Hinrunden-Rückblick – Teil 1: Das Favre-Aus

Mit dem 3:2-Sieg gegen Darmstadt 98 geht eine turbulente Hinrunde zu Ende. Nach 17 Spieltagen rangiert Borussia auf einem beachtlichen vierten Tabellenplatz. Wir lassen die erste Hälfte der Saison Revue passieren. Teil 1 des MitGedacht.-Hinrunden-Rückblicks.

Im Sommer schien die Euphorie in Mönchengladbach keine Grenzen zu kennen. Wenige Wochen zuvor war Borussia grandios in die Champions League eingezogen. Die Fohlenelf endlich zurück in der europäischen Königsklasse – für viele Borussen ging ein Traum in Erfüllung. Und nicht nur für die Fans. Auch im Verein schien man sich in den Anfangsmonaten der Saison 2015/16 demonstrativ auf die Schulter zu klopfen. Die Marketing-Abteilung schlachtete fröhlich den Fan-Gesang „Auf, auf, auf “ aus. Die sportlichen Verantwortlichen lehnten sich zufrieden zurück und erklärten die Personalplanungen trotz der Abgänge der Leistungsträger Kruse und Kramer frühzeitig für abgeschlossen. Der Trainer wirkte so entspannt wie nie. Vielleicht zu entspannt?

Dass Borussia am Abend des 10. August den FC St. Pauli mit 4:1 abfertigte, schien Lucien Favre mal wieder Recht zu geben. Der Trainer hievte in der ersten Runde des DFB-Pokals die Youngsters Marvin Schulz und Andreas Christensen in die Startelf, verhalf außerdem den Neuzugängen Lars Stindl und Josip Drmic zu ihrem Startelf-Debüt. Borussia siegte – die Höhe des Erfolges täuschte allerdings ein wenig über einen doch eher bescheidenen Auftritt gegen einen (in Halbzeit zwei) überforderten Zweitligisten hinweg. Nach dem Spiel: Demonstratives Schulterklopfen.

Fehler im Borussia-Betriebsablauf

Der Kater folgte – nur sechs Tage später. Borussia versagte beim Liga-Auftakt in Dortmund vollends. Die gleiche Mannschaft, die montags in Hamburg noch gefeiert worden war, wurde von einem furiosen BVB gnadenlos auseinandergenommen. 0:4, eine schallende Ohrfeige. Nach dem Spiel brachte Lucien Favre das ganze Dilemma seiner Mannschaft auf den Punkt: „Dortmund war deutlich besser als wir und hat mit viel Tempo gespielt und sich gut bewegt. Wir haben gesehen, dass wir noch viel tun müssen, um unsere Stabilität zurückzubekommen.“

Während der Trainer warnte, ahnte ein Großteil der Fanszene noch nichts von der Schwere der Fehler im Borussia-Betriebsablauf. Selbst drei Wochen später, die Mannschaft hatte unterdessen Zuhause unglücklich gegen Mainz 05 als auch verdient in Bremen verloren, spürte man rund um den Borussia-Park noch keine allzu große Unruhe. Sicher, der eine oder andere Fan zeigte sich besorgt, war man doch eine längere Serie ohne Sieg seit Jahren nicht mehr gewohnt. Von einer Krise wollten die meisten aber nichts hören! Der auch von uns häufig benutzte Standard-Satz: „Man kann nicht erwarten, dass es immer gut läuft!“

Die meisten Fans waren sich schnell einig: Das Spiel gegen den Hamburger SV zu Beginn des vierten Spieltages würde den Umschwung bringen! Zwar fielen mit Hermann, Xhaka, Johnson und Dominguez gleich vier wichtige Spieler aus, Hoffnung legten die meisten Anhänger vor allem in die Rückkehr von Kapitän Martin Stranzl. Das Spiel geriet zum absoluten Desaster: Stranzl schied nach 65 Minuten schon wieder verletzt aus, Tony Jantschke erlebte als Xhaka-Vertreter im zentralen Mittelfeld einen rabenschwarzen Tag. Ergebnis des desaströsen Auftrittes: Im eigenen Stadion führte ein angeschlagener HSV die Fohlenelf regelrecht vor. Endergebnis 0:3.

Einige Profis bemängelten hinter vorgehaltener Hand die Einstellung ausgewählter Kollegen. Außerdem beklagten sich Spieler intern über das strikte Festhalten Favres an „seinem“ Spielsystem. Der Vorwurf: Der Trainer versuche trotz der prekären Situation weiterhin seine Spielidee durchzuziehen und gehe nicht auf die Verunsicherung innerhalb der Mannschaft ein.

Nach dem Spiel wirkte das Verhältnis zwischen den Spielern sowie zwischen Mannschaft und Trainer zum ersten Mal zerrüttet: Auch uns erreichten zu diesem Zeitpunkt erstmals Gerüchte über angebliche Dispute innerhalb der Mannschaft. Einige Profis bemängelten hinter vorgehaltener Hand die Einstellung ausgewählter Kollegen. Außerdem beklagten sich Spieler intern über das strikte Festhalten Favres an „seinem“ Spielsystem. Der Vorwurf: Der Trainer versuche trotz der prekären Situation weiterhin seine Spielidee durchzuziehen und gehe nicht auf die Verunsicherung innerhalb der Mannschaft ein. Das überfordere vor allem die neuen Spieler.

Die Mannschaft reagierte auf das Hamburg-Debakel mit einer Maßnahme, die man in Mönchengladbach bestens kennt – allerdings eher aus den diversen Krisenjahren der 2000er: Am Morgen nach dem Spiel trafen sich die Spieler zur gemeinsamen Aussprache. Die Mannschaft wollte, so erklärte es André Hahn im Nachhinein, „einige Dinge intern regeln“. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir wieder als Team auftreten und richtig Gas geben müssen“, so der Mittelfeldspieler. „Wir wollen jetzt in der Champions League deutlich besser starten als in der Liga.“

Borussia in der Königsklasse

Die Champions League – ein vollkommen neues Kapitel. Trotz der desaströsen sportlichen Situation machte sich der harte Kern der aktiven Fanszene Mitte September voller Vorfreude auf den Weg nach Spanien. Die Gruppenauslosung Ende August hatte Fans und Verein die von den Medien viel zitierte „Hammer-Gruppe“ beschert: Manchester City, Juventus Turin, FC Sevilla. Sportlich mehr als anspruchsvoll, fantechnisch annähernd perfekt – auch wenn die meisten Anhänger auf den ersten Gegner, den FC Sevilla, am liebsten verzichtet hätten, war man doch erst im Februar zur Europa League in Andalusien.

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Dennoch bevölkerten knapp 1.600 Borussen am Abend des 15. September den Gästeblock in Sevilla und lauschten zum ersten Mal in einem offiziellen Champions-League-Spiel der berüchtigten Hymne – obwohl sie dank der katastrophalen Lautsprecher-Anlage in Andalusien kaum zu verstehen war. Sportlich wurde es hingegen nur noch schlimmer! Vier Tage nach der Partie gegen Hamburg zeigte sich die Mannschaft auch in Spanien hoffnungslos unterlegen und ging sang und klanglos unter. Endergebnis: 0:3, wobei in diesem Spiel besonders das stümperhafte Defensiv-Verhalten der Fohlenelf ins Gewicht fiel. Die Folge: Drei Elfmeter. Nicht nur ein gebrauchter Abend, sondern auch der denkbar schlechteste Start in die Gruppenphase der Champions League.

Auch nach dem Sevilla-Spiel behielten die Fans die Nerven. Und zwar zurecht! Warum sollte man nach fünf schlechten Spielen den Stab über der Mannschaft brechen, die man in der vorangegangenen Saison noch in die Champions League gebrüllt hatte? Es galt vor allem eines: Die volle Unterstützung zu leisten! Außerdem war die aktive Fanszene in diesen Tagen auch gehörig mit sich selbst beschäftigt, stand vor ihr doch die wohl größte übergreifende Aktion seit der Demonstration für den Erhalt des Mythos Borussia (und gegen Stefan Effenberg) 2011 bevor: Die Organisation des Derby-Boykotts!

Ein Fan-Highlight: Das “Heimspiel gegen Köln”

Bereits Ende August hatte sich abgezeichnet, dass Borussia für das bevorstehende Derby am fünften Spieltag beim 1. FC Köln aus Sicherheitsgründen weniger als sieben Prozent des Gäste-Kontingentes erhalten würde: Anstatt der „normalen“ 4.800 (zehn Prozent) lediglich 3.300 Eintrittskarten. Diese sollten an die Fans nicht auf normalem Verkaufswege, sondern personalisiert ausgegeben werden, wobei sich die Polizei die Möglichkeit sicherte, die Daten verwenden zu dürfen. Die Spitze des Eisberges: Die frei gewordenen Plätze blieben nicht etwa frei. Der 1. FC Köln verkaufte diese Karten an seine eigenen Fans. Für den großen Teil der aktiven Fanszene der Borussia ein nicht hinnehmbarer Vorgang – zumal im letzten Aufeinandertreffen ja nicht man selber, sondern die Gegenseite, mit einem Platzsturm negativ aufgefallen war.

Nach einem Info-Abend im Fanhaus, bei dem Borussia-Geschäftsführer Stephan Schippers den Fans die Verein-Sichtweise erklären wollte, zeichnete sich ein klares Meinungsbild ab: Pro Boykott! Noch in der Nacht gründeten verschiedene Vertreter aus Ultra-, Normalo- und Kutten-Szene eine Initiative, die nur wenige Stunden später öffentlich zum Boykott und zur Gegenveranstaltung “Heimspiel gegen Köln” aufrief. Die Unterstützung aus der Fanszene fiel gigantisch aus: Über 300 Fanclubs unterstützten den Boykott-Aufruf letztlich. Am Spieltag setzten fast 2.000 Borussen in Mönchengladbach ein klares Zeichen gegen die unbegründeten Einschränkungen der Fankultur! In Erinnerung bleibt vor allem der verwaiste Gästeblock samt klarer Botschaft an die Politik: „Wollt ihr das?“

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Doch zurück zum Sportlichen: Wenige Tage vor dem Derby erklärten einige Vertreter besagter Initiative dem Mannschaftsrat die Boykott-Pläne. Das Gespräch verlief positiv, eigentlich glaubten alle Beteiligten an den Derbysieg – Boykott hin oder her. Es sollte anders kommen! Zwar präsentierte sich die Fohlenelf im Duell gegen den Erzrivalen defensiv wesentlich kompakter, in der Offensive lief aber weiterhin nur wenig zusammen. Letztlich kam es wie es kommen musste: Ein klassisches 0:0-Spiel ging durch eine Unachtsamkeit in der Verteidigung mit 0:1 verloren. Wieder nichts, trotz ordentlichem – jedoch blutlosem – Auftritt.

Die folgenden 48 Stunden werden wohl in die Historie der Borussia eingehen. Knapp zwei Stunden nach Abpfiff versammelten sich mehrere Hundert Borussen am Stadion, um die Mannschaft (wie zuvor öffentlich angekündigt) zu empfangen. Die Stimmung dabei kann mit einem Wort zusammengefasst werden: Angespannt! Schon wenige Minuten vor Ankunft der Mannschaft zeichnete sich ab, dass eine kleine Abordnung der aktiven Fanszene das Gespräch mit den Spielern suchen würde.

Der Favre-Abschied

Die Diskussion dauerte nur wenige Minuten, die Quintessenz war eindeutig: „Jetzt seid ihr gefordert! Wir Fans stehen noch einmal wie eine Wand hinter euch, sonst wird es ungemütlich!“ Überraschend: Während sich die ganze Mannschaft, samt Betreuer und Sportdirektor den Fans stellten und den Schulterschluss übten, sauste Chef-Trainer Lucien Favre in seinem dunklen Audi grußlos vom Hof. Die Überraschung erfolgte keine 24 Stunden später: Favre trat zurück!

Am Morgen des 20. Septembers hatte der Trainer seinen Berater bei Sportdirektor Max Eberl anrufen lassen. Eberl war gerade mit dem Hund unterwegs als um kurz vor halb acht sein Handy klingelte. Er wolle reden, ließ Favre über seinen Berater ausrichten. Eberl wusste wohl direkt was ihm bevorstand: Sein Cheftrainer wollte hinschmeißen – mal wieder!

Als Präsidium, Geschäftsführung und Sportdirektor dem Chef-Trainer auch am Nachmittag klar machten, dass man ihn nicht freistellen werde, machte Favre kurzen Prozess: Gegen halb acht am Abend verbreitete der Trainer seine Rücktrittserklärung über zwei Sport-Agenturen.

Sieben Mal war der eigenbrötlerische Schweizer mit diesem Wunsch schon bei seinem Vorgesetzten vorstellig geworden. Eberl kannte die Situation, vermutlich dachte er auch an diesem Sonntagmorgen, dass er die Situation schon wieder irgendwie hinbiegen könnte – so wie immer halt. Doch dieses Mal kam es anders. Selbst die Aussicht auf die baldige Rückkehr der Verletzten Dominguez, Hermann und Johnson konnte Favre nicht mehr zum Bleiben bewegen. Das Gespräch am Morgen verlief ergebnislos, die Gesprächsrunde vertagte sich auf den Nachmittag. Eberls Wunsch: Favre solle doch noch einmal in Ruhe über die Situation nachdenken. Der Trainer sah sich aber nicht mehr imstande, der Mannschaft zu helfen. Als Präsidium, Geschäftsführung und Sportdirektor dem Chef-Trainer auch am Nachmittag klar machten, dass man ihn nicht freistellen werde, machte Favre kurzen Prozess: Gegen halb acht am Abend verbreitete der Trainer seine Rücktrittserklärung über zwei Sport-Agenturen.

Das unwürdige Ende einer großartigen Ära!

Lest am Mittwoch in Teil zwei: Vom letzten Platz in die Champions-League-Ränge: André Schubert und die Verwandlung der Borussia! Warum der neue Trainer genau zur richtigen Zeit kam, was er alles richtig gemacht hat. Und: Alles zum Abschneiden der Borussia in Champions League, Liga und DFB-Pokal. Unser zweiter Teil des Hinrunden-Rückblickes.

Alle Fotos zu diesem Beitrag: MitGedacht., nordkurvenfotos.de

2 Gedanken zu „Hinrunden-Rückblick – Teil 1: Das Favre-Aus

  • 21. Dezember 2015 um 14:36
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    Ganz ordentlicher Beitrag mehr nicht! Den Derby Boykott fand ich richtig Mist, für mich wurde die Mannschaft in der schwierigen Situation im Stich gelassen!!! Woher ihr wissen wollt das der Coach schon 7 Mal hin schmeißen wollte bleibt mir auch schleierhaft!!!
    VG Holger

    Antwort
    • 21. Dezember 2015 um 16:04
      Permalink

      Hallo Holger. Schön, dass dich der Beitrag zumindest ein bisschen begeistern konnte. Deine Meinung zum Boykott ist vollkommen ok. Wir haben immer kommuniziert, dass jeder Borusse für sich selbst entscheiden muss, wie er damit umgeht. Natürlich werden wir unsere Quellen im Verein hier nicht veröffentlichen. Wir berichten aber nicht zum ersten Mal über die Zahl sieben! Du kannst uns glauben, dass wir als Fan-Blog aus der Fanszene sehr gut vernetzt sind. Viele Grüße und Dir eine stressfreie Vor-Weihnachtszeit. Die vier MitGedacht.’ler

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