Steve, Alter!
Technisch mag Stefan Lainer nicht zu den Virtuosen in Borussias Kader gehören. Aber was dem Österreicher an Finesse fehlt, macht er mit Einsatz und Einstellung wett. Wir porträtieren den neuen Fanliebling. Wer sich im Übrigen über das fehlende “i” in der Überschrift wundert, dem sei Folge #78 des sehr einflussreichen Podcasts “Gemischtes Hack” empfohlen. Hackis wissen Bescheid!
Der Außenstürmer spürt seinen Atem im Nacken. Dann ist es auch schon zu spät. Der schnelle Rechtsverteidiger hat ihm den Ball vom Fuß gegrätscht. Seinen Körper dreht er geschickt ein und marschiert jetzt mit der Kugel am Fuß nach vorn. Ein Doppelpass im Mittelfeld und schon sprintet der 27-Jährige einem Steilpass zum Gegenangriff hinterher. Fast bis zur Grundlinie. Ohne den Kopf zu heben, schlägt er eine flache Flanke in den Rücken der Abwehr. Eine Szene, wie es sie – ohne nachzuschauen – sicher in jedem Spiel der Borussia in der laufenden Saison gab. Denn sie steht symptomatisch für unseren neuen Rechtsverteidiger Stefan Lainer. Und der Dauerbrenner ist nicht nur der Liebling von Trainer Marco Rose. Steve, Alter, Du wirst langsam zum Liebling der Fans!
Für etwas mehr als zwölf Millionen Euro ist der Österreicher im Sommer aus Salzburg an den Niederrhein gewechselt. Damit folgte er seinem Trainer Marco Rose, dessen Engagement mit der Verpflichtung Lainers einherzugehen schien. Schließlich war Lainer einer der Lieblinge des Trainers zu Salzburger Zeiten und ist es auch jetzt in Gladbach. In jedem Pflichtspiel der Saison 2019/20 stand Lainer in der ersten Elf. Nur gegen Hoffenheim und Augsburg war er nicht über die vollen 90 Minuten auf dem Rasen. Insbesondere in der heißen Phase der letzten Wochen spielte er am Limit, schleppte sich nach 60 Minuten schon über den Platz, um irgendwann die zweite oder dritte Luft zu bekommen.
Als seine Verpflichtung im Juni verkündet wurde, kam das für viele Fans überraschend. Die Position des Rechtsverteidigers bei Borussia identifizierten viele Borussen nicht als Problemfall. Rose empfand das Team dort aber mit Michael Lang und dem talentierten Jordan Beyer als noch verbesserungswürdig. Und die Leistungen Lainers geben dem Trainer Recht. Nicht umsonst soll ein Jahr zuvor schon Neapel an Lainer dran gewesen sein. Neapel-Boss Aurelio de Laurentiis ließ sich damals mit folgenden Worten zitieren: „Wir werden Stefan Lainer verpflichten!“
Eine Rennmaschine
Denn schnell wurde klar, dass die Art und Weise, wie Lainer die Rolle des Außenverteidigers interpretiert, genau die ist, die Rose für seinen Spielstil braucht: aggressives, nach vorne gerichtetes Verteidigen, schnelle Balleroberungen und viele Offensivläufe in hohem Tempo. Genau dieses Spiel macht ihn nicht nur bei seinem Trainer beliebt. Längst steht Stefan „Stevie“ Lainer auch bei unseren Fans hoch im Kurs. Denn Einsatzwille und das Kämpferische kann man dem Österreicher nie absprechen. „Ich werde natürlich auch mal müde. Aber vielleicht ein bisschen später als andere“, beschrieb er seine Ausdauerstärke mal gegenüber Sky-Sport-Austria.
Ein Blick auf die Sprintstatistik der Außenverteidiger zeigt, dass in der Bundesliga nur Dortmunds Hakimi häufiger sprintet. Lainer zog bislang 282 Mal das Tempo an. Aus dem Spiel heraus schlug „Stevie“ 29 Flanken, das ist noch ausbaufähig. In Borussias Kader ist er mit diesen Werten und mit bislang 749 intensiven Läufen aber Gladbachs Bester (Steve, Alter!) – was übrigens auch die Laufdistanz betrifft (117 Kilometer). Achja, die meisten Fouls bei Borussia gehen auch auf Lainers Konto.
Kein Rückschlag haut ihn um
Selbst in Spielen wie in der Liga gegen den BVB oder in der Europa League gegen Wolfsberg gibt Lainer keinen Ball verloren. Das Spiel vor vier Wochen in Dortmund könnte einer der Auslöser für Lainers Beliebtheit bei den Fans gewesen sein.
Denn das Spiel begann nicht optimal für den Rechtsverteidiger. Etwas fahrig wirkten seine Offensivläufe und der ein oder andere Pass landete beim Gegner. Aber Lainer hat sich in die Partie hineingekämpft. Ist immer wieder angelaufen. Hat immer wieder die Zweikämpfe gesucht – und sie auch immer häufiger gefunden. „Wenn ich auf dem Feld stehe, ist es egal, wenn auch etwas mal nicht klappen könnte. Da darfst du gar nicht so viel nachdenken“, findet Lainer. „Oft ist es sogar besser, du schaltest den Kopf mal aus und du marschierst.“ Das Außergewöhnliche: 13 Tage zuvor riss sich Lainer das Außenband im Sprunggelenk. Doch das wirft einen wie ihn nicht um. Im Gegenteil. Da fragen sich die Fans auf den Rängen schon: Steve, Alter, woher diese Power?
Die Frage, wer auf der Rechtsverteidigerposition spielen wird, stellt sich nicht mehr. Aktuell ist es nur schwer vorstellbar, wie unser aufwändiges und intensives Spiel ohne Lainer überhaupt funktionieren sollte. Es gibt vielen ein Gefühl der Sicherheit, wenn sie wissen, dass der Österreicher auf dem Platz steht. Denn er liefert die Mentalität, die Borussia in der abgelaufenen Saison zu oft hat vermissen lassen. Wir bezweifeln, dass es mit Stevie Lainer auf dem Feld nochmal eine erste Halbzeit wie gegen Fortuna Düsseldorf im März geben wird.
Hauptfach “Powerplay”
Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an der „Lainer-Liebe“: Ob wir wollen oder nicht, wir haben unseren starken Rechtsverteidiger einem in Fankreisen unbeliebten Energy-Drink zu verdanken. Stefan Lainer spielte, nachdem er 2006 seinen Heimatverein SV Seekirchen verlassen hatte, fast ausschließlich für Red Bull Salzburgs Jugendmannschaften. Dann für die Profis. Und die Geradlinigkeit, die man im Spiel der Mannschaften des Brauseherstellers erkennen kann, spiegelt sich auch im Spiel von Stefan Lainer wider.
Marco Roses Powerplay war Hauptfach in Stefan Lainers Ausbildung. Und er war einer der Klassenbesten. Zugegebenermaßen hatte der junge Lainer aber auch Vorkenntnisse. Schließlich ist der Vater, Leo Lainer, auch Profifußballer gewesen und machte über 500 Spiele in Österreichs Erster Liga. Und auf welcher Position? Genau: auf der rechten Abwehrseite.
Was Lainers Nebenfach betrifft: Fans konnten im Trainingslager schon einen kleinen Eindruck davon gewinnen, was Stevie für ein Typ ist. Beim Vorsingen, dem zur Pflicht gewordenen Aufnahmeritual für Neuankömmlinge in Borussias Kader, performte Lainer den „Anton aus Tirol“ von Dj Ötzi. Natürlich nicht halbherzig, sondern voller Inbrunst. Es dauerte nicht lange, da klatschte der ganze Speisesaal des Hotels am Tegernsee mit.
Dass man mit dem 27-Jährigen Spaß haben kann, hat auch Konrad Laimer von RB Leipzig bemerkt. Beide kennen sich aus gemeinsamen Zeiten in Salzburg. Ausflüge auf die Kirmes, Videos von gemeinsamen Tanzeinlagen oder Trips mit dem Motorboot sind im Internet gut dokumentiert. Und für die Meisterfeier der Salzburger im Juni besorgte Lainer mit zwei Mannschaftskollegen das Bier – nur für einen Imagefilm des Vereins natürlich. Aber weil im Auto nicht genug Platz für 925 Liter war, organisierte Lainer spontan eine Kutsche. Schauspielerisch zwar keine Top-Leistung. Aber authentisch. Lainer ist ein Spieler, der völlig ohne Selbstdarstellung auskommt. Er drängt sich nicht in den Vordergund. Er lässt Sprints, Zweikämpfe und gewonnene Zweikämpfe sprechen.
Wir finden, dass Lainer als Typ eine Bereicherung für Mannschaft und Verein ist. Steve, Alter, Du Maschine!
Foto zu diesem Beitrag: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images