten vor dem Anpfiff das Stadion erreichten. Die Fans, die in den hinteren Bussen saßen, hatten bereits zu diesem Zeitpunkt schon gar keine Hoffnung mehr den Anstoß zu erleben.

Auf das entstandene Gedränge reagierte die türkische Polizei aggressiv, schubste Fans zurück und drohte mit dem Einsatz von Schilden und Schlagstöcken. In unmittelbarer Nähe standen Polizisten mit Maschinengewehren. Eine mehr als bedrohliche Situation, die zum Glück nicht noch schlimmer eskaliert ist.

Am Stadion angekommen ging es dann weiter: Die defekten Drehkreuze haben die Laune der mitgereisten Borussen ziemlich strapaziert. Wie hat sich die Lage dort gestaltet?
Der erste Schwung an Fans kam noch einigermaßen unkompliziert ins Stadion. Durch die nachrückenden Fans entstanden aber natürlich längere Schlangen an den verschiedenen Sperren und Sicherheitskontrollen vor dem Gästeblock. Die Fans verhielten sich jedoch zu jederzeit ruhig, trotz des großen Unmutes, dass das Spiel jeden Moment angepfiffen wird oder bereits angepfiffen wurde. Erhitzt wurde die Situation zusätzlich dadurch, dass die lediglich vier Drehkreuze zwischendurch ausfielen. Auf das entstandene Gedränge reagierte die türkische Polizei aggressiv, schubste Fans zurück und drohte mit dem Einsatz von Schilden und Schlagstöcken. Fans, die zu diesem Zeitpunkt kurz vor oder hinter den Drehkreuzen standen, wurde vorgeworfen die Beamten attackiert zu haben – weshalb sie zwischenzeitlich in Gewahrsam genommen worden sind. In unmittelbarer Nähe standen Polizisten mit Maschinengewehren. Eine mehr als bedrohliche Situation, die zum Glück nicht noch schlimmer eskaliert ist. 

Dann kam es zum Verbot der Zaunfahnen. War vorher kommuniziert, dass keine christlichen Symbole erlaubt sind?
Nein, das war uns nicht bekannt. Es wurde vorher lediglich mitgeteilt, dass die Banner gezeigt werden müssen und übersetzt werden, damit die türkischen Ordner und Polizisten wissen, was drauf steht. Das wurde von den Fans so ohne Widerworte und absolut kooperativ akzeptiert und umgesetzt. Trotzdem haben die Kontrollen schnell zu Diskussionen und Tumulten geführt.

Das Logo der Fanhilfe Mönchengladbach, die bei Twitter und Facebook weiter über die Vorkommnisse in der Türkei berichtet.

Wie haben die Kontrolleure der Zaunfahnen auf die Diskussionen reagiert?
Die Polizisten sowie Ordner von Basaksehir, die die Zaunfahnen am Eingang gemeinsam kontrollierten, waren zu diesem Zeitpunkt hochaggressiv. Fans mit Zaunfahnen wurden angeschrien, an Wände gedrückt und verbal sowie körperlich bedroht. In dieser Situation wurde der Fan mit der Stadtwappen-Fahne mehrfach angeschrien, als Ordner und Polizisten den abgebildeten St. Vitus begutachteten:,,What is this? What is this?‘‘ Man erklärte, auf englisch und türkisch, dass es sich um das Stadtwappen der Stadt Mönchengladbach handle – die Erklärung wurde ignoriert. Nach mehrmaliger Kontrolle der Banner wurde mitgeteilt, dass die Fahne aufgrund des christlichen Symbols nicht erlaubt sei. Auch andere Banner wurde der Einlass verwehrt, u.a. waren Fanclubnamen nicht im Sinne der Kontrolleure. Den betroffenen Fans wurde mitsamt ihrer Fahnen der Einlass verwehrt – sie saßen die kompletten 90 Minuten vor dem Stadion, da sie ja trotzdem dazu verpflichtet waren, die Busabreise nach Abpfiff zu bestreiten.

Waren UEFA-Offizielle anwesend?
UEFA-Offizielle waren unseres Wissens nach nicht anwesend. Sehr wohl aber Fanbeauftragte und Ordner von Borussia sowie Szenekundige Beamte der Polizei Mönchengladbach. Sowohl Borussias Mitarbeiter, als auch die SKB’s haben probiert zu vermitteln, sind jedoch nicht ernstgenommen worden. In einer Situation, in der die Polizei einen der Fans körperlich anging, soll ein türkischer Polizist zudem einen der deutschen SKB’s probiert haben zu schlagen. Diese Information wurde uns von mehreren Augenzeugen bestätigt. 

Wie hat sich die Polizei im Block verhalten? Auch hier soll es zu Festnahmen gekommen sein?
Die Polizei stand sowohl im Eingangsbereich der Blöcke, als auch unmittelbar vor und neben diesen. Im Unterrang sind Fans abfotografiert und gefilmt worden, die nach dem 0:1 aus Gladbacher Sicht aus Frust gegen ein Zaun gehauen haben sollen. Zwei Fans sind von der Polizei aus uns nicht bekannten Gründen aus dem Block gezogen und abgeführt worden, durften aber unmittelbar danach wieder gehen. 

Haben sich der Verein und die UEFA abseits der angesprochenen Zaunfahnen-Diskussion im Laufe des Abends eingemischt?
Borussia war in Form der Fanbeauftragten und Ordner vor Ort vertreten. Offizielle Meldungen gab es lange nicht, die Social Media-Abteilung twitterte in der 30. Minute noch etwas von toller Stimmung im Gästeblock – obwohl dieser weitgehend schwieg in Anbetracht der Situation. Hier fehlte es entweder an Kenntnis über die Lage oder Fingerspitzengefühl. Nach dem Spiel haben sich die Vereinsverantwortlichen ja dann sehr deutlich positioniert und den Einsatz kritisiert. Max Eberl hat die richtigen Worte gefunden, auch Torschütze Flaco hat sich entsprechend geäußert – das begrüßen wir! Von einer Reaktion der UEFA wissen wir nach wie vor nicht. 

Ereignisse wie gestern zeigen, dass unsere Arbeit als Fanhilfe ungemein wichtig ist und im Zweifel allen Fans zugute kommen kann. Wir werden diese Arbeit daher bei zukünftigen Spielen fortsetzen und immer zur Stelle sein, wenn Fans das Opfer solcher Willkür und Schikane werden.

Du hast bereits angesprochen, dass alle festgesetzten Fans wieder frei sind. Hattet Ihr zwischendurch stets Kontakt zu Ihnen? 
Wir standen während des Einsatzes permanent in Kontakt zu den Betroffenen, von denen wir wussten und die sich an uns gewandt haben. Da glücklicherweise keine dauerhaften Festnahmen vollzogen worden sind und alle Fans gemeinsam den Heimweg antreten konnten, war unser ,,Einsatz‘‘ am späten Donnerstagabend beendet. 

Was erwartet Ihr von Borussia für eine Reaktion?
Eine Beschwerde bei der UEFA und eine deutliche Positionierung gegenüber der türkischen Polizei sowie Basaksehir halten wir für angemessen und notwendig. Hier sind Rechte mit Füßen getreten, Fans schikaniert und völlig unbegründet Polizeigewalt angewandt worden. Borussia sollte sich auch im Nachgang so eindeutig hinter ihre Fans stellen, wie Max Eberl das in seinem Statement nach Abpfiff getan hat. 

Zieht Ihr als Fanhilfe Konsequenzen für zukünftige Reisen?
Wir waren bereits im Vorfeld dieses Spiels gut aufgestellt, haben Reisehinweise veröffentlicht, den Kontakt zu mehreren deutschsprachigen Anwälten in Istanbul gesucht und standen im engen Kontakt mit den anwesenden Fans. Im Fall der Fälle hätten wir schnell mehrere Anwälte zur Stelle, die juristischen Beistand geleistet hätten und einen Draht ins Generalkonsulat gehabt. Eigentlich ist es grotesk, dass wir einen solchen Aufwand betreiben müssen, wo wir doch eigentlich nur ein Fußballspiel unseres Vereins sehen wollen. Andererseits zeigen Ereignisse wie gestern, dass unsere Arbeit als Fanhilfe ungemein wichtig ist und im Zweifel allen Fans zugute kommen kann. Wir werden diese Arbeit daher bei zukünftigen Spielen fortsetzen und immer zur Stelle sein, wenn Fans das Opfer solcher Willkür und Schikane werden.

Simon, Danke für Deine Zeit und die schnelle Reaktion – noch in Istanbul!

Foto zu diesem Beitrag: Burak Kara/Getty Images

5 Gedanken zu „Fanhilfe-Interview: “Es sind Rechte mit Füßen getreten, Fans schikaniert worden!”

  • 4. Oktober 2019 um 10:28
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    Danke für eure Hilfe und lasst so ein Verhalten nicht zu.

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  • Pingback: Auswärtsspiel in Istanbul: Polizei nimmt Gladbach-Fans Fahnen ab - NG-A

  • 5. Oktober 2019 um 6:05
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    Hat irgendjemand etwas anderes im Erdoganland erwartet?
    Aktuelle Zahlen aus 8/2019, Auswärtiges Amt: „Die Zahl der in der Türkei inhaftierten Deutschen ist in den vergangenen sechs Monaten von 47 auf 62 gestiegen. Weitere 38 Bundesbürger sitzen wegen einer Ausreisesperre in der Türkei fest. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf Fragen der Linkspartei-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Gökay Akbulut hervor.“
    Dazu gibt das Auswärtige Amt aktuell eine Reisewarnung für die Türkei ab.
    Also alles wie zu erwarten in diesem Diktatorenstaat.

    Was mich zusätzlich ärgert? Das üble Verhalten der türkischen Exekutive lenkt leider ab vom üblen Verhalten der Borussen auf dem Platz. Die 10 Feldspieler in Weiß-Grün demonstrieren erneut eindrucksvoll, dass sie keinen Bock auf Europaleague haben.
    Denn das ihnen die spielerischen und taktischen Mittel fehlen, um so eine „türkische Altherrenmannschaft“ zu besiegen, daran will ich nicht denken. Mag die Einstellung auch schwierig zu managen sein, wenn es ein „Totentanz“ -Spiel zu absolvieren gilt oder der Gegner aus der österreichischen Operettenliga kommt, den mitgereisten Fans aber ein solches Spiel abzuliefern, das ist unverschämt. So langsam wird es Zeit, dass die Fans den Schmusekurs verlassen.

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