Das provozierte Momentum

Irgendwie geht es schon wieder los: eine staunende Nordkurve stand im Gästeblock des Millerntors und erfreute sich der zweiten Pokalrunde. Einhundertzwanzig Sekunden. Zwei Minuten. 2,22 Prozent der ganzen Partie am Millerntor haben ausgereicht, um ein Spiel zu drehen. Ein Spiel, das zwei Halbzeiten sah. Eine schwache und eine überragende. Lieber Herr Gesangsverein, was eine zweite Spielhälfte. Was ein Feuerwerk. Welche Dominanz die Mannen um Lucien Favre mal wieder (muss man sagen) ausgestrahlt haben. So scheint Fußball einfach zu gehen! So geht Borussia im Jahr 2015!

Dass der Gegner “nur” der FC St. Pauli und ein Zweitligist war, kann uns heute getrost egal sein. Auch, dass wir mit einem verdienten Rückstand in die Pause gingen – drauf geschissen. Am Ende steht auf unserer Habenseite eine vier und auf Seiten der Kiezkicker nur eine eins. Sieg. Egal wie.

Schon das ganze Wochenende über war unsere Vorfreude riesig. Das Einschlafen am Sonntag erinnerte ein bisschen an alte Zeiten: Nicht nur wir dürften uns ein bisschen gefühlt haben, wie früher einen Tag vor Weihnachten. Endlich ging es wieder los. Endlich wieder Fußball. Endlich wieder Pöbelei. Ach Borussia, was haben wir Dich vermisst.

Und so ging es dann frohen Mutes nach Hamburg – glücklicherweise mal ohne Dino und Hamburger-Perlen-Gejaule, sondern auf den Kiez. Die MitGedacht.-Fraktion traf schon früh in der Hansestadt ein. Weil das Wetter sich (hamburg-untypisch) von seiner Schokoladenseite präsentierte, quartierten wir uns kurzerhand in einer Fußball-Kneipe im Angesicht des Millerntor-Stadions ein.

Trotz aller Sankt-Pauli-Hasserei oder –Lobhudelei muss man vor dieser etwas anderen Fußball-Arena doch den Hut ziehen. Das Stadion beherbergt nur das Notwendigste, das ein moderner Fußball-Tempel braucht, und besticht eher durch ein gestriges Flair. Hervorzuheben sind an dieser Stelle sicher die vielen Stehplätze, die nostalgischen Flutlichter, die Nähe der Fans zum Spiel  und auch die Umgebung. Wir wünschen uns viel mehr dieser Arenen und kotzen innerlich im Strahl, wenn wir an die Auswärtsspiele in Ingolstadt, Hoffenheim, Augsburg oder Wolfsburg denken!

Foto: nordkurvenfotos.de
Foto: nordkurvenfotos.de

Vor dem Spiel rieben wir uns verwundert die Augen, ob der Aufstellung, die uns unser Trainerteam heute präsentierte. Klar hatten die Vorbereitungsspielen schon gezeigt, dass die Jungspunde Christensen und Schulz durchaus Optionen sind. Aber dass Favre auf die beiden Innenverteidiger zusammen im ersten Pflichtspiel der Saison setzte, zeigt einmal mehr: Bei Borussia vertraut man auch in dieser Saison auch jungen Spielern. Weiter so!

Das Spiel selber ging etwas zäh los. St. Pauli beschränkte sich auf ihre Tugenden: Rennen, kämpfen und sich von seinem ununterbrochen sangeslustigen Publikum nach vorne peitschen lassen. Der VFL hingegen versuchte zunächst eine gewisse Struktur ins Spiel zu bringen, was anfangs nur sehr schleppend gelang. Granit Xhaka zum Beispiel vermochte es nicht seine gefürchteten Flügelwechsel und steilen Pässe in die Spitze zu spielen (zumal dort auch wunderbar von St. Pauli zugestellt), sondern versuchte viel „klein-klein“ – mit der Konsequenz, dass er einmal zu kurz wurde und es derart lichterloh 16 Metern vor der Kiste brannte und ein Gegentor zur Folge hatte.

Doch wer nun dachte, die Borussia würde noch vor dem Halbzeitpfiff bedingungslos auf den Hamburger Kasten anrennen, hatte weit gefehlt. Es entstand etwas, was wir bei der Borussia seit ein paar Monaten erkennen können: ein Reifeprozess. Favre beruhigte seine Mannen und machte ihnen klar, dass das Wichtigste erst einmal ist, ungeschoren in die Halbzeit zu kommen, um dann eine neue Marschroute zu verkünden. Wir sagen es nicht oft, aber: Das ist die Qualität einer Spitzenmannschaft!

Als eine solche trat Borussia dann im zweiten Durchgang auf. Es folgte eine fußballerische Demonstration der Stärke. Eine Demontage. Ein Klassenunterschied. Die Fohlenelf verlagerte ihr Spiel zehn Meter nach vorne und brachte endlich Schwung und Schnelligkeit in ihre Aktionen. Angetrieben durch die immer stärker werdenden Sechser Xhaka und Stindl entwickelten nun auch die Offensivspieler wie Traoré immer mehr Zug. Nicht einmal zwei Minuten brauchte der VFL um die Lienen-Elf zu überrennen. Sie provozierte regelrecht ein spielerisches Momentum und nutzte dieses gleichzeitig eiskalt aus. Chapeau Borussia, das hat Spaß gemacht.

So lässt sich die Saison zweifelsfrei angehen: Mit Rückenwind. Mit Klasse. Mit dem Wissen, dass wir durchaus genau da weitermachen können, wo wir letzte Saison aufgehört haben – auch wenn sicher noch nicht alles perfekt zusammenpasst, wie das Beispiel Josip Drmic zeigt. Unser neuer „Neuner“ braucht einfach noch Zeit.

Zeit, die wir der Truppe nach diesem frischen Auftakt aber gerne einräumen. Freuen wir uns einfach auf die nächsten Wochen. Denn Kinder, was da alles auf uns wartet – Bundesliga-Auftakt, Champions-League-Auslosung und dann, ja dann, endlich die Hymne für die Besten in Europa. Und wenn die Herren Traoré, Stindl und Sommer weiterhin so viel Spaß an der Bolzerei haben, wie wir auf den Rängen, ist Einiges drin.

Am Montagabend war nach dem Spiel übrigens nicht mehr so viel drin. Irgendwie fragt man sich, wenn man um halb vier ins Bett wankt, dann doch, warum man das alles so macht! Spätestens am Samstag wird das aber schon wieder vergessen sein. Dann wollen wir mal sehen, wie sich der UI-Cup-Teilnehmer aus Dortmund so in der Liga präsentiert.

Fest steht jedenfalls schon jetzt: Es gibt nur eine Borussia!

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