Interview: “Unser FP war Jahrzehnte voraus”

Zum Abschluss unserer Winterpausen-Aktion haben wir uns mit Holger Heinemann getroffen, Mönchsbanden- und UMG-Gründungsmitglied. Der passionierte Fotograf hatte uns ein paar besondere Schätze aus seinem Archiv zukommen lassen: Bisher noch unveröffentlichte Choreo-Pläne und die dazugehörigen Fotos vom Bökelberg. Wir haben die Möglichkeit für ein ausführliches Gespräch über die Gladbacher Fanszene und Choreographien am Mythos Bökelberg genutzt. Heraus gekommen ist ein äußerst kurzweiliges und spannendes Interview.

Mitgedacht: Holger, vielen Dank für Deine Zeit. Wie bist Du einst in die Nordkurve gekommen?

Heinemann: Ich bin in der Saison 1994/1995, im Jahr unseres Pokalgewinns, erstmals zum Bökelberg gefahren. Vorher habe ich häufig Borussias Spiele hier in Frankfurt gesehen. Über den Fanclub Bergwinkel 91, in dem ich heute noch aktiv bin, wurden mir dann ein paar Leute aus der Szene vorgestellt, klassisch vom Fanprojekt und aus der Kutten-Szene. Da waren dann auch immer schon jüngere Leute dabei, die recht früh allein gefahren sind. Ich meine, ich war damals auch erst 13 Jahre alt.

Wie hast Du damals die Fanszenen im Allgemeinen wahrgenommen?

Ganz am Anfang hat mich das alles beeindruckt. Mein Vater hat bei meinem ersten Spiel in Frankfurt zu mir gesagt: „Schau auch mal auf dem Platz und nicht ständig rüber zum Gladbach-Block!“ Die Gladbacher Szene war damals auswärts schon extrem stark und zu Hause muss man sich nur das Pokalhalbfinale von 1992 gegen Leverkusen ansehen. Heftig, heftig! Die neuen Einflüsse kamen ja erst Ende der 90er Jahre. Dadurch, dass ich aus Frankfurt bin, habe ich viel von den Ultras Frankfurt gesehen. Was die abgerissen haben, war schon vom anderen Planeten. In Gladbach war die Stimmung in den 90ern riesig und ist dann eingebrochen. In Frankfurt ist das halt alles schon zehn Jahre früher passiert – die Szene war praktisch tot. Daher konnte man sich dort gut neu finden. Das hat mich beeindruckt und so habe ich Kontakt zu anderen Leuten in MG gesucht, die ähnlich begeistert waren.

Wie meinst Du das konkret?

Unsere Szene war in dem Sinne noch extrem intakt – also vor allem die alte Kutten-Szene. Dann haben wir unter der Schirmherrschaft des Fanprojektes die Mönchsbande gegründet, zunächst als losen Zusammenschluss von Fanclubs. Da waren auch einige Kutten-Clubs dabei, wie die Sauerländer oder die Spree-Borussen. Der Grundgedanke war: Wir wollen die Stimmung verbessern! Und so haben wir dann ultraorientierte Aktionen gefahren.

Kannst Du Beispiele nennen?

Es wurden Choreographien geplant oder Doppelhalter gestaltet. Außerdem gab es lange Diskussionen um die Einführung eines Vorsängers im Block 16. Doch obwohl es umstritten war, hatten wir es vergleichsweise leicht, in Sven Körber einen jungen und dennoch szenebekannten Fan auf den Zaun zu stellen.

Warum war ein solcher Vorsänger so umstritten?

Es gab damals das Gladbacher-Ideal, sich an englischen Vereinen zu orientieren. Die Generation vor uns verfolgte ganz klar die Idee, sich an Liverpool oder auch an Glasgower-Vereinen auszurichten. Mit CUNV, dem SF98 und schließlich uns kam da ein ganz neuer Strom, eine ganze neue Idee rein. Es war ein langer Kampf uns da zu etablieren.

Contra Commerz - "Das geht gar nicht"
Contra Commerz – “Das geht gar nicht”

Sah das denn die ganze Szene in Gladbach so?

Nein, das nicht. Es sind vermehrt Gruppierungen entstanden, wie beispielsweise die Niederrhein-Chaoten die eine ähnliche Idee verfolgten. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem klar war: Wir müssen was zusammen machen, auch wenn die Gruppen untereinander sich nicht immer grün waren. Es ist halt Mönchengladbach. Man kennt sich.

Wie habt Ihr das dann weitergetragen?

Im Frühjahr 2003, auf Initiative von Theo Weiß, dem ehemaligen Fanbeauftragten, setzten wir uns eines Abends nach einem Heimspiel zusammen. Da ging es ziemlich hin und her und um ehrlich zu sein: An eine Annäherung war erstmal nicht zu denken – auch aufgrund einiger persönlicher Differenzen. Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass da Potential ist, zusammen etwas auf die Beine zu stellen.

Und so sind die Ultras Mönchengladbach gegründet worden?

Ja, im September 2003. Wir haben aus mehreren Gruppierungen die Führungspersonen gewinnen können. Mit zunächst acht Mann haben wir dann im etwas größeren Rahmen losgelegt. Das Ganze ging dann bis uns 2008 die Zaunfahne geklaut wurde. Für mich persönlich war das auch dann das Ende meiner aktiven Zeit in der Ultra‘-Szene. Vor allem weil ich merkte, dass in Fußballszenen in Deutschland Gewalt eine zu große Rolle spielt.

Du sprichst die Gewalt an. Wie standet Ihr damals als UMG´ler zu dem bis heute breit diskutierten Thema?

Schon im letzten Jahr der UMG hat man gemerkt, dass die Gewalt in den bundesweiten Szenen eine wichtigere Rolle einnimmt. Wir hatten da aber eine klare Meinung: Für uns war das ein absolutes Tabu. Meines Erachtens hatten wir auch eine sehr gute, vernünftige Einstellung zum Thema Pyrotechnik.

"Seit 1919": Emotionaler Abschied vom Bökelberg.
“Seit 1919”: Emotionaler Abschied vom Bökelberg.

Stichwort Selbstverwaltung: Wie siehst Du das im Vergleich zu heute?

Viele Ultras haben es heute ebenfalls schwer, sich richtig zu positionieren. „Wir sind Ultras, keine Hooligans“, ist da ein gängiger Spruch. Aber die machen sich was vor, wenn es dazu kommt, stecken die meisten wohl nicht zurück. Obwohl sie die Dinge nicht beim Namen nennen und nicht in die Ecke gestellt werden wollen. Jede Szene hat ein gewisses Standing, auch wie sie sich hinsichtlich der Gewalt äußert. Wir hatten für uns damals ganz klar definiert, wie wir zu Pyro und Gewalt stehen und haben das gelebt. Es gab aber auch Ausreißer in die andere Richtung. Das war auch nicht immer einfach alles zu verantworten.

Was meinst Du damit?

Wir waren ja eine offene Szene. Jeder, der sich für Borussia engagieren wollte, hätte das bei den Ultras Mönchengladbach tun können. Dann rief aber Schippers eines morgens an: Es sei in Düsseldorf gesprayt worden, wer war das? Was sollte ich da sagen, ich hatte keine Ahnung. Es haben auch Leute in Hannover gesprayt und du hast erst Monate später erfahren, wer das war.

Schippers Anruf war dann nach dem Motto: „Ihr habt Eure Leute nicht im Griff?“

(Lacht) Genau. Und dann war es auch so, dass Leute in Ultras-Jacken zum Beispiel Pyro gezündet haben und wir fragten: „Was macht Ihr denn da?“ – „Ja, wir sind doch Ultras Mönchengladbach.“ – „Ach, komm doch erstmal bei uns in die Kneipe und trink mit uns und dann sehen wir weiter.“. Irgendwann stellst du dir die Frage, wie lange du das noch mittragen möchtest.

Wie sah Deine eigene Rolle bei der Mönchsbande und UMG aus?

Ich habe in diesen Zeiten die Pläne für Choreographien gemacht und mich ums Auslegen gekümmert – sozusagen für den Spieltag die Orga-Arbeit erledigt.

Kommen wir doch direkt mal zu dieser Organisation: Wie sah das damals konkret aus? 

Die ersten Choreographien waren ja in der Nordkurve recht schmerzfrei. Im Block 16 bzw. in der Nordkurve gab es damals auch diesen Mittelgang. Da ist es ja keine Kunst, den oberen Teil schwarz und den unteren grün zu gestalten. Obwohl man schon festhalten muss: Egal wie groß eine Choreo war, sie war für die damaligen Verhältnisse für uns schon geil.

Plaudern wir ein bisschen über eure Lerneffekte bei den Choreos: Ging dann auch mal was in die Hose?

Es ging einiges schief! Beim ersten Mal waren die Pappen zu klein – wir hatten mit DIN A4 angefangen bis wir gemerkt haben, dass das nicht aussieht und wirkt. Dann haben wir einmal eine Choreo gegen Köln, eine Derby-Sieger-Choreo, voll in den Sand gesetzt. Zwei Blockfahnen, Block 15 und 16, sind nicht zeitgleich hochgegangen. Das war wirklich peinlich.

Planung für das letzte Spiel am Bökelberg.
Planung für das letzte Spiel am Bökelberg.

Können wir uns vorstellen…

Es gibt auch wirklich nur ein Foto, auf dem die Choreo richtig drauf ist. In dem Moment, wo die hoch- und die runtergehende Fahne sich treffen. Und das gegen Köln, richtig bitter.

Wann habt ihr entschieden, nicht bloß die Nordkurve zu bespielen?

Irgendwann haben wir angefangen, die Haupttribüne mit in die Überlegungen einzubeziehen, was damals vergleichsweise schwierig war. Das ist so, als ob du heute die Haupttribüne mit einer Choreo ausstatten willst. Es gibt da gar nicht das Klientel für eine Choreo. Das war früher ähnlich wie heute.

Waren Choreografien damals in Deutschland schon weit verbreitet? 

Ja klar. Die Vorreiter waren wir nicht und ich muss wieder klar sagen, dass auch hier Frankfurt in Deutschland das Maß der Dinge war. Im Grunde waren sie in fast allem wahnsinnig verrückt. Das war das bisherige Fan-Sein einmal komplett auf Reset gedrückt. Völlig verrückt und nicht zu vergleichen mit unserer Szene. Das heißt aber nicht, dass man unsere Szene klein machen sollte. Im Gegenteil: Wir hatten eine viel buntere und vor allem intaktere alte Szene. Unser Fanprojekt war schon damals um Jahrzehnte voraus!

Wie war denn die Unterstützung im Verein? 

Das ging nach dem Motto „Macht einfach“. Damals waren ja schon Holger Spieker und Tower als Fanbeauftragte beim Verein tätig. Die haben das gemanagt. Nur beim Thema Aufräumen gab es immer ein bisschen Zoff, das wurde häufig nicht im gewünschten Maße durchgezogen. Vom Umfang her war das immer so eine Europalette Pappe. Auch Finanziell war es eine heikle Kiste, wie finanzierst Du das und so…da gab es aber auch schon ein paar Aktionen innerhalb der Liga. Sagt Euch „Contra Commerz“ etwas?

Leider nein…

Coca Cola hatte damals versucht in die Kurven der Stadien zu kommen, indem sie sagten: „Wir spenden jeder Fanszene einen Betrag, mit dem Ihr eine Choreografie machen dürft. Und wer die beste Choreografie macht gewinnt.“ Und dann wurde das bei ran-Sat.1 immer vor jedem Spiel gezeigt. Es ging über zwei Spieltage, so dass jeder ein Heimspiel hatte. Und natürlich haben wir gesagt: Das geht gar nicht! Bloß jetzt nicht noch Coca Cola hier groß machen.

Ihr habt also beschlossen, Euch rauszuhalten?

Genau, wir haben für uns beschlossen, wir machen das nicht. Wir sind sogar noch ein bisschen weiter gegangen und haben eine bundesweite Aktion „Contra Commerz“ gestartet, den Namen im Coca Cola Schriftzug gestaltet und uns dagegen aufgelehnt. Und jetzt könnt Ihr raten was passiert ist?!

Wir sind gespannt…

Eine andere Gladbacher Gruppe hat die Coca-Cola gemacht und wie es halt so bei Abstimm-Aktionen mit Gladbacher Beteiligung immer ist auch gewonnen. Die Choreo war schon cool, weil sie finanziell anders machbar war. Ich weiß gar nicht mehr, wie sie aussah – sie war aber auf jeden Fall über beide Haupttribünen-Ränge. Da war durch Cola genug Kohle für da.

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Borussia-Schriftzug am Bökelberg: Selbst die Gästefans zur Süd hin beteiligten sich.

Dementsprechend fielen Eure Choreos vergleichsweise kleiner aus?

Naja, wir hatten selber zwei große: Einmal gegen Bayern und einmal gegen 1860 München. Bei Bayern war das Problem, dass der letzte Haupttribünen-Block (zur Südkurven-Seite hin) der Sitzblock der Gäste war. Du musstest dem Gastverein ja ein gewisses Sitzplatz-Kontingent zur Verfügung stellen. Da war dann die Frage: Was machen wir jetzt? Tower hat dann mit dem Fanbeauftragten der Bayern gesprochen und gesagt „Macht doch bitte mit!“. Und tatsächlich haben die Bayern-Fans für uns die Pappen hochgehalten. Das war schon eine tolle Geschichte und eine schöne Choreo.

Wie sah sie genau aus? 

Die Tribüne zierte der große Schriftzug „Borussia“. Kurioserweise gab es aber vor dem Spiel einen kleinen Fauxpas: Als wir alle Pappen verteilt hatten und auf dem Platz unsere Arbeit begutachten wollten, mussten wir feststellen, dass wir einen Fehler eingebaut hatten. Irgendwer hatte einige Zettel vertauscht. Ein Buchstabe war zur Hälfte umgelegt und die andere Hälfte war das S. Also mussten wir noch einmal ran. Bittere Sache, aber auch das gehört dazu!

Bisher sprachen wir ja über Choreos zu Bökelberg-Zeiten. Aber Du warst ja auch noch im Borussia-Park aktiv: Wie sah es denn mit dem Umzug ins neue Stadion aus? 

Am Bökelberg hatten wir das Problem, dass die Sitzplätze bzw. die Verteilung nicht konstant waren. Wir haben bei einer Zählung der Sitze und Blöcke bemerkt, dass teilweise Plätze fehlen – also Pläne und Realität nicht übereinstimmen. Beim Borussia-Park habe ich mir noch zu Bauzeiten die exakten Pläne vom Architekten-Büro geben lassen. Das war für uns sehr gut, weil wir uns dann eine Excel-Datei mit der genauen Platzverteilung programmieren konnten.

Und das hat dann im neuen Stadion einwandfrei geklappt?

Um ehrlich zu sein, nein! Jedenfalls nicht immer zu 100 Prozent. Dennoch war es einfacher als am Bökelberg. Wir haben richtig gute Choreos auf die Beine gestellt, z.B. im ersten Heimspiel gegen Dortmund. Mit dem Slogan „Willkommen im Königreich unserer Borussia“ und einer Krone im Oberrang. Das war auf andere Art aufwendig und teuer, weil die Folien brandschutzsicher sein mussten. Unsere Herausforderung nun: Wo kriegen wir den Stoff her?!

Du hast die gute, alte Excel-Tabelle angesprochen: Wie lang hat die Planung einer Choreo so gedauert? 

Wenn die Idee stand, zwei Stunden. Die Excel-Tabelle war so gut, dass sie genau gezählt hat, was wir brauchen: Wie viele Blätter in welcher Farbe in welchem Block. Das war für uns natürlich total einfach. Endlich konnten wir unsere Leute, zum Beispiel zum Pappen-Verteilen, viel leichter einteilen.

Zuletzt gab es in der Champions League drei Choreos, die sogar das ganze Stadion mit einbezogen. Wie siehst du als Ex-Verantwortlicher diese Choreos?

Das ganze Stadion auszulegen, wie jetzt gegen Manchester, ist brutal. Da muss man schon den Hut ziehen.

Holger, zum Abschluss: Du warst nicht nur Choreo-Macher, sondern auch Fotograf. Sowohl im Borussia-Park als auch auf dem Bökelberg…

… Das war schon eine gute Zeit. Am Bökelberg war noch vieles anders. Damals konnten wir nach einer Choreo-Vorbereitung einfach auf den Platz gehen, um uns das mal anzugucken. Und als Fotograf bin ich wie wild rumgelaufen und kam überall hin. Mein Standard-Satz hieß: „Ich mach Fotos für die Fans!“ Da hat jeder die Tür aufgemacht und gesagt „Gut so, cool!“ Nicht wie heute, wenn es heißt „Sie haben eine Kamera mit Teleobjektiv, Sie dürfen nicht ins Stadion“.

Wir haben so viel über den Bökelberg gesprochen: Wie siehst Du das alte Stadiongelände heute? 

Ich fühle mich da nicht wohl. Du siehst diese Luxus-Bauten, die Leute gucken aus den Häusern heraus. Die müssen auch genervt sein, weil dauernd jemand kommt und Fotos macht. Ich habe mir damals noch bei Zeiten auch Luftaufnahmen gesichert, weil ich nicht will, dass dieses Stadion jemals in Vergessenheit gerät. Der Bökelberg ist einfach etwas ganz Besonderes. Ich werde dieses Stadion nie vergessen!

Lieber Holger, vielen Dank für dieses sehr kurzweilige und spannende Gespräch.

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 Alle Fotos und Medien zu diesem Beitrag: Holger Heinemann.

Ein Gedanke zu „Interview: “Unser FP war Jahrzehnte voraus”

  • 23. Januar 2016 um 23:07
    Permalink

    Schöner Rückblick, vielen Dank dafür! Vielleicht noch eine kleine Anekdote aus dieser Zeit:
    Die “Contra Commerz” Aktion im eigenen Stadion auf einem Spruchband (wurde auf der Ost präsentiert, soweit ich mich erinnere) hat damals für Aufregung gesorgt, weil auf jenem Spruchband auch das Logo des damals verbotenen Scenario Fanatico prangte. Fand der damalige Fanbeauftragte Holger Spiecker gar nicht gut (um es mal vorsichtig auszudrücken).

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