Borussia zwischen Verantwortung und Doppelmoral

Vorgestern Abend hat Borussia Mönchengladbach verkündet, dass das Heimspiel gegen Manchester City in Budapest stattfinden wird. Gestern dann gab der Verein bekannt, die Erklärung der Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) unterzeichnet zu haben. Die Verkündung dieser Meldungen innerhalb weniger Stunden zeigt in unseren Augen, wie sehr der aktuelle Fußball unter einer Doppelmoral leidet. Ein Kommentar!

Ebenso wie RB Leipzig wird nun also auch unsere Borussia ihr Champions-League-Heimspiel gegen Manchester City in Budapest austragen. Das liegt daran, dass in der Corona-Krise aktuell ein Einreiseverbot aus Großbritannien besteht. Dieses Verbot wird wohl auch am 24. Februar, dem geplanten Heimspieltermin, weiterhin gültig sein. Weil die Bestimmungen der UEFA die Heimmannschaft in die Pflicht nehmen, einen alternativen Spielort zu organisieren, war Borussia zum Handeln gezwungen.

Dass sich die UEFA als Ausrichter der Champions League in der pandemischen Ausnahmesituation erst einmal aus der Verantwortung stiehlt, spricht eine deutliche Sprache. Dafür können die Verantwortlichen unseres Vereins nichts. Und mit Blick auf die sportliche Bedeutung des Spiels ist es nachvollziehbar, dass Borussia alles unternimmt, um spielen zu können. Mit Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung sind Vorgehen und Spielort aber kritischer zu sehen. In den kommenden Wochen werden Fußballmannschaften quer über den Kontinent jetten. Wie skurril die ganze Situation ist, zeigt das Beispiel Spanien: So wird Real Sociedad sein Heimspiel gegen Manchester United in Turin austragen, während Molde und Hoffenheim für ihr Duell nach Spanien reisen. Logik? Gesellschaftliche Verantwortung? Demut in Pandemiezeiten? Nicht vorhanden!

Borussias IHRA-Unterzeichnung als wichtiges Zeichen

Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung wird Borussia dagegen mit einer Meldung des gestrigen Tages gerecht. Mit der Unterzeichnung der IHRA-Erklärung bekennt sich unser Verein zur Arbeitsdefinition Antisemitismus der IHRA. Die definiert Antisemitismus als “eine bestimme Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen”.

Das Bekenntnis zu dieser Definition ist einerseits wichtig, weil nur ein gemeinsames Verständnis davon, was Antisemitismus ist, den Kampf dagegen ermöglicht. Andererseits geht Borussia gemeinsam mit dem 1. FC Köln, Fortuna Düsseldorf und dem VfL Bochum mit gutem Beispiel voran und will so auch Amateurvereine zum Kampf gegen Antisemitismus aller Ausprägungen ermutigen. Borussia Mönchengladbach wird mit der Unterzeichung also der sozialen Verantwortung gerecht, die sie als Verein mit über 90.000 Mitgliedern hat. Ist aber dieses wichtige Zeichen mit der Entscheidung, nun ein Heimspiel in Budapest auszutragen, vereinbar? Wir finden: Nein!

Spiel in Budapest passt nicht zur Haltung des Vereins

Grundsätzlich hat die ungarische Regierung in den vergangenen Jahren verschiedene Gesetzesänderungen beschlossen und damit demokratische Institutionen und Prinzipien wie Pressefreiheit oder Gewaltenteilung geschwächt. Immer wieder fallen zudem Personen aus dem Umfeld der Orbán-Regierung mit antisemitischen Ausfällen auf, die regelmäßig ohne nennenswerte Konsequenzen bleiben. Ungarn unter Orbán steht für antisemitische Vorurteile und Diskriminierung. Nun ist ein nach Ungarn verlegtes Heimspiel natürlich kein Zeichen dafür, dass die Verantwortlichen unserer Borussia mit der Politik Orbáns einverstanden sind. Aber zumindest nutzt Borussia die Lücken in den Bestimmungen, die diese Regierung dem Spitzensport lässt.

Damit ist Borussia natürlich nicht alleine. Aber hätte man mit Blick auf das fast zeitgleiche Bekenntnis zum Kampf gegen Antisemitismus keinen anderen Austragungsort finden können? Vielleicht ein Land, das nicht autokratisch geführt wird und dessen Regierungschef sich nicht mit den Spielen schmücken und wohlmöglich auch noch zur Eigenwerbung im Stadion auftauchen wird? Ein Land, das freiheitlich-demokratisch geführt wird und die Würde aller Menschen achtet?

Borussia hält sich an alle Regeln

Sicherlich werden Kritikerinnen und Kritiker und vielleicht auch Borussia uns jetzt die Ausnahmesituation in der Pandemie vorhalten. Das Argument können wir aber nicht wirklich nachvollziehen. Zumal der Inzidenzwert in Budapest aktuell mit über 90 über dem in Deutschland liegt. Aber auch unabhängig von tagesaktuellen Zahlen ist die Austragung eines Spiels einer englischen und einer deutschen Mannschaft auf ungarischem Boden in Zeiten einer Pandemie ein katastrophales Signal. Der Profisport (und insbesondere der Fußball) schwebt mal wieder über den Dingen. Während für die Bürgerinnen und Bürger in Ungarn nächtliche Ausgangssperren gelten, genießen die Teams von Borussia und Manchester City Sonderregeln bei der Ein- und Ausreise.

Natürlich halten sich die Vereine an alle offiziellen Regeln und verstoßen gegen keine Gesetze. Zumindest dribbeln sie aber um Bestimmungen herum, um einen UEFA-Wettbewerb am Laufen halten. Das ist zwar regelkonform, aber eben nicht im Sinne der Pandemiebekämpfung. Analog könnte aktuell eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Deutschland im Homeoffice arbeiten und am Abend alleine einen Haushalt besuchen. Am nächsten Tag könnte dieselbe Person nach Feierabend in einen anderen Haushalt gehen. Und am nächsten Abend in den nächsten Haushalt. Das ganze könnte diese Person in einer Woche mit sieben Haushalten tun. Wäre das erlaubt? Ja. Wäre es im Sinne der Pandemiebekämpfung? Nein. Ein bisschen so wirkt das Handeln der Vereine, die nun in Drittländer ausweichen.

Hätte Borussia anders handeln können?

Doch wie hätte Borussia anders handeln sollen? Um gänzlich konsequent zu handeln, hätte der Verein das Spiel gegen Manchester City wohl abschenken müssen. Klar ist, dass Borussia auch unter wirtschaftlichem Druck steht. Schließlich haben auch wir Fans mittlerweile sportliche Ansprüche, die finanzielle Mittel erfordern. Da kommt das Geld aus der Champions League gelegen. Und natürlich finden auch diverse andere Spiele in Drittländern statt. Den Schuh muss sich natürlich längst nicht nur unsere Borussia anziehen und damit müssen wohl auch wir Fußballromantiker klarkommen – auch wenn wir diesen Wahnsinn nicht verstehen müssen.

Eigentlich sind wir stolz darauf, dass sich unser Verein in vielen Punkten seiner gesellschaftlichen Verantwortung und der Vorbildfunktion eines mitgliederstarken Vereins bewusst ist. Borussia steht definitiv zu starken Grundwerten und Prinzipien wie etwa der oben gelobten Unterzeichung der IHRA-Erklärung. Allerdings kommt in uns Fans immer öfter das Gefühl auf, dass diese Werte leider nur dann gelebt werden, wenn sportliche und finanzielle Interessen davon unberührt bleiben. Diesen Widerspruch hat unsere Borussia gestern allen Fans wieder einmal unmissverständlich vor Augen geführt. Sie ist ein weiteres Zeichen für die Entfremdung von Fans zum Profifußball!

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