Träume leben.

Jeder von uns hat diese eine Geschichte, wie er zur Borussia kam. Für einen MitGedacht.-Autoren war es der Großvater und der gemeinsame Pokaltraum 1995. Sowohl für den Großvater als auch seinen Enkel wird das Pokalhalbfinale gegen Frankfurt eine ganz besondere Partie sein – eine Erinnerung an frühere Zeiten. Die Fohlenelf kann Historisches schaffen und den langen Wunsch nach einem Finale in Berlin erfüllen.

Vergangenen Dezember saß ich am Flughafen in Barcelona und wartete auf meinen Rückflug. Neben mir hockte Jochen, ein gemütlicher und erfahrener Anhänger, mit dem ich leicht ins Gespräch kam. Über Borussia, über die neuen und alten Fohlen und über die Reiselust unserer Anhängerschaft. Hier mal zehntausend Leute nach Rom, da mal wieder achttausend Fans nach Manchester. „Aber weißt Du, was der absolute Wahnsinn war?“, fragt er mich dann. „Mit 45.000 in Berlin 1995 den Finalerfolg feiern. Das war der Hammer“. 45.000 Borussen im Olympiastadion? Eine schier unvorstellbare, magische Zahl, die genügt, mich träumen zu lassen. Berlin. Einmal nur Berlin.

Mit dem Opa zur Borussia

Jeder von uns hat diese eine Geschichte, wie er zur Borussia kam. Bei mir war es der Opa. Ein Flüchtlingskind aus dem ehemaligen Schlesien, der kurz nach dem Krieg am Niederrhein aufschlug und einige Jahre später erstmals Spiele der Borussia in der 2. Liga West schaute. Hauptsache Fußball halt. Noch heute könnte er mir, wenn für alles andere etwas in die Jahre gekommen, aus dem Stehgreif die Geschichten von früher erzählen. Mit dem Rad bei Wind und Wetter über die Felder nach Mönchengladbach und später – in den erfolgreichen 70ern – ins Düsseldorfer Rheinstadion. Europapokalsiege. Meisterschaften. Die Geburt der Fohlenelf vom Bökelberg. Und irgendwann, ja irgendwann, kam dann ich.

Anfang der 90er schleppte mich mein Opa die Eickener Höhe hinauf. Mein erstes Bundesliga-Spiel. Ich kleiner Steppke an Großvaters Hand, das Sitzkissen fest unterm Arm, weit vor Anpfiff im Stadion, den Jungen auf den Wellenbrecher gepackt und der F-Jugend beim Kick auf dem großen Feld zugesehen. So ging Fußball. Das war das, was für uns alle zwei Wochen die Welt bedeutete. Und heute? Heute knallen wir uns morgens in den Billigflieger unseres Vertrauens, lassen uns für weniger als 24 Stunden an die spanische Mittelmeer-Küste kutschieren und wundern uns tags drauf, dass das ja doch was anstrengend war. Anstrengend? Wir wissen doch gar nicht, was das bedeutet.

Die Aufregung vor den Spielen war schier unerträglich 

Früher, wenn Mutter einem erzählt hatte, dass Opa wieder eine Karte für mich besorgte, konnte ich vier Tage vorher schon kein Auge mehr zumachen. Nachts lag ich mit Lampe im Bett und durchforstete den Bundesliga-Almanach. All das in der Hoffnung vielleicht doch noch irgendeine Chance zu haben, mich kurz vor Schluss selber einzuwechseln und vor der Nordkurve das entscheidende Tor zu machen. Dann von meinen Teamkollegen namens Effenberg, Kamps und Pflipsen gefeiert zu werden und der ran-Bundesliga ein Siegerinterview zu geben. All das war genug, um mich selbst in den Schlaf zu wiegen. Im ersten Borussen-Trikot selbstverständlich, mit aufgemalter Nummer 7 auf dem Rücken und einer langsam aber sicher immer leerer werdenden Taschenlampe neben dem Kopfkissen. Ach, diese Träume – so schön, so farbenfroh, so friedlich.

Eines hingegen bleibt bis heute in meinem Kopf verankert: Das Pokalendspiel 1995. Es ging damals gegen den VFL Wolfsburg. Über Offenbach, Mainz, Schalke und Kaiserslautern schafften es die Mannen von Trainer Bernd Krauss bis in das Finale am 24. Juni. Ein Finale, bei dem auch ich mit Opa sehr gerne dabei gewesen wäre, doch es stand die Realität des Kindseins im Wege: Familienurlaub mit den Großeltern. Auf Pellworm. Wo es zwischen Deichen und dem Leuchtturm nicht viel mehr als rote Grütze und Ferienhäuser gab.

Erst VHS-Kassette dann ab in die Gladbacher Altstadt

Die Rückfahrt war natürlich auch für eben diesen Final-Samstag geplant. Selbst das Spiel im TV zu schauen, blieb uns also verwehrt. Es wurden daher sämtliche Verwandte angehalten das Spiel zumindest auf VHS-Kassette aufzunehmen, damit wir uns wenigstens an der Wiederholung erfreuen können. Doch irgendwie war das ja auch nicht das Wahre. Ich war enttäuscht. Während Martin Dahlin, Stefan Effenberg und Heiko Herrlich unseren VFL zum letzten großen Pokalerfolg schossen, saß ich im überhitzen Toyota Richtung Rheinland. Es war frustrierend und ich war knatschig. Doch mein Opa wäre nicht mein Opa, wenn er für den Folgetag nicht eine kleine Überraschung parat gehabt hätte.

Am Morgen danach wurde ich unsanft aus dem Schlaf gerissen, ich solle doch mal mitkommen. Kurz noch anziehen und die 2-Minuten-Sanduhr beim Zähneputzen überstehen und dann stand er da im Flur: „Wir fahren nach Gladbach“, sagte Opa und ich war perplex. Meine Helden, der DFB-Pokal und Opa. Es war das Größte, kann ich noch heute sagen. Er war der Größte. Gemeinsam bahnten wir uns den Weg durch die Gassen der Vitusstadt, ich auf seinen Schultern und er immer bedacht darauf, dass ich auch genug sehen konnte. Ein Meer voller glückseliger Borussen. Siegestrunken, fröhlich und vollendet – Borussia DFB-Pokalsieger 1995. Ein Tag, wie kein Traum ihn hätte darstellen können. Einfach perfekt.

Ihm noch einmal meine, die neue Borussia zeigen

Leider ist der liebe Großvater nun in die Jahre gekommen. Seit längerer Zeit haben wir es nicht mehr zusammen in den Borussia-Park geschafft. Auch das Altwerden gehört eben zum Leben dazu. Doch seit jeher habe ich noch diesen einen Wunsch: Ich will ihm seine Borussia noch einmal zeigen. All die spannenden, bewegenden und teilweise tragischen Geschichten aus „seiner“ Zeit sollen liebend gern wiederholt werden. Eine Symbiose aus seinen damaligen Erlebnissen und der heutigen Fohlenelf, meiner Borussia. Wir gemeinsam in Berlin mit dem DFB-Pokal. 22 Jahre danach. Etwas gealtert, aber nimmer müde ob unserer Unterstützung für die Raute.

Und so oft standen wir kurz davor. 2001 gegen Union. 2004 in Aachen. 2012 gegen die Bayern und vor zwei Jahren das klägliche Aus in Bielefeld. Das alles ist aber nun Geschichte und es gilt nun die Möglichkeit zu erhalten, weitere Stories in die Geschichtsbücher einzutragen. Und vielleicht – so hoffe ich – geht es im Mai nochmal nach Berlin. Vielleicht mit 45.000, vielleicht mit 50.000, aber ganz gewiss mit Opa.

Danke für all die Träumereien, für die Deine Geschichten Nahrung waren. Für die Möglichkeit noch heute in Erinnerungen zu stöbern und meinen Hormonspiegel steigen zu lassen. Danke für jede noch so kleine Anekdote, die Borussia für mich zu dem machen, was sie heute ist: eine Herzensangelegenheit.

Morgen kommt die Eintracht aus Frankfurt und danach gibt es hoffentlich etwas zu Feiern – auch für Opa. Macht es für ihn. Macht es für unseren Traum. Auf geht’s, Borussia!

Foto zu diesem Beitrag: Nordkurvenfotos.de

9 Gedanken zu „Träume leben.

  • 24. April 2017 um 18:13
    Permalink

    Herrlich erfrischend geschrieben ?, danke

    Antwort
  • 24. April 2017 um 22:59
    Permalink

    Wunderbare Geschichte. Ich war 95 im Stadion dabei. Ich war 30 Jahre alt und habe geweint wie ein kleines Kind….

    Antwort
  • 25. April 2017 um 3:17
    Permalink

    Vielen Dank für diesen emotionalen Beitrag! Grüße auch an den Großvater. Alleine für Euch beide (und uns alle) MUSS das heute klappen!

    Antwort
  • 25. April 2017 um 4:53
    Permalink

    Superschöner Artikel. So entstand wirklich für viele von uns die Liebe zur Borussia. Vom Opa oder Vater angesteckt mit dem Virus ♥♥♥.

    Antwort
  • 25. April 2017 um 14:34
    Permalink

    Mittagspause im Auto, noch knapp sechs Stunden bis zum Spiel gegen Frankfurt….und dann dieser Text-Gänsehaut!!!!!
    Sooooo viel Erinnerungen an diesen Tag und dem Empfang. Soooo viel in diesem Bericht, das ich genauso unterschreiben kann. Gruß an den Opa….er ist auch mein Opa……

    Antwort
  • Pingback: Relegation 2011: Eine Zeitenwende für Borussia. - MitGedacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert