Ab ins italienische Athen!

In der Zwischenrunde der Europa League geht es für Borussia zum AC Florenz. Sportlich wie fantechnisch ein gutes Los. Wir haben uns mal intensiver mit der Fiorentina beschäftigt – und mit Italien-Experte Kai Tippmann gesprochen.

Um ehrlich zu sein, hatten wir schon Sorge. Die Auslosung zur Europa-League-Zwischenrunde am Montag lief immer länger. Doch leider versteckte sich die Borussia genauso lange im Lostopf. Ein Traum-Los nach dem anderen rieselte uns durch die Hände. Nicht nach Prag, kein Saint-Etienne, doch nicht Kopenhagen. Wir sahen uns sogar schon wieder in Istanbul als unser Ex-Profi Patrik Andersson um 13.27 Uhr dann eine positive Überraschung hervor zauberte: Florenz! Ein starkes Los, weil sportlich und kulturell interessant.

Entschuldigt bitte, dass wir abseits des Sports anfangen. Denn Achtung, zuerst wird’s historisch! Was uns kulturell und städtetechnisch da am 23. Februar erwartet, gehört schon zum ganz großen italienischen Sport. Es geht in die größte Stadt einer der schönsten Regionen des Stiefel-Landes – wenn nicht gar Europas: die Toskana. Florenz ist eines der geschichtlichen Epizentren in Bella Italia. Aufgrund seiner kulturellen Bedeutung, insbesondere für die bildende Kunst, wird es schon seit dem 19. Jahrhundert auch als das „italienische Athen“ bezeichnet.

Jahr für Jahr zieht Florenz Millionen von Touristen an. Schenkt man dem Unternehmen „Euromonitor International“ und Wikipedia Glauben, reisten 2015 knapp 4,2 Millionen Besucher hierher. Besonderes touristisches Schmankerl: die historische Innenstadt, die seit 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Und wäre das alles nicht schon spannend genug, kürte das „Forbes Magazine“ Florenz einst zu einer der schönsten Städte der Welt – vor allem aufgrund der Vielzahl an Museen, Palästen und Denkmälern. Na dann!

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Nun aber zum Fußball – schließlich ist das der Grund, warum wir die ersten Karnevalstage 2017 am Niederrhein bzw. im Rheinland sausen lassen und uns auf den Weg gen Italien machen. Mit dem AC Florenz erwartet uns auch aus sportlicher Perspektive ein äußerst interessanter Klub. Die Fiorentina wurde 1926 gegründet und wurde seitdem zweimal Meister und sechsmal Pokalsieger. Allerdings liegen diese Erfolge schon ein bisschen zurück. Vom alten Glanz der Fiorentina ist nur wenig übrig – auch weil der Klub zwischendurch einen Abstecher in die zweite Liga (1993) machte und nach Lizenzproblemen 2002 sogar in der vierten Liga neu anfangen musste. Anschließend gelang allerdings der Durchmarsch in Liga eins, in der die Fiorentina seitdem wieder fester Bestandteil ist.

In den vergangenen Jahren qualifizierte sich der Verein regelmäßig für das internationale Geschäft – vor allem für die Europa League. Im Kampf um die Meisterschaft konnte Florenz aber seit Jahren kein Wörtchen mehr mitreden. Auch im aktuellen Kader fehlen die ganz großen Namen, jedoch haben wir einen alten Bekannten auf der Trainerbank gefunden: Paulo Sousa, immerhin Champions-League Sieger 1997 mit dem BVB. Momentan gehört die Fiorentina den Gebrüdern della Valle. Die Mehrheitsaktionäre beschäftigen sich vor allem mit Schuhmode (Hogan, Tod’s), haben darüber hinaus aber auch andere Beteiligungen und Aufsichtsratsposten in verschiedenen italienischen Konzernen.

Der Klub, der immer noch vor allem wegen seiner lilafarbenen Trikots bekannt ist, spielt im Stadio Artemio Franchi, das 1930-32 erbaut wurde. Aufgrund dieses Alters gehört das Stadion nicht wirklich zur Marke „hochmodern“. Die Besonderheit ist die Form der Tribünen, die aus der Luft betrachtet ein großes „D“ ergeben. Viele Beobachter sehen darin aus heutiger Sicht eine Referenz an den Faschisten Benito Mussolini, besser bekannt als „Duce“ – auf Deutsch: Führer. Italien-Experte Kai Tippmann sagte am Tag der Auslosung im Gespräch mit unserer Redaktion: „Leider ist die Akustik des offenen Stadions nicht förderlich, so dass sich richtig gute Stimmung oft nur bei ausverkauftem Haus und entsprechendem Spielverlauf einstellt.“

Trotzdem hat das Stadion sicher einen ganz bestimmten Charme, von dem im Auswärtssektor leider nur wenig zu spüren ist: Der Auswärtsblock ist ein Käfig mit meterhohen Zäunen. Nicht schön! Borussia wird für das Spiel wie immer knapp fünf Prozent der 47.282 Karten erhalten. Anders als zuerst hier vermutet, wird es dabei auf keinen Fall eine Aufstockung des Ticket-Kontingentes geben. Borussia erhält lediglich das übliche Gästekontingent von knapp 2.500 Eintrittskarten. Wie bereits in Rom und Turin werden alle Karten personalisiert. Es ist daher mehr als unwahrscheinlich, dass es einen öffentlichen Ticket-Verkauf über die Borussia geben wird.

Ob es sonst möglich sein wird, vor Ort an Tickets zu kommen, ist unklar. Selbst Italien-Experte Tippmann ist sich nicht sicher, ob es Einschränkungen geben wird – etwa dass deutsche Staatsangehörige keine Karten kaufen dürfen: „Ich habe zwar keine Informationen zur Ticketvergabe, aber da keine besondere Rivalität zwischen den Fanlagern besteht, sind im Normalfall keine schweren Sicherheitsauflagen zu erwarten. Italien wäre aber nicht Italien, wenn man sich darauf verlassen könnte.“ Eintrittskarten wird es vermutlich dennoch genug geben: Die Europa League ist in Italien nicht sehr beliebt. In den vergangenen Jahren war das Stadion im Wettbewerb nie ausverkauft, der Zuschauerschnitt in der Hinrunde lag bei knapp 13.000 Zuschauern. Die Frage wird nur sein, ob die Polizei einen Verkauf an deutsche Fans zulässt.

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Die aktiven Fans der Fiorentina stehen in der „Curva Fiesole“, mit Ausnahme der „Vieusseux“ (gegründet 1965!) und „Gruppo alla Zytta“, die sich in der gegenüberliegenden „Curva Ferrovia“ aufhalten. Bekannteste und größte Ultragruppe der Fiorentina war von 1978 bis 2011 die CAV, die „Collettivo Autonomo Viola“. Die CAV galt als geschichtsträchtige und landesweit respektierte Gruppe. Die Auflösung begründeten die Mitglieder darin, dass es nicht weiter möglich gewesen wäre, die Werte der Ultrà-Mentalität im repressionsgebeutelten Mutterland Italien weiterzuleben. Kurz zuvor hatte schon eine andere bekannte Gruppe, die „Gruppo Storico Ultras Viola“, ihren Rückzug angekündigt.

Trotz dieser Rückschläge zählt die Fiorentina-Fanszene bis heute zu den besten des Landes – auch wenn sich die Fankultur im ganzen Land in den vergangenen Jahren aufgrund der krassen Sicherheitsauflagen entscheidend verändert hat. Dennoch: „Florenz gehörte definitiv immer zu den sehr guten italienischen Szenen mit einem starken und kreativen Support. Ich hoffe, dass die Heimkurve sich für ein Europa-League-Spiel noch einmal richtig motivieren kann“, so Kai Tippmann.

Die größte Rivalität besteht zu Juventus, der man u.a. einige unfair erworbene Meistertitel vorwirft, aber auch die Abwerbung bedeutender Spieler. Eine Jahrzehnte alte, innige Freundschaft besteht hingegen zu Hellas Verona (seit 1976/77). Weitere wichtige Freundschaften bestehen zu Torino, Catanzaro und Sporting Lissabon. Italien-Experte Tippmann: „Die Fanszene ist offiziell unpolitisch; in ihrem inneren gibt es rechte wie linke Strömungen, die aber dem Fußball untergeordnet werden und zu keinen Verwerfungen führen. Besondere Aggressionen gegen internationale Vereine sind nicht zu erwarten.“

Fotos zu diesem Beitrag: weltfussball.de, beyondthefieldofplay.com, www.firenze-online.com

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