Yann Sommer – Teil 1: “Ich habe mir nie überlegt, auf die andere Seite zum Warm-Up zu gehen!”

Yann, wir fallen gleich zu Beginn mit der Tür ins Haus: Ein riesiges Thema in den letzten Wochen waren die sogenannten „Fanattacken“ gegen Dich, die in diversen Medien heiß diskutiert wurden. Was glaubst Du: Warum bist ausgerechnet Du in den Fokus gerückt?

Ich weiß es nicht, vielleicht lag es daran, dass ich am nächsten zur Kurve stehe. Was da passiert ist, das akzeptiere ich nicht. Punkt. Im Nachgang wurde ganze Thema aber von einigen Medien hochgespielt. Dabei hatte es sich für mich schon erledigt. Dass die Fans diese Saison enttäuscht sind, kann ich nachvollziehen. Wenn du jedes Wochenende im Stadion bist – auch auswärts – und deine Mannschaft gewinnt nicht, frustriert das. Es ist unser Job, das Beste für den Verein und die Fans zu erreichen.

Das Thema ist aus Deiner Sicht also endgültig erledigt?

Absolut, ich bin nicht nachtragend. Übrigens stammt das Thema, dass ich überlege auf die andere Seite zum Warm-Up zu gehen, nicht von mir. Das habe ich mir nie überlegt.

Wie ist es mit dem Satz: „Die Ultras nehmen sich viel zu wichtig.“ Da gab es in einigen Medien widersprüchliche Zitate. Kam das von Dir?“

Nein. Als mich Journalisten häufig darauf angesprochen haben, habe ich lediglich gesagt, dass es nicht förderlich ist, wenn dich deine eigenen Fans, die eigentlich guten Fußball von dir sehen wollen, vor Anpfiff beschimpfen. Wir haben das Spiel aber letztlich gewonnen und damit ist es für mich abgehakt.

Mal eine steile These von uns: Kannst Du Dir vorstellen, dass deine Präsenz in den sozialen Medien, in denen Du dein Hobby des Kochens mit der Öffentlichkeit teilst, der Grund gewesen sein könnte, weswegen Du in die Schusslinie geraten bist?

Das wäre aber traurig! Ich bin ein Spieler, der sehr professionell für den Fußball lebt und viel investiert. Aber Fußball ist nicht alles im Leben. Als Ausgleich habe ich angefangen, Gitarre zu spielen oder auch zu kochen  und zu fotografieren. Das sind alles Sachen, die ich gerne mache. Wenn mir irgendwann mal ein Fan kommt und sagt: „Hey, hör mal auf zu bloggen!“, dann sage ich: „Tut mir leid, ich leb mein Leben so, wie es mir gefällt.”

Es sind eben Hobbies, wie jeder andere sie auch hat. Nicht mehr und nicht weniger …

Genau, das ist mein Ausgleich. Fußball verlangt dem Körper viel ab, zudem ist der Sport heutzutage auch mit Druck verbunden, Das gehört zum Business dazu und man lebt damit. Wenn ich nach einem schlechten Spiel nach Hause komme, brauche ich Sachen zum Ausgleich. Das ist alles.

Du hast von Druck gesprochen und dass es mehr im Leben gibt als Fußball. Dieses Jahr wurde sehr viel über genau dieses Thema gesprochen. Gerade durch Per Mertesacker, der sich da sehr offen gezeigt hat. Wie stehst Du zur Debatte um den Druck im Fußball?

Ich spreche nur für mich: Ich arbeite schon relativ lange mit einem Mentaltrainer zusammen. Weil ich glaube, dass der Kopf gerade bei einem Torwart sehr wichtig ist. Du hast Druck, und darfst dir nicht viele Fehler erlauben. Ich habe jemanden gefunden, der mich meine ganze Karriere begleitet. Wir schauen zusammen auf Erlebnisse zurück und blicken nach vorne. Es tut gut neben der Familie jemanden zu haben, der das mit einer gewissen Distanz anschaut und das Geschäft gut kennt. Das ist ein wichtiger Austausch.

Gab es konkrete Situationen, in der Du als Profi besonders viel Druck verspürt hast?

Ich muss sagen, dass ich den Druck während des Spiels nicht so spüre – eher im Vorfeld, wenn die Anspannung kommt. Eine besondere Situation waren aber zum Beispiel die Play-Offs mit der Schweizer Nationalmannschaft gegen Nordirland. Wir wussten: ein ganzes Land erwartet, dass wir zur WM fahren. Dann haben wir im Spiel auf einmal gemerkt: „Der Gegner ist ja echt gut, die spielen hart und sind unangenehm.“ Das ist dann schon ein spezieller Druck. Aber bei mir ist es so, dass ich extrem gerne auf dem Platz stehe und Fußball spiele. Ich konzentriere mich auf das Spiel und genieße die Atmosphäre. Da kann ich den Druck gut ausblenden.

Foto: Fabio Rizetto für MitGedacht.

Ist der Druck für einen Torhüter noch viel größer als für einen Feldspieler?

Ich denke schon. Du darfst dir eigentlich keine Fehler erlauben. Das macht das Torwart-Spiel auf der einen Seite sehr spannend, sorgt aber auch für hohen Druck. Natürlich hat ein Spieler auch viel Verantwortung. Ein Stürmer, der in der 90. Minute alleine auf das Tor läuft und daneben schießt, kann auch für eine Niederlage verantwortlich gemacht werden. Dennoch: Wenn ein Torwart einen Fehler macht, ist der Ball meistens drin. Damit muss man gerade als junger Torwart lernen, umzugehen.

Ein Beispiel zuletzt war ja Sven Ulreich und sein Patzer im Champions-League-Halbfinale. Wie sehr leidet der Torwart Yann Sommer da mit dem Kollegen?

Als Torwart erkennst du relativ schnell, was der Kollege für eine Idee hatte. Natürlich leide ich dann mit. Die Ulreich-Situation ist ein gutes Beispiel: Ein blöder Moment in einem wichtigen Spiel und er ist der Buhmann, obwohl er vorher stark gehalten hat. Übrigens, das ist ein guter Punkt, der viel mit Druck im Torwartspiel zu tun hat: Ulreich hat bei Bayern angefangen und wurde – nachdem er nach Neuers Verletzung spielen durfte – extrem kritisiert. Das auszublenden und so zu spielen wie in dieser Saison, ist super stark. Das zeigt, dass er mit dem Druck umgehen kann. Davor habe ich Respekt!

Kommen wir zu Dir: Du bist satte vier Jahre bei Borussia. Was waren Deine besonderen Highlights?

Da gab es so viele! Die vier Jahre waren und sind für mich als Fußballer wunderschön. Ich bin damals vom FC Basel gekommen und in Gesprächen hat man mir gesagt: „Der große Traum der Borussia wäre mal wieder international dabei zu sein.“ Dieses Ziel wurde ja dann schon ohne mich erreicht, aber ich hätte nie gedacht, dass wir das dann so schnell noch toppen können. Und da sind wir auch schon bei meinen Highlights: Champions League Qualifikation mit Platz 3 in der ersten Saison. Zweite Saison Platz 4. Aber auch dann die dritte und vierte Saison jetzt. Da gab es zwar nicht so viele Highlights, bei denen viele Fans „Wow“ sagen. Aber dennoch merke ich, dass wir als Mannschaft immer noch mit schwierigen Situationen umgehen und gut Fußball spielen können.

Du hast von Borussias „Europa-Vision“ bei deiner Verpflichtung 2014 gesprochen. Was hat Dich noch dazu bewogen, in Gladbach zu unterschreiben?

Für mich war wichtig, dass ich als „Torwart“ spüre, dass der ganze Klub mich haben will. Es war nicht nur der Trainer, der gesagt hat: „Den Sommer holen wir mal.“ In allen Gesprächen habe ich gespürt: „Hey, wir wollen Dich, weil dein Torwart-Stil uns weiterbringen kann. Wir wollen den Weg weitergehen, den wir mit ter Stegen angefangen haben.“ Neben den Gesprächen und der Art Fußball zu spielen, wusste ich, dass Gladbach ein großer Traditionsverein ist. Ich habe auch in der Schweiz viel Bundesliga geschaut, wusste von der Stimmung hier. Diese Euphorie hat mich gereizt. Obwohl es anfangs nicht einfach war. Marc-André war ein Eigengewächs, das zum FC Barcelona wechselt. Das ist schon ein Kaliber und deshalb war das für mich eine große Herausforderung

Du hattest drei Trainer in vier Jahren, es gab viele Auf und Abs. Wie anstrengend und nervenaufreibend war diese Zeit für Dich?

Ach, relativ normal. Natürlich wurde man die letzten beiden Jahre mental etwas mehr gefordert als die vorherigen. Da waren wir in so einem Flow drin und haben tollen Fußball gespielt. Die Gegner wussten teilweise nicht, wie sie mit uns umgehen sollen. Dann haben wir im dritten Jahr irgendwann gemerkt, dass sich die anderen Vereine auf uns eingestellt haben. Die Trainerwechsel kamen hinzu und damit immer ein neuer Stil. Das darf man nicht unterschätzen: Es braucht immer seine Zeit, wenn man einen neuen Chef bekommt, der einen anderen Stil  einbringt. Aber die Mannschaft hat das in den letzten Jahren trotzdem gut gemacht.

Du hast den Bruch angesprochen: In den ersten drei Jahren hast Du stets europäisch gespielt. In dieser Saison nun zum ersten Mal nicht. Hat Borussia einen Rückschritt gemacht?

(Überlegt) Nein, was heißt Rückschritt auch? Fakt ist: Auch die anderen Mannschaften entwickeln sich immer weiter. Wir haben in den ersten beiden Jahren häufig Schwächen anderer Teams ausgenutzt. Dieses Glück brauchst du in einer langen Saison immer. Die anderen dürfen nicht gut spielen, du musst in einen Lauf kommen, dazu möglichst wenig Verletzte haben. Diese Faktoren sind in den Spielzeiten, in denen wir international spielen durften, eingetroffen. Auch in dieser Saison haben wir gesehen, dass wir gefährlich gut Fußball spielen können. Klar ist aber: Das sollte uns in Zukunft wieder öfter gelingen!

Hätte der mittlerweile aber doch recht prominent besetzte Kader mit allen seinen Möglichkeiten diese Konstanz aber nicht viel häufiger zeigen müssen?

Ich möchte hier definitiv keine Ausreden suchen, würde Euch aber gerne folgendes Beispiel geben: Stellt Euch ein Hotel vor und nehmt die zehn wichtigsten Akteure aus dem Gesamtgebilde raus. Der Hotelbetrieb wird nicht mehr funktionieren. Wenn Du als Mannschaft mitten in der Saison plötzlich zwölf Spieler ersetzen musst, noch dazu über einen langen Zeitraum, kannst du das als Mannschaft irgendwann nicht mehr auffangen. Du musst umbauen, dabei müsstest du für Erfolg eigentlich eingespielt sein. Das war in den vergangenen Jahren eigentlich immer der Fall. Ich glaube, wir haben das in dieser Saison trotzdem ordentlich gelöst – auch wenn wir uns definitiv mehr erhofft haben.

Mir ist zum Beispiel in den zwei letzten Heimspielen aufgefallen, dass die Stimmung wieder so war, wie ich den Borussia-Park kennengelernt habe. Ich hatte in diesen Spielen wieder eine richtige Gänsehaut, weil ich gedacht habe: ‘Ist das geil, hier Fußball zu spielen.’ Übrigens haben wir in diesen Spielen direkt wieder besser gespielt.

Klar sehen auch wir die vielen Verletzten und die schwierige Personalsituation. Viele Fans – auch uns – ärgern aber vor allem so extrem bittere und unnötige Niederlagen wie in Wolfsburg oder Freiburg…
Die diskutieren wir intern genauso kritisch. Wir haben viele Videositzungen sowohl nach Siegen als auch nach Niederlagen. Es wird alles auseinandergenommen: man schaut sich die Fehler an, die die Mannschaft gemacht hat, man diskutiert das, man spricht das an. Ich kann Euch definitiv sagen: Wenn wir da nach den Spielen in Wolfsburg oder Freiburg im Bus oder Flieger sitzen, dann ist die Stimmung schlecht. Gerade nach solchen Spielen habe ich eines wieder Besonders gemerkt!

Und zwar?
Wie abhängig wir vom Gewinnen sind. Das letzte Heimspiel gegen Freiburg war so ein Beispiel: Der Borussia Park ist voll, die Stimmung richtig gut, wir gewinnen 3:1. Dann weißt du genau: Sonntag und die ganze Woche hast du ein gutes Gefühl. Du bist gut drauf, positiv, voller Tatendrang. Wenn wir das letzte Heimspiel verloren hätten, stehst du am nächsten Morgen ganz anders auf, schläfst schlecht und das zieht sich über die nächsten Tagen hinweg.Trotzdem möchte ich an dieser Stelle kurz klarstellen: Es ist leider nicht möglich, 34 Spieltage auf einem Top-Level zu spielen. Auch wenn wir das sehr gerne machen würden!

Du bist vier Jahre hier, kannst es sehr gut einschätzen: Ist die Erwartungshaltung in Gladbach durch diese internationalen Jahre zu hoch?

(Überlegt) Ach, das ist doch menschlich und gehört auch ein bisschen zum Fußball dazu. Ich habe das auch bei Basel erlebt, als wir auf einmal im Champions-League-Achtelfinale oder im Europa- League-Halbfinale gespielt haben. Daran hat sich das Publikum schnell gewöhnt. Hier ist es ähnlich: Klar steigen die Ansprüche, wenn man plötzlich in der Champions-League spielt. Auch bei uns übrigens: Wir würden auch gerne jedes Jahr gegen Barcelona spielen. Es ist nur schade, wenn aus der Sehnsucht nach Erfolg plötzlich Unzufriedenheit wird. Das haben wir gesehen in einigen Spielen: Plötzlich werden junge Spieler, von denen wir einige haben, ausgepfiffen, wenn sie einen Rückpass spielen. Es wäre schade für den Verein, wenn wir uns die positive Grundstimmung so kaputt machen.

Du spielst auf den Sieg gegen den HSV kurz vor Weihnachten an, bei dem Cuisance und Oxford ausgepfiffen wurden und Max Eberl sich deutlich darüber aufgeregt hat…

Genau. Wir haben das auf dem Platz genau mitbekommen. Insgesamt kamen in dieser Saison schneller Pfiffe, wenn es mal nicht gut lief. Die gute Grundstimmung der letzten Jahre ging so ein bisschen verloren, es war zeitweise eine angespannte Atmosphäre im Stadion – speziell bei Rückpässen kam öfter ein Raunen. Und da muss ich ehrlich sagen: Schaut Euch das Alter von Oxford oder Cuisance an. Was sollen diese Jungs denken, wenn das ganze Stadion bei einem Rückpass pfeift? Vielleicht war es aber auch mal gut, dass in dieser Saison intensiv darüber diskutiert wurde. Mir ist zum Beispiel in den zwei letzten Heimspielen aufgefallen, dass die Stimmung wieder so war, wie ich den Borussia-Park kennengelernt habe. Ich hatte in diesen Spielen wieder eine richtige Gänsehaut, weil ich gedacht habe: „Ist das geil, hier Fußball zu spielen.“ Übrigens haben wir in diesen Spielen direkt wieder besser gespielt. Da sieht man mal wie wichtig die Grundstimmung auch für uns Spieler ist.


In Teil zwei unseres Interviews mit Yann Sommer: Wir sprechen über das Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt, die Debatte über Führungsspieler und das Niveau der Bundesliga. Freut euch drauf!



Alle Fotos zu diesem Beitrag: Fabio Rizzetto für MitGedacht.

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