Yann Sommer – Teil 2: “Ich finde, dass wir viele Typen haben!”

Im zweiten Teil unseres MitGedacht.-Interviews mit Yann Sommer spricht Borussias Nummer eins über den Vorwurf, dass es in der Mannschaft kaum Führungsspieler gäbe. Außerdem findet Sommer klare Worte zu den verlorenen wichtigen Spielen, zum Videobeweis und zur WM in Russland.


Yann, wir würden Dich gerne mit einem häufig wiederkehrenden Vorwurf konfrontieren, der der Mannschaft seit eineinhalb Jahren vorgehalten wird. In den „großen Spielen“, also Euro League gegen Schalke, Pokal gegen Frankfurt, vielleicht auch das Derby in Köln Anfang des Jahres, fehlt vielen Anhängern dieser letzte Wille, eine Art „Dolchstoßmentalität“ …
Kurze Gegenfrage: Sehr ihr das auch so?

Ja, schon! Am Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt kann man es gut erklären. Ein unangenehmer Gegner, klar. Aber wir sind klar besser, haben Torchancen ohne Ende. Dennoch fehlt irgendwie der letzte Punch, den Gegner im Heimspiel zu vernichten. Im Derby Anfang des Jahres das Gleiche: Es steht 1:1, wir können zumindest einen Punkt mitnehmen. Dann: Hackentrick am gegnerischen Sechzehner, Konter, Gegentor. Das finden wir ärgerlich!
Kann ich nachvollziehen, aber lasst mich das so erklären: Ich gebe euch recht, dass es natürlich auch dieses Jahr ein großes Problem war, dass wir oft zu viele Chancen gebraucht haben um ein Tor zu schießen oder auch hinten noch besser hätten verteidigen können. Kurz eine Anmerkung zum Schalke-Spiel: Mehr Pech als in diesem Spiel geht nicht! Jetzt aber zu Eurem Vorwurf, dass manchmal dieser letzte Punch fehle: Das kommt leider nicht auf (Sommer schnipst mit der Hand) Knopfdruck. Diese Saison ist ein gutes Beispiel: Dieses Auf und Ab, die ständigen Verletzungen, kaum konstantes Selbstvertrauen. Da hast Du keine Chance dieses ganz spezielle Fußball-Gefühl zu bekommen, das da lautet: „Wir gehen jetzt auf den Platz und schlagen den Gegner – egal wer da kommt!“ Das muss man sich als Team erarbeiten, mit vielen positiven Erlebnissen. Wenn aber Vieles gegen dich läuft, nagt das auch mal am Selbstvertrauen. Auch unser Ziel ist es, diese großen Spiele wieder für uns zu entscheiden. Denn um solche Partien und Siege geht’s ja schließlich!

Dann mal eine einfache Frage: Warum habt ihr diesen Lauf denn diese Saison nicht entwickeln können? Ist es wirklich so einfach, dass man sagt: Viele Verletzte, doof gelaufen?
Nein, das wollen wir sicher nicht nur mit den Verletzten erklären. Natürlich ist das ein wichtiger Punkt. Das haben wir jetzt auch gesehen, als ein paar Jungs zurückkamen. Das Konkurrenzverhalten im Team ist anders, du hast im Training viel mehr Möglichkeiten, es ist eine ganz andere Power, ein anderer Zug drin.

Ihr werdet die Debatte um die Hierarchie der Mannschaft mitbekommen haben: Viele Beobachter kritisieren, es gäbe zu wenige Führungsspieler. Siehst Du das genauso?
Überhaupt nicht. Natürlich braucht eine Mannschaft immer Zeit, wenn Spieler weggehen und es einen Umbruch gibt: Neue Typen kommen dazu, andere müssen in eine Führungsrolle hineinwachsen. Das geht nicht von heute auf morgen. Um es gleich mal deutlich zu sagen: Wir sind keine Mannschaft, die auf dem Platz rumbolzt und direkt mit sieben Mann beim Schiedsrichter steht, wenn einer gefoult wird. Das sind wir von den Typen einfach nicht und das kann man auch nicht erzwingen. Ich finde allerdings, dass wir trotzdem viele „Typen“ und Charaktere im Team haben – auf und auch neben dem Platz. Lars Stindl als Kapitän zum Beispiel, Vestergaard in der Innenverteidigung, aber auch Wendt, Kramer, Jantschke, Johnson, Raffael.

Der Verein stellt eine Mannschaft zusammen und wir als Spieler bzw. Führungsspieler müssen es dann hinbekommen, dass es im Team eine gute Mischung gibt und ein gutes Gefühl herrscht. Wir müssen der Anker für die jungen Spieler sein und zur Not auch in der Kabine mal Ansagen machen. Das muss sich jetzt weiter entwickeln und dafür brauchen wir noch etwas Zeit.

Du hast es angesprochen: Die Führungshierarchie hat sich verändert. Vor zwei Jahren gaben noch Stranzl, Brouwers, Xhaka oder Nordtveit den Ton an, diese Spieler sind weg. Braucht Ihr vielleicht einfach noch Zeit, um eine neue Hierarchie aufzubauen?
Da muss ich eine Gegenfrage stellen: Was habt Ihr gedacht als Granit Xhaka zu uns gekommen ist? So in den ersten fünf, sechs Spielen?

Dass das ein ganz schöner Hitzkopf ist.
Was noch?

Dass er ein bisschen überdreht. Und klar hat man auch gedacht, das ist nicht unbedingt der Spielertyp ist, …
…den wir in erster Linie brauchen.

Das stimmt, ja!
Seht ihr! Und was hat er gemacht? Er ist da reingewachsen. Und warum ist er das? Weil er das Vertrauen gespürt hat, weil er natürlich auch ein guter Fußballer ist, weil er auch Charakter hat. Ich habe seine ersten Jahre in der Schweiz ja auch beobachtet. Wenn Granit ein labiler Typ wäre, würde er heute nicht bei Arsenal spielen. Er ist jemand, der mit Druck umgehen kann und da reingewachsen ist. Genau da müssen wir jetzt auch mit anderen Jungs hinkommen. Umbrüche brauchen Zeit. Im Grunde ist es doch so: Der Verein stellt eine Mannschaft zusammen und wir als Spieler bzw. Führungsspieler müssen es dann hinbekommen, dass es im Team eine gute Mischung gibt und ein gutes Gefühl herrscht. Wir müssen der Anker für die jungen Spieler sein und zur Not auch in der Kabine mal Ansagen machen. Das muss sich jetzt weiter entwickeln und dafür brauchen wir noch etwas Zeit.

Wir haben jetzt schon öfter über die Verletzten in dieser Saison gesprochen. Um das Thema abzuschließen: Uns ist ein Zitat von Matze Ginter nach dem Hoffenheim-Spiel aufgefallen: „Profis sollen sich auch professionell verhalten, dazu gehören Regeneration, Ernährung, sportgerechtes Verhalten auch im Alltag und auch die Trainingssteuerung. Ich denke, dass wir nach der Saison jeden Stein umdrehen sollten, um den Grund herauszufinden“. Hat er Recht?
(Lächelt) Da müsst ihr ihn fragen.

Aber die Verletzten sind ja schon auffällig, jeder sucht nach dem Grund. Ihr, die medizinische Abteilung, der Verein vermutlich auch!
Es ist wirklich auch oft Pech. Lars Stindls Verletzung zum Beispiel, auch die Sachen bei Strobl oder Benes, bei denen du wirklich nicht viel machen kannst. Wir sind lange davon verschont geblieben, jetzt hat es uns voll getroffen. Es ist aber nicht möglich, die Frage nach den Ursachen als Spieler zu beantworten.

Abschließend zur Situation bei Borussia: Was wünscht Du Dir, damit es in der kommenden Saison für Dich, für die Mannschaft und für uns alle wieder zufriedenstellender läuft?
Ich wünsche mir in erster Linie, dass wir die Stimmung wieder langfristig so hinbekommen, wie das die letzten zwei Heimspielen der Fall war. Wenn wir wieder als Einheit auftreten, schaffen wir ein gutes Fundament für die ganze Saison. Ich möchte das noch einmal betonen: Viele Fans wissen gar nicht, wie sehr uns das beflügelt. Wenn da 50.000 Fans hinter uns stehen und Stimmung machen, hilft uns das in schwierigen Phasen extrem. Außerdem wünsche ich mir, dass das Bewusstsein da ist, dass auch in Zukunft immer mal wieder schwierige Phasen kommen werden. Ich wünsche mir, dass wir als Team wieder mehr Konstanz reinbekommen. Dass wir wieder in dieses positive Gefühl kriegen, das ich jetzt ein paar Mal beschrieben habe. Da sind speziell wir Führungsspieler gefragt, dass wir vorangehen, um dann mit Euch Fans wieder diese Einheit im Stadion zu bilden.

Zum Ende würden wir gerne noch über etwas allgemeinere Dinge aus dem Fußball sprechen: Seit einem Jahr gibt es den Videobeweis. Wie nimmst Du ihn aus Spieler-Sicht wahr?
Puh, ich glaube irgendwie, dass sich am Ende der Saison alles ausgleicht. Man hat Situationen, in denen es für einen läuft und Situationen, die gegen dich sind. Aber natürlich hat sich durch den Videobeweis einiges verändert, weil es viel mehr Unterbrechungen gibt. Und was ich besonders schade finde: Der erste Blick geht immer zum Schiedsrichter. Als Spieler weiß ich bei einem Tor gar nicht mehr, ob ich wirklich jubeln soll.

Frag mal uns Fans…
Ja, das glaube ich sofort. Auch auf dem Platz nimmt das die Ekstase schon etwas raus. Aber ich finde den Videobeweis keine schlechte Idee. Fehlentscheidungen darf zwar jeder Schiedsrichter machen, weil sie auch nur Menschen sind. Aber wenn der Videobeweis dazu führt, dass die klaren Fehler in Zukunft korrigiert werden, dann finde ich das okay.

Kurzer Einwurf zu den von Dir erwähnten Fehlentscheidungen: Haben die sich nicht auch schon vorher – ohne Videobeweis – ausgeglichen?!
Schon, aber der Fußball entwickelt sich. Wenn Du den Beweis nicht hast, hast Du ganz viele dieser Leute, die sagen: „Hätte man mal den Videobeweis gehabt!“ Hast du ihn, gibt es eben die andere Seite, die sich darüber aufregt. Schlussendlich probiert die Liga – ob man es jetzt nun gut findet oder nicht – das Spiel fairer zu machen. Sie wollen, dass Fehlentscheidungen eben seltener stattfinden. Das finde ich deshalb gut, weil es für Mannschaften, die ganz unten stehen, eben zum Problem werden kann. Die aktuellen Fälle haben aber auch gezeigt, dass auch der Videoschiri daneben liegen kann. Deshalb haben wir da schon noch etwas Arbeit vor uns. Es gibt Pro und Contra.

Das ist bei unserem nächsten Thema auch so: Viele Experten bemängeln, dass die Bundesliga international kaum noch mithalten könne. Was glaubst Du, woran das liegt? Könnten vielleicht alternative Finanzierungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen?
Natürlich finde ich es schade, dass in der vergangenen Saison nur wenigen Bundesligateams gelungen ist, international für Furore zu sorgen. Aber was dafür die Gründe sein könnten oder wie man das aufhalten könne, das sollen andere diskutieren.

Die WM ist ein schönes Erlebnis, ein richtiges Highlight. Und natürlich geben wir alles, um weiterzukommen. Unser Ziel ist es, die Gruppe zu überstehen, auch wenn es eine spannende Gruppe ist und Brasilien sicher der Favorit ist.

Dennoch die Frage: Wie siehst Du das Niveau der Bundesliga?
Ich finde es sehr gut. Die Bundesliga ist sehr ausgeglichen – mal abgesehen von den Bayern natürlich. Abseits der Spitze kann aber jedes Team jeden schlagen und das finde ich spannend, du bist jede Woche gefordert. Ich finde, die Liga hat wirklich ein gutes Niveau, auch wenn ich es nicht direkt mit anderen Ligen vergleichen kann, da ich ja bislang nur in der Schweiz und Deutschland gespielt habe. Wie seht Ihr die Debatte?

Wir finden es schon verheerend, wie schlecht die Liga international abschneidet. Dortmund fliegt gegen Salzburg raus – auch wenn die gut gespielt haben. Auch die Champions-League-Halbfinal-Spiele: Das Tempo ist schon extrem und kaum mit der Bundesliga zu vergleichen.
Habt Ihr Recht. Man muss aber auch sagen, dass ein Champions-League-Halbfinale schon die Creme de la Creme im internationalen Fußball ist. Ich finde, dass man das nicht mit der Liga vergleichen darf. Ich habe das Spiel der Bayern gegen Real natürlich auch gesehen: Mehr gibt es nicht und mehr geht auch nicht. Von der Technik, von der Geschwindigkeit. Das ist schon Wahnsinn!

Yann, bleiben wir abschließend beim internationalen Fußball: Für Dich steht ein spannender Sommer an. Das zweite Mal bist Du als Schweizer Stammkeeper bei einem großen Turnier dabei. Brasilien, Serbien, Costa Rica – da muss das WM-Achtelfinale doch drin sein, oder?
(Lacht) Das wäre schön! Ich freue mich wirklich riesig auf die WM und diesen Sommer. Wir haben uns dieses Turnier als Mannschaft erarbeitet. Ich freue mich auch auf die Euphorie im Land, wie wir sie schon während der EM in Frankreich erlebt haben. Das ist ein schönes Erlebnis, ein richtiges Highlight. Und natürlich geben wir alles, um weiterzukommen. Unser Ziel ist es, die Gruppe zu überstehen, auch wenn es eine spannende Gruppe ist und Brasilien sicher der Favorit ist.

Ihr habt eine talentierte Mannschaft, auch einige Stars dabei. Wie schätzt Ihr Eure Chancen generell ein?
Wir sind als Mannschaft in den letzten Jahren sehr gewachsen und haben viel Qualität dazugewonnen. Da haben wir eine richtig gute Mischung aus Erfahrung und Talent. Außerdem sammeln immer mehr Spieler Erfahrungen im Ausland und bringen diese jetzt mit in die Nationalmannschaft ein. Das bringt uns alle weiter. Aber so große Prognosen will ich nicht machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit dieser Mannschaft ein tolles Turnier spielen können.

Alle Fotos zu diesem Beitrag: Fabio Rizzetto für MitGedacht.

4 Gedanken zu „Yann Sommer – Teil 2: “Ich finde, dass wir viele Typen haben!”

  • 18. Mai 2018 um 21:16
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    Richtig tolles Interview ?? super gelungen. Und Sommer hat recht, wenn die Fans nicht hinter der Mannschaft steht, kann das nichts werden…

    Antwort
  • 19. Mai 2018 um 11:18
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    Sehr cooles interview. Gerade die kritischen Fragen zu Beginn des ersten Teils haben mir sehr gefallen ! Und großes Kompliment an Sommer, sehr kluge Antworten !

    Antwort
  • 19. Mai 2018 um 11:35
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    Hallo!
    Ich habe eine Frage wird es das video dazu irgendwann auch noch geben?
    Danke!

    Antwort
  • 23. Mai 2018 um 12:34
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    Klasse Interview was auch wieder beweist was für ein toller Typ der Yann Sommer ist. Gerne mehr davon 🙂

    Antwort

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