Fehler im System
Ein kleiner HSV-Fan brachte das ganze Dilemma auf der Rückfahrt im Shuttle-Bus zum S-Bahnhof auf den Punkt. Der kleine Pimpf guckte seinen Vater mit strahlenden Augen an und flötete laut heraus: „Papa, das ist doch immer das gleiche: Wir gewinnen gegen die Großen – und verlieren dann doch eh wieder gegen die Kleinen.“ Der Vater nickte bedächtig und streichelte dem Sohnemann durchs Haar.
Die „Großen“ also. In diese Kategorie fällt unsere Borussia mittlerweile in der öffentlichen Fußball-Wahrnehmung. Und ehrlich: Aufgrund unserer jüngeren internationalen Vergangenheit und einem durchaus sehenswerten Kader (zumindest nach Bayern, Dortmund, Leverkusen und Wolfsburg) ist diese Einschätzung nicht gänzlich ungerechtfertigt. Dennoch zeigt die Einordnung auch: Die Erwartungshaltung ist gestiegen. Und anscheinend kann die Fohlenelf dieser momentan nicht wirklich gerecht werden.
Die 2:3-Niederlage bei einem momentan nicht wirklich starken Hamburger SV ging ohne Wenn und Aber in Ordnung. Eine ordentliche Anfangsphase mit dem durchaus verdienten 1:0-Führungstreffer durch Fabian Johnson reichte nicht aus, um einen oder gar drei Punkte mit an den Niederrhein zu nehmen. Denn vollkommen unverständlicherweise gab Borussia das Spiel nach einer Viertelstunde aus der Hand. Max Eberl fasst genau das nach Spielende perfekt zusammen: „HSV hat nicht gewonnen, wir haben verloren“.
Dem Spiel der Fohlenelf fehlte alles: Genauigkeit, Zielstrebigkeit, Härte, Körpersprache. Das Zeugnis dieses Spiels fällt dementsprechend vernichtend aus: Von „Führungsfigur“ Granit Xhaka? Nichts zu sehen! Die „Kreativen“ Mo Dahoud, Raffael, Lars Stindl und Fabian Johnson? Fanden kaum statt! Die Defensive um Martin Hinteregger und Andreas Christensen? Löchrig und unsicher! Obendrein muss sich auch Trainer André Schubert Kritik gefallen lassen: Sein Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel in der 57. Minute (Traoré für Dahoud und die Verschiebungen von Johnson, Nordtveit und Christensen) fruchtete kaum. Nur in den letzten fünf Minuten entwickelte Borussia ein klein wenig Druck. Dabei hätte der HSV zuvor schon locker die Tore vier, fünf und sechs erzielen können.
Das Spiel offenbarte einmal mehr die offensichtlichen Fehler im Schubert’schen Spielsystem: Die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen. Gegen schwächere Gegner wie Werder Bremen kann das bedingungslose Offensivspiel sicher mal gut gehen – und plötzlich steht es 5:1. Dass Werder aber zahlreiche Chancen hatte, wird im Nachgang gerne unter den Tisch gekehrt. Es hapert hinten! Fakt ist: Borussia kann nicht ständig zwei oder drei Tore kassieren. Das kann die zweifelsohne top besetzte Offensivabteilung einfach nicht wettmachen.
Dementsprechend muss der Trainer die Ordnung der Mannschaftsteile und die gemeinsame (!) Vor- und Rückwärtsbewegung perfektionieren. In den vergangenen Jahren legte sich die stets perfekt organisierte Fohlenelf den Gegner über 90 Minuten zurecht, um dann irgendwann eiskalt zuzuschlagen. Diese Fertigkeit fehlt aktuell vollends. Borussia hat mit 38 Gegentreffern die Drittmeisten der Liga. Das alleine Schubert zuzuschreiben wäre alleine aufgrund der Spieltage eins bis fünf unfair. Sein Spielsystem trägt dennoch nicht zur defensiven Stabilität bei.
Und so avancierte das Auswärtsspiel insgesamt (mal wieder) zu einem typischen Hamburg-Trip. Das Wetter wie das Spiel: Nicht besonders attraktiv. Dazu eine Stimmung unter aller Kanone – was sicher auch an den vielen Reeperbahn-Trips am Abend zuvor lag. Wir möchten unsere Reisegruppe von dieser Kritik übrigens keinesfalls ausschließen. Irgendwie war gestern überall der Wurm drin!
„Abhaken, weitermachen, siegen!“ Das muss nun die Devise sein. Am nächsten Wochenende kommt es zum Derby. Für uns Fans steht dabei neben dem sportlichen auch ein anderer Aspekt im Fokus: Das Spiel ist mal wieder von Sanktionen des DFB betroffen. Vermutlich wird uns nur eine Handvoll Kölner im Gästeblock gegenüber stehen, ca. 1000 „Effzeh“-Anhänger wollen dafür am Morgen durch Rheydt ziehen. Ob das so eine gute Idee ist, bleibt dahingestellt. Zur ganzen Thematik aber demnächst an dieser Stelle mehr!
Für die mittlerweile auf Platz sieben abgerutschte Mannschaft könnte das Derby hingegen die perfekte Gelegenheit sein, den durchwachsenen Saisonstart vergessen zu machen. Außerdem gilt es auch den schwachen Auftritt aus dem Hinspiel vergessen zu machen. Es dürfte also genügend Gründe geben, am Samstag endlich mal wieder zu gewinnen…
Mit “abhaken, weitermachen, siegen” ist es nicht getan. Die Spielerclique hat Borussia mit dieser desolaten und unverschämten Leistung einen Bärendienst erwiesen und dem Verein einen großen Imageschaden zugefügt. Die bisherige Kritiklosigkeit und Schönfärberei an der Leistung der Mannschaft muss aufhören, auch bei den Fans. Diese sollten einmal i h r e Leistung dagegenhalten: 700 km Hin-Rückfahrt (ab Düsseldorf) bei Regen und Schnee, 63 € Ticketpreis, zumindest bei mir, sowie Benzingeld und sonstige Ausgaben. Da geht mir das Getue von der heilen-Welt-Borussia gewaltig auf den Geist. Ich bin immer noch in Rage!