Etwas Richtiges im Falschen?

Neulich bei einem entspannten Sommerspaziergang durch die Mainzer Neustadt fiel sie mir auf: Eine junge Dame in schwarzem Pullover mit weißem Totenkopf! Das Symbol eines sportlich relativ unbedeutenden Vereins, wie selbstverständlich getragen hunderte Kilometer entfernt. Doch wofür steht St. Pauli eigentlich? Wofür steht der „Kult-Klub“ heute?

Zu der jungen Frau mit dem Totenkopf muss man wissen, dass die Mainzer Neustadt ein aufstrebendes Viertel ist. Immer mehr junge Leute zieht es in die Gegend, die Mieten steigen, schicke Läden entstehen, Eisdielen helfen beim Aufbau für Schulen in Afrika, Vegetarier oder Veganer kommen auf ihre Kosten, das Lieblings-Erfrischungsgetränk ist immer öfter Mate. Die einen tun das abwertend als „Hipster-Gegend“ ab, Andere nennen es „aufregend, kulturell vielfältig und bunt“. Am ehesten könnte man sich wahrscheinlich auf das Etikett „alternativ“ einigen.

Kurzum: Die Struktur des Stadtteils verändert sich. Das gefällt nicht jedem, da es häufig auch auf Kosten der alteingesessenen Bewohner geht. Kann man einen solchen Stadtteil denn überhaupt als „alternativ“ bezeichnen? Er wird doch vom Kapitalismus vereinnahmt. All diese Gedanken- und Argumentationsmuster lassen sich auch auf den FC St. Pauli übertragen.

Vielleicht ist der Totenkopf nervig

„Der Totenkopf wird doch heute nur noch als Lifestyle-Symbol getragen. Das hat doch keinen Bezug zum Fußball und ist kaum besser als die nervigen Slogans, die heute leider jeder Verein haben muss!“ Das waren die Worte eines Freundes. Sie brachten mich zum nachdenken. Tatsächlich habe ich schon viele Leute den Totenkopf tragen sehen. Tatsächlich hatten diese Leute nicht immer eine persönliche Verbindung zu Hamburg, St. Pauli oder überhaupt zum Fußball. Tatsächlich wird der Totenkopf heute in der ganzen Welt vermarktet. Und er ist tatsächlich nicht immer als ein direktes und uneingeschränktes Liebesbekenntnis zum reinen Fußballverein St. Pauli zu verstehen. Das ist vielleicht nervig!

Um die Geschichte des Totenkopfes aber beurteilen zu können, muss man sich näher mit der Geschichte des Hamburger Stadtteilklubs beschäftigen. Vor allem aber mit der Geschichte seiner Fanszene. Denn das muss man dem FC St. Pauli lassen: Der Verein lebt durch seine Fans.

„St. Pauli? Das ist doch links, irgendwie gegen Nazis und vor allem angeblich gegen alles was ‚Mainstream‘ ist.“ So oder so ähnlich sind wohl die ersten Worte der meisten Fußballfans über den Verein. Egal ob wohlwollend oder verächtlich gemeint. All diese Assoziationen haben ihren Ursprung allerdings erst Mitte der 1980er Jahre. Bis dahin war es ein gewöhnlicher Verein. Durch seine Lage immer geprägt von Hafenarbeitern und Geschäftsleuten. Immer etwas kleiner und stadtnäher als der große „Bruder“ HSV.

Ein Kiez im Wandel – und mit ihm der Verein

Als die Hamburger Hafenstraße von jungen, linksgerichteten Leuten besetzt wurde veränderte sich auch St. Pauli. Die Besetzung des Stadtteils wurde als Ansage an das bürgerliche Establishment verstanden. Aber wo ist nun der Bezug zum Fußball? Viele linksgerichtete, junge und fußballbegeisterte Leute sahen nun eine Chance. In der Kurve des HSV waren sie schon lange nicht mehr willkommen. Hier herrschte in den 1980er Jahren ein (zumindest unterschwelliger) rassistischer Konsens. Der Fall Adrian Maleika dürfte den meisten bekannt sein. Er war aber nur die Spitze des Eisbergs und legte schon lange bestehende Probleme lediglich offen.

Nun wandelte sich etwas im einstmals bürgerlichen Stadtteil St. Pauli. Mitten in der Innenstadt hingen junge Leute Fahnen auf, schmierten Parolen an die Wände und lieferten sich Gefechte mit der Polizei. Ein Aufbegehren, dass der fußballinteressierte Teil dieser Menschen auch als Aufruf verstand, sich eine Leidenschaft zurückzuholen: den Fußball. Sie drängten in die Nordkurve des FC St. Pauli. Hier wollten sie ein Gegenmodell zum oft ungezügelten Rassismus in der Kurve des HSV etablieren. Eine Kurve ohne Diskriminierung. Waren es zunächst nur wenige junge Leute, so schlossen sich immer mehr Interessierte an. Das Umfeld dieser Bewegung in der Kurve wurde größer, lauter und vor allem selbstbewusster. St. Pauli hatte nun vor allem eines: Kein Bock auf Nazis! Und so waren es auch diese aktiven Fans, die sich einmischten und etwas aus heutiger Sicht Selbstverständliches erreichten. Damals war es jedoch eine kleine Revolution. Hier ein Auszug aus §6 der Stadionordnung:

„[…]Verboten ist den Besuchern weiterhin:
a) Parolen zu rufen, die nach Art oder Inhalt geeignet sind, Dritte aufgrund ihrer/ihres Hautfarbe, Religion, Geschlechts oder sexuellen Orientierung zu diffamieren
b) Fahnen, Transparente, Aufnäher oder Kleidungsstücke zu tragen oder mitzuführen, deren Aufschrift geeignet ist, Dritte aufgrund ihrer/ihres Hautfarbe, Religion, Geschlechts oder sexuellen Orientierung zu diffamieren oder deren Aufschrift Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen zeigt
c) Kleidungsstücke zu tragen oder mitzuführen, deren Herstellung, Vertrieb oder Zielgruppe nach allgemein anerkannter Ansicht im rechtsextremen Feld anzusiedeln sind.[…]“

Aus heutiger Sicht mag es absurd klingen, von einer Revolution zu sprechen. Diese von Fans initiierte Stadionordnung wurde allerdings erst 1993 eingeführt und war zur damaligen Zeit einmalig im deutschen Fußball. Und völlig egal wie man zu St. Pauli steht: Jeder sollte diese Stadionordnung als eine Errungenschaft ansehen. Für diesen Fortschritt sollte jeder Fan den St.Pauli-Fans dankbar sein. Wer sich dieser Ordnung nicht beugen möchte, gehört nicht dazu. Wer nun behauptet, dass hier Politik und Fußball unnötigerweise vermischt wurden, hat es nicht verstanden. Die Politik brachten damals Nazis in die Kurve. In diesem speziellen Fall wurde, wie oben beschrieben, die HSV-Kurve zum Sperrgebiet für Andersdenkende. Diese schufen als Reaktion einen eigenen, diskriminierungsfreien Raum. Die Politik war schon vor dem neuen St. Pauli in den Stadien.

Der Totenkopf als Symbol des Widerstandes

Als einer der Höhepunkte dieser Jahre gilt das „Viva St. Pauli Festival“ im Jahr 1991. Die jungen Fans hatten sich mittlerweile in der Nordkurve am Millerntor etabliert. Aber nicht nur dort. Das Stadtteilfest hatte eine klare politische Aussage. Die Hafenstraße sollte als kultureller Raum erhalten werden. Der Verein stellte sein Stadion zur Verfügung. Die Veranstaltung brachte klare politische Aussagen mit sich. Es war von „Nazis raus“ bis „Deutschland muss sterben“ alles dabei. Die Toten Hosen und Slime traten unter anderem auf. Innerhalb von nur sechs Jahren hatten Fans den FC St. Pauli zu dem gemacht, was er heute für viele ist.

Aber was hat es dann mit diesem Totenkopf auf sich? Diesen brachte „Doc Mabuse“, ein St. Pauli Urgestein, in den 1980ern mit ins Stadion – als Symbol des Widerstandes an einen Besenstiel geheftet. Ein vielleicht nicht ganz ernstgemeinter Versuch ihn als Symbol zu etablieren. Es wurde nicht irgendein Symbol. Es wurde das Symbol! Und selbstverständlich ist es fraglich, ob ein weltweit vermarktetes Merchandisingsymbol noch für eine unangepasste und alternative Haltung stehen kann. Vielleicht taugt der Totenkopf dazu tatsächlich nicht mehr.

Vereint wie sonst nur in Buenos Aires

Möglicherweise hat der Totenkopf an Biss verloren, ist Teil des Systems geworden. Er steht jedoch weiterhin für gewisse Werte. Kein Nazi würde jemals einen St-Pauli-Totenkopf tragen. Er steht für einen Konsens der Antidiskriminierung und symbolisiert gewisse Grundwerte. Der Totenkopf und St. Pauli sind nie zu 100% konsequent gewesen. Authentisch bleibt es jedoch. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, würde Adorno sagen. Eben deshalb ist der FC St. Pauli jedoch so besonders. Er hat es geschafft sich im System zu etablieren, ohne dabei jedoch seine Prinzipien dauerhaft zu vergessen. Und der Totenkopf ist, anders als viele Slogans, eben keine Erfindung der Marketingabteilung, sondern die Idee eines Fans.

Eben dieses allumfassende Element des Vereins, diese von Fans angestoßene Umwälzung eines Vereins von unten, sollte jeden Fan faszinieren. Insbesondere die Subkultur der Ultras beansprucht doch immer wieder allumfassend zu sein. St Pauli ist allumfassend. St. Pauli umfasst Fußball, Gesellschaft, Politik, Kunst und den Stadtteil. Der Stadtteil und der Verein könnten nicht ohne einander. Wer durch Pauli geht, sieht Graffitis, Aufkleber und Referenzen an den Verein wie sonst kaum irgendwo in Deutschland. Diese Verbundenheit zwischen Stadtteil und Verein findet man sonst vielleicht nur in La Boca, Buenos Aires.

Trotz dieser Beschreibung, wollen wir am Montag natürlich trotzdem kein guter Gast auf dem Kiez sein. Wir wollen mit aller Macht in die nächste Runde, da ist alles andere egal. An die Stadionordnung in Pauli halten wir uns trotzdem gerne. Das sollte aber für jedes Spiel gelten. Auch bei uns sollte – wie im Borussia-Kodex festgelegt – kein Platz für Diskriminierung sein. Niemals! Also: Laut sein. Für Borussia!

Foto zu diesem Beitrag: nordkurvenfotos.de

2 Gedanken zu „Etwas Richtiges im Falschen?

  • 16. September 2016 um 15:25
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    Danke für den tollen Beitrag. Bringt ein wenig Licht ins Dunkel und klärt ein wenig über die Vorurteile auf. Was mich aber dennoch interessieren würde, ist, wie Verein und Fans zu diesem Wandel stehen. Für eingefleischte Fußballfans ist es sicher nicht schön, wenn ihr Verein gleichzeitig als Marke daherkommt; zwar die Interessen der Fans vertritt, aber eben nichts mehr mit Fußball am Hut hat.

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  • 2. November 2017 um 10:29
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    Leider nicht annähernd den fc st pauli getroffen… Dazu noch unsachlich geschrieben..

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