Corona-Serie Teil 3 – Fanszenen: Solidarität ist kein Marketing-Begriff

Die Corona-Krise hat schon jetzt einiges bewegt – sie hat gesellschaftliche Probleme offengelegt und zeitgleich gezeigt, dass Solidarität in Teilen der Gesellschaft funktioniert. Während das Fußballbusiness sich vor allem um sich selbst dreht, zeigen aktive Fans: Solidarität ist kein Marketing-Begriff. Wir schauen auf Fanszenen in der Corona-Krise. 

Es ist nur wenige Wochen her, als Karl-Heinz Rummenigge tief betroffen im Sinsheimer Regen stand. Mäzen Dietmar Hopp wurde wie zuvor auch in anderen Stadien von den Ultras der Münchner beschimpft. Es folgten empörte Diskussionsrunden über die angebliche moralische Verrohung, die Ultras über den Fußball brächten. Die Vehemenz der Debatte erstaunte mit Blick auf Sklaven, die in Katar Stadien für die Weltmeisterschaft bauen, ein gekauftes Sommermärchen oder Korruption in Verbänden schon damals. Zumal das eigentliche Thema, die Rückkehr zu Kollektivstrafen, in den Diskussionen unterging. Aus heutiger Sicht wirkt die Debatte geradezu skurril.

Schließlich demonstrierte Rummenigge damals Solidarität mit Hopp. Als es dann einige Wochen später darum ging, eine unkontrollierte Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen und den Spielbetrieb des Fußballs einzustellen, hatte Rummenigge den Begriff der Solidarität scheinbar wieder vergessen. In einer Phase, in der das gesellschaftliche Leben schon weitgehend runtergefahren war, zierte der Fußball sich und der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern merkte an, dass es am Ende doch „um Finanzen“ gehe. Irgendwo hört Solidarität auf. Darum können sich in der Krise dann doch wieder andere kümmern.

Ultras zeigen, was Solidarität in Krisen-Zeiten heißt

Diese Anderen, die Solidarität in der Krise leben, sind ironischerweise in Teilen genau die, die Wochen zuvor noch als „Hornochsen“ und Beschmutzer des Fußballs galten. 

Schließlich entstanden innerhalb kürzester Zeit deutschlandweit Initiativen und Projekte, die Unterstützung in der Krise bieten. Und zwar unkompliziert, schnell und ohne große Inszenierung. Das alles, während Verbände und Vereine sich in Symboliken und Debatten um sich selbst drehten. Ultraszenen in ganz Deutschland halfen alten Menschen beim Einkauf, rührten die Werbetrommel für lokale Betriebe oder sammelten Sachspenden für die, deren Gehälter in Kurzarbeit kaum für das Nötigste reichen. Auch Gladbacher Fans zeigten zügig Engagement.

Nordkurve Aktiv, als karitativer Arm der Mönchengladbacher Fanszene, packte beispielsweise Tüten für den Gabenzaun an der Mönchengladbacher Citykirche. 

„Support Your Local Heroes“: Von Mitgliedern aktiven Fan- und Ultraszene getragen

Die Initiative „Support Your Local Heroes“ unterstützt den lokalen Einzelhandel in Mönchengladbach. Mittlerweile bewerben sogar einige Prominente die Aktion – darunter auch aktuelle und ehemalige Spieler unserer Borussia nutzten dafür die eigene Reichweite. 

Wer an der Aktion teilnehmen möchte, kann sich ein T-Shirt bestellen und den Einzelhandel Mönchengladbachs unterstützen. Man kann sich sogar gezielt für das eigene Lieblingsrestaurant, die Stammkneipe das Café um die Ecke oder den Club entscheiden, in dem man sonst das Wochenende verbringt. Schließlich sind genau das die Läden, die eine Stadt zum Leben erwecken und mit denen Menschen Geschichten verbinden. 

Eben das dachte sich auch Marc, der die Idee zur Aktion entwickelte und spontan umsetzte. Eben weil ihm klar wurde, dass die Krise genau die Läden in ihrer Existenz bedrohen werde, die Mönchengladbach als seine Heimat im Alltag lebenswert machen. Als Mitglied der Ultraszene Borussias nutzte er also seine Vernetzung und holte sich in der foto- und videografischen Umsetzung der Idee Support von Freunden aus der Ultra- und aktiven Fanszene. 

In kürzester Zeit baute sich um ihn herum ein mehr oder weniger organisiertes Netzwerk von Menschen auf, die in Eigeninitiative die Werbe- und PR-Trommel rühren und mit Autos und Fahrrädern die bestellten T-Shirts ausliefern. Natürlich alles in ehrenamtlicher Arbeit. 

Es geht um mehr als finanziellen Support

Das erwirtschaftete Geld kommt somit den Einzelhändlern zugute. Mindestens ebenso viel wie die finanzielle Hilfe sieht Marc seine Idee aber als Zeichen der Wertschätzung und Solidarität gegenüber der Mönchengladbacher Gastronomie und dem Einzelhandel.

Menschen aus der Gastronomie bestätigen das. Natürlich helfe das Geld und die Aktion laufe wahnsinnig unkompliziert ab. Die Initiatoren seien auf die jeweiligen Betriebe zugekommen und hätten ihre Hilfe angeboten. Mindestens genauso wichtig wie der finanzielle Support sei aber das Zeichen der Solidarität, das die Aktion sende. Das vermittle Zuversicht, gebe Kraft und Sicherheit. Die Aktion zeigt, wie sehr die aktive Fan- und Ultraszene auch über den Fußball hinaus mit der Stadt und der lokalen Kultur verbunden sind.

FPMG Supporters Club stellt Papp-Fans auf

Auch das FPMG als Fan-Dachverband der Borussia hat große Aufmerksamkeit mit einer Aktion generiert. Fans bekamen die Möglichkeit, einen Pappaufsteller von sich selbst produzieren zu lassen und diesen im Stadion aufzustellen – gegen eine Gebühr von 19 Euro.

Auch hier kommt das Geld denen zugute, die im eigenen Hause in Kurzarbeit ausweichen mussten. Zudem werden Einnahmen an die Borussia-Stiftung und die Aktion „Borussen helfen Borussen“ gespendet. Sollte es tatsächlich zu Geisterspielen kommen, soll die Aktion deutlich zeigen, dass es ohne Fans im Stadion nicht geht. Es soll deutlich signalisieren, dass das FPMG Geisterspiele auch in der Krise konsequent ablehnt. 

Solidarität in der Krise: Wieso sind Faninitiativen den Vereinen voraus?

Die drei Aktionen demonstrieren, wie schnell und unkompliziert Fans in Zeiten der Krise agieren. Wieso fällt es Verbänden und Vereinen so viel schwerer, die Krise zu begreifen und im Sinne der gesamten Gesellschaft verantwortlich zu handeln? Schließlich sind Vereine und Verbände heute so professionell aufgestellt wie nie zuvor. 

Vermutlich findet sich dort eine mögliche Antwort auf die Frage. Denn fernab aller Fußballromantik sind Vereine im Profifußball heute eben doch keine Vereine im eigentlichen Sinne. Wir alle meinen – wenn wir von Vereinen reden – dann meistens doch ausgelagerte GmbHs und Aktiengesellschaften. Der Fußball denkt unternehmerisch. Da wird jeder Schritt im Sinne des Profits durchgerechnet, während Faninitiativen fernab von Verwertungslogiken Dinge umsetzen, die gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen.

Besonders Ultras agieren subkulturell und somit immer wieder fernab von Werten und Normen der Mehrheitsgesellschaft. Das bringt ihnen regelmäßig Ärger und Empörung ein. In diesem Ärger solidarisieren sie sich mit den eigenen Leuten. Das wirkt in vielen Debatten mitunter ignorant und so, als seien Ultras am Austausch nicht interessiert. Diese Loyalität untereinander und zur Gemeinschaft ihrer jeweiligen Stadt zahlt sich nun offenbar aus.

Zeigt sich in der Krise das wahre Gesicht?

Mit Blick auf die Diskussionen vor einigen Wochen mag das absurd klingen. Schließlich gehen heute kleine Faninitiativen und Gruppen aus aktiven Fans und Ultras voran, um Menschen zu helfen. Vielen Menschen liefern sie Lichtblicke in der Krise, während die Vereine, um die herum sie agieren, häufig egoistisch von finanziellen Interessen getrieben agieren. 

Zeitnah steht die Entscheidung darüber an, ob die Bundesligasaison fortgeführt wird – ohne Fans natürlich. Die DFL und viele Vereine bemühen bisher vor allem wirtschaftliche Argumente. Nach unseren Informationen positionieren sich Ultraszenen des gesamten Landes in diversen Debatten aktuell zu der Frage, ob es weitergehen sollte. Dabei beleuchten sie einmal mehr auch ganz andere Seiten einer Diskussion und liefern die gesellschaftliche Weitsicht, die dem Fußball ohne Fans dieser Tage fehlen würde.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Natürlich gibt es Grautöne und auch auf der Ebene von Vereinen gibt es Gehaltsverzichte und Ideen in der Krise. Doch das Bild, das Vereine und Verbände im Gegensatz zu ihren Fans und Ultras in diesen Zeiten abgeben, ist fatal. Nun retten ausgerechnet die das Image unseres Lieblingssports, die von Funktionären vor wenigen Wochen noch aus den Stadien befördert werden sollten. Sie tun das, ohne die großen Gesten. Sie tun es, weil sie helfen möchten. Weil sie glauben: Solidarität ist kein Marketingbegriff.

Foto zu diesem Beitrag: Ina Fassbender/AFP via Getty Images

Im vierten und letzten Teil der Serie blickt unser Autor ganz subjektiv auf die Frage: Lerne ich in diesen Zeiten den Fußball und unseren Verein wieder so richtig zu lieben? Bis dahin: Haltet Abstand und bleibt gesund.

8 Gedanken zu „Corona-Serie Teil 3 – Fanszenen: Solidarität ist kein Marketing-Begriff

  • 14. April 2020 um 22:17
    Permalink

    So ist es und so wird es bleiben.
    Das Geld regiert die Welt. Aber so lange es Leute mit Herz und Hand gibt, wird der Fußball und die Menschlichkeit an einem Strang ziehen. Bei uns Borussen, im Verein, bei den Spielern und Verantwortlichen ist dieser Strang sehr eng. Auch wenn Eberl in seiner ersten Stellungnahme (Hornochsen)komplett übers Ziel geschossen ist. Diesen Fauxpas verzeihe ich ihm.

    Antwort
  • 15. April 2020 um 13:43
    Permalink

    Soso, die Ultraszene nutzt also die aktuelle Krise um ihr Image aufzupolieren. Das ist auch gut so, denn es gibt das ein oder andere Bild zu korrigieren.

    Da waren die menschenverachtenden Auftritte gegen Herrn Hopp. Spätestens im nächsten Heimspiel gegen Hoffenheim wird sich dann zeigen, wie viel die Ultraszene dazu gelernt hat. (Auch mir wäre es lieber, statt Hoffenheim einen anderen Verein mit einer langen Fussballtradition in der Bundesliga zu haben. Das gibt mir aber noch lange nicht das Recht, die massgebende Person hinter dem Verein öffentlich als Zielscheibe zur Schau zu stellen.)

    Da war dann noch der Auftritt der Ultras nach dem Geisterspiel gegen Köln, welches im Nachgang unserem Verein ebenfalls deutschlandweit Negativschlagzeilen eingebracht hat.

    Und schliesslich ist da noch die Haltung der Ultras zu den Geisterspielen, wohl wissend das ein Abbruch der Saison (welches die einzige Alternative zu den Geisterspielen wäre) für viele Vereine in der 1. und 2. Liga das Aus bedeuten könnte. Wie sieht es denn da mit der Solidarität aus? Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig und Hoffenheim können das locker wegstecken, aber wollen wir wirklich noch mehr Vereine aus dieser Gattung in der Liga?

    Um es klar zu sagen: Ich finde die Initiativen der Ultraszene in der Coronakrise gut, da sie helfen, das Bild dieser Gruppierung aufzupolieren. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass es einiges an Imageverbesserung zu tun gab und noch zu tun gibt.

    Antwort
    • 16. April 2020 um 10:56
      Permalink

      Nein, die Ultraszene nutzt eben nicht die aktuelle Krise um ihr Image aufzupolieren. Vielmehr macht sie das was sie immer tut: Solidarität zeigen und sich karikativ engagieren. Das macht sie weil es zu ihrem Lebensstil gehört und nicht, wie bei so vielen anderen, aus Marketingzwecken.

      Das mit dem Fadenkreuz übers Ziel hinausgeschossen wurde hat die Ultraszene doch längst selber zugegeben…

      Welche deutschlandweiten negativen Schlagzeilen meinst du? Sicherlich gab es Kritik, aber zum einen gab es damals das Kontaktverbot noch nicht und das handeln war völlig legal und zum anderen gab es auch genug Meinungen, z.B. vom Sky-Kommentator des Spiels, die das Verhalten positiv bewerteten.

      Zu dem Thema Geisterspiele gebe ich dir Recht, hier ist eine reine Ablehnung von diesen auf jeden Fall zu kurz gedacht. Allerdings habe ich auch noch nirgends gehört das die Gladbacher Ultraszene diese Haltung geäußert hat.

      Um es klar zu sagen: Die Ultraszene hat es nicht nötig an einer Imageverbesserung zu arbeiten, vielmehr sollten diejenigen die die Ultraszene immer massiv kritisieren sich mit dieser mal anständig auseinander setzen.

      Antwort
      • 16. April 2020 um 14:10
        Permalink

        Ganz so einfach ist es dann doch nicht:

        Zum Hoffenheimspiel: Mir ist noch sehr gut präsent wie die Ultraszene bei ihrer “Aktion” von der überwältigenden Mehrheit derjenigen Fans, die mit ganzen Herzen Spass und Freude am Fussball und diesem Verein haben, ausgepfiffen wurde. Das sind nämlich diejenigen Fans, die nie im Leben auf die Idee kommen würden, den Namen unseres Vereins zu beschmutzen. Ausserdem habe ich von Seiten der Ultras bisher noch keine Geste der Entschuldigung an Herrn Hopp gesehen. Apropos Herr Hopp: Auch Herr Hopp trägt mit seiner finanziellen Unterstützung der Firma CureVac zur Bewältigung dieser Krise bei. Denn auf einen Impfstoff werden wir früher oder später alle angewiesen sein. Die Welt ist eben doch etwas komplizierter …..

        Zum Geisterspiel gegen Köln: Deinen Worten entnehme ich, dass die Ultraszene erst eine behördliche Anordnung oder Weisung (Stichwort: Kontaktverbot) braucht, bis sie reagiert. Wie wäre es einmal mit selbständig und eigenverantwortlich mitdenken. Wenn man nur ein bisschen mitgedacht hätte, wäre man wahrscheinlich von selber darauf gekommen, warum dieses Spiel eben ohne Zuschauer stattfand. Sicherlich nicht, damit sich die Ultraszene nach dem Spiel zu einem freudigen Happening vor dem Stadion zusammenfinden konnte.

        Imageverbesserung? Leider mehr denn je.

        Antwort
        • 16. April 2020 um 15:06
          Permalink

          Erklärung der Ultraszene zu der Hopp-Aktion: https://sottocultura.de/hoffenheim-heimspiel/

          Ist ja schön das Herr Hopp sein Geld in eine Firma investiert die jetzt zufälligerweise zur Bewältigung der Krise beiträgt. Aber darf man ihn deswegen nicht mehr kritisieren? Mit dieser Argumentationslogik dürfte man auch keinen Mörder kritisieren, der mal nem Baby nen Lolli geschenkt hat…

          Ja im Nachhinein lässt sich schlau daher reden, aber zu dem Zeitpunkt war das öffentliche Leben noch im vollem Gange. Wahrscheinlich haben sich in vielen Kneipen auch n paar hundert Leute getroffen um das Spiel zusammen zu schauen, dass war genauso dumm. Es ist also mal wieder lächerlich hier gezielt die Ultras rauszupicken, nur weil diese halt vorm Stadion standen und nicht in ner Kneipe…

          Antwort
          • 16. April 2020 um 16:10
            Permalink

            Wenn man deine “Argumente” (und das schreibe ich bewusst in Anführungszeichen) liest, weiss man genau, warum so viele Fans Mühe mit der Ultraszene haben.

            Leider mal wieder eine Gelegenheit verpasst, schade.

  • 17. April 2020 um 13:00
    Permalink

    Anscheinend hast du meinen Argumenten nichts mehr entgegenzusetzen, also scheinen diese so schlecht nicht zu sein…

    Antwort
  • Pingback: Corona-Serie - Teil 4: Meine Liebe und Leidenschaft - MitGedacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert