Geißböcke auf Bewährung
Im Fußball hielt lange die Redensart: ein Spiel hat 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland. Für das Landgericht Köln gilt nun: einer Horde Kölner Ultras wird der Prozess gemacht, am Ende tapsen sie wieder glückselig aus dem Gerichtssaal. Als verurteilte Straftäter zwar, aber auf Bewährung. MitGedacht. zum Prozess und aufkommendem Unverständnis.
Es bleibt nicht viel Verständnis, wenn man sich die nackten Wahrheiten anschaut. Vor etwas mehr als drei Jahren war ein Bus voller Borussen-Anhänger auf dem Weg gen Niederrhein, als sie an der Raststätte Montabaur nochmal ein Fast-Food-Restaurant besuchen wollten. An selbigen hockte auch eine Gruppe FC-Fans. Zunächst unterhielte man sich noch ganz anständig miteinander, doch schon kurzerhand später wurde aus Freundlichkeit Streit. Was nach Angaben der Beteiligten dann passierte, war schierer Wahnsinn.
Wieder auf der Autobahn bemerkte der Busfahrer, dass die Gruppe von schwarzen Vans verfolgt wurde, die ihn auf einen Rastplatz drängten und ihn dort zum Halten zwangen. Daraufhin stiegen die Kölner „bewaffnet mit rot-weißen Steinen, Ketten und Stahlrohren aus den Fahrzeugen aus und bewarfen unseren Bus damit“, so der Busfahrer damals. Scheiben zerbarsten und letztlich blieb dem Fahrer nichts anderes, als Vollgas zu geben und die Gruppe in Sicherheit zu bringen.
Vor ein paar Wochen dann, standen nach zähen Ermittlungen innerhalb der Kölner Fanszene drei Leute vor Gericht, die seitens der Justiz als Täter ausgemacht werden konnten. Berufsgruppe Anwaltssohn, Kfz-Lackierer und Sozialarbeiter. Alle geständig. Und alle sollen nicht direkt an den Wurfaktionen beteiligt sein – sondern nur die Karren gefahren haben.
Diese „Ehrlichkeit“ führte dann auch zu Verständnis seitens des Richters. Dieser sprach von einem „Augenblicks-Fehlverhalten“. Alle Angeklagten stünden „mit beiden Beinen im Leben“ und seien „vernünftige Menschen“. Letztendlich war es nur eine Art Machtdemonstration – nicht mehr und nicht weniger. Mit einem Strafmaß von sechs bis acht Monaten – zur Bewährung versteht sich – hätten sie nun „ihre Lektüre gelernt“.
Ganz ehrlich, hohes Gericht: Wo bleibt da bitte die Verhältnismäßigkeit? Klar, es lässt sich nur vermuten, wer nun was gemacht hat – dies herauszufinden, wäre Aufgabe der Justiz gewesen. Doch hier scheint dem deutschen Rechtsstaat dann doch das Handwerk gebunden zu sein. Da setzen sich drei hirnlose Idioten auf eine Anklagebank, vorher wurde wahrscheinlich schön innerhalb der Kölner Fanszene diskutiert, wer sich denn nun für seinen FC opfert und wenig zu verlieren hat. Dann werden die Bauernopfer präsentiert. Ganz großes Kino! Dass sich die drei nun angeblich von der Szene losgelöst hätten, ist auch nur ein Pfeifen im Wind und publikumswirksam.
Es soll hier nicht falsch verstanden werden, sicher lief rechtlich alles nach bestem Wissen und Gewissen ab. Dennoch bleibt – und da werdet Ihr uns sicher zustimmen – ein fader Beigeschmack bei der Sache. Wie kann es sein, dass mehrere Mini-Vans einen vollbesetzten Bus mit Borussen verfolgen können, diesen vollkommen unverhältnismäßig abdrängen, angreifen und bewerfen. Und am Ende der ganzen Geschichte stehen drei jämmerliche Bauernopfer vor Gericht?! Wo sind denn die anderen Versager, die versteckt hinter Strickmasken auf Unschuldige losgegangen sind?! Was ist das Ergebnis der damals so groß angelegten Razzia bei Kölner Hools?!
Im ersten Moment bleibt uns nichts außer Kopfschütteln. Doch leider muss man sich auch in diesem Zusammenhang eingestehen, dass unser Rechtsstaat so funktioniert. So lange es keine stichhaltigen Beweise gibt, kann auch niemanden rechtlich belangt werden. Trotzdem überwiegt auch bei uns das große Unverständnis.
Doch dieses Unverständnis reiht sich nun mehr in eine Vielzahl von Skurrilitäten in der jüngeren Vergangenheit. Angefangen mit unserer Entscheidung, das Derby zu boykottieren, hin zur Aufhebung der Stadionverbote für die Mitglieder der Kölner Ultraszene bis hin zur unlängst veröffentlichten Statistik der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze für die Saison 2014/2015.
Der oben beschriebene Vorfall hat sicher in erster Linie nichts mit dem Verhalten von Fußballfans rund um Fußballspiele zu tun. Klar, der Deckmantel war schon eine schwelende Rivalität zwischen Gladbach und der Domstadt – doch diese Straftaten hatten eine völlig neue Dimension der Gewalt angenommen. Dennoch ist es umso verwunderlicher, dass unser ganz besonderer Freund, Innenminister Jäger, dieses Fallbeispiel nicht aufgreifen ließ, als kürzlich die neuen Statistiken vorgestellt wurden.
Um satte 14 % sank praktisch die Anzahl der Strafverfahren im Rahmen von Fußballspielen – gar 24 % weniger Verletzte gab es dabei zu beklagen. Rund drei Viertel aller Straftaten registrierten die Behörden im Stadion oder im unmittelbaren Umfeld der Arena. So lautet die nackte Statistik, wenn man sie völlig ohne jegliche Interpretation und komplett kontextlos betrachtet.
Was die Polizei für sich jedoch darin sieht, ist ein gutes Zeichen und die Bestätigung, dass die Maßnahmen im Zuge von Fußballspielen – wie zum Beispiel geringe Gästekontingente bei Derbyspielen – greifen. „Das zeigt, dass das Bemühen um weniger Gewalt im Fußball von allen beteiligten Institutionen nicht nachlassen darf“, so der ZIS-Leiter. Und weiter: „Wir brauchen einen langfristigen Positivtrend, um die Situation im Grundsatz zu verbessern.“ Was das wohl zu bedeuten hat, kann sich jeder Fußballfan vorstellen…
Liebe Borussen, so langsam machen wir uns ernsthaft Sorgen. Auf der einen Seite kommen wirkliche Straftaten vor Gericht und müssen mit Stirnrunzeln betrachtet werden – auf der anderen Seite rühmt sich die Politik mit großen Erfolgen in der Gewaltprävention. Wenn sich nicht bald was ändert, kann all unser Bemühen, zum Scheitern verurteilt sein. Uns darf nicht unsere Identität gestohlen werden. Uns darf niemand vorgeben, wie wir unser „Fansein“ leben wollen. Wir müssen für das einstehen, was wir verkörpern. Was wir lieben. Was wir präsentieren wollen. Und eben nicht das, was andere uns diktieren.
Der Schulterschluss zwischen Mannschaft und Anhang, der vor allem nach dem verlorenen Derby sichtbar wurde, ist ein grandioses Zeichen nach innen wie gleichsam nach außen. Lasst uns daran anknüpfen. Für Borussia. Für unseren VFL und letztlich für den Erhalt unsere Fankultur.
Alle Fotos zu diesem Beitrag: Tim Siebmanns
Absolut richtig ist, dass die Ereignisse bei diesem Überfall definitiv keine Bewährung verdient haben. Wer Menschen auf diese Weise in Todesangst versetzt und mit seinen Handlungen Tötung billigend in Kauf nimmt, gehört erst einmal hinter Schloss und Riegel, bis er sich eines besseren besonnen hat.
Auf der anderen Seite leben wir glücklicherweise in einem der wenigen Länder auf der Welt, in der grundlegende rechtsstaatliche Regeln eine tragende Säule darstellen. In diesem Sinne müssen wir das Urteil akzeptieren.
Mehr als absolut richtig ist unsere Reaktion: Friedlich, mit Herzblut und Engagement für unsere Borussia, begleitet mit Achtung und Respekt (und warum nicht Freundschaft) für die Anhänger anderer Vereine, wie z.B. die aus der Stadt mit der großen Kirche 😉 , vorneweg gehen:
WIR sind ein Vorbild für die friedliche Fankultur!!!
So erlebt auch beim CL-Spiel gegen die Citizens, als der ganze Borussia-Park aufsprang und die ManCity Fans mit Beifall begrüßte.
Ein Ur-Borusse (1967 mit 7 Lenzen zum ersten Mal am Bökelberg, als unsere Fohlen ein standesgemäßes 3:0 gegen … naja, ratet mal …)