Grasshoff 2.0

Zuerst nach dem Pokalspiel in Hamburg hochgelobt – am Samstagabend dann stark in der Kritik. Die Stimmung rund um die Borussia lässt sich beispielhaft an der in den letzten Wochen viel zitierten „Bubi-Abwehr“ erklären. Lucien Favre setzt auf junge Spieler, obwohl er erfahrene Alternativen hat. Ein Zeichen für die Entwicklung des Kaders.

Diese Entwicklung wurde im Laufe der Sommer-Transferperiode schon deutlich. In der Innenverteidigung wurden Andreas Christensen und Nico Elvedi geholt, beide europaweit als hoffnungsvolle Verteidiger-Talente bekannt. Auch Kruse-Ersatz Josip Drmic darf mit seinen 23 Jahren wohl noch zu den jungen, formbaren Spielern gezählt werden.

Dazu holte Max Eberl mit Djibril Sow und Mandela Egbo zwei Rohdiamanten, die über den Umweg der U23 an die Bundesliga herangeführt werden sollen. Und zu guter Letzt unterschrieb noch U21-Nationalspieler Nico Schulz für vier Jahre am Niederrhein. Ergo: Von allen Einkäufen sind nur Tobias Sippel und Lars Stindl als „erfahrene Spieler“ einzustufen. Zu wenig, um die Abgänge von Max Kruse und Christoph Kramer zu kompensieren?

Fakt ist: Borussia fehlen in dieser Saison zwei Spieler, die einen großen Anteil an der Entwicklung der letzten Jahre und am Erfolg der vergangenen Saison hatten. Kramer kämpfte gestern mit 250 anderen Pillendrehern um die Teilnahme an der Gruppenphase, Kruse tourt ab dieser Saison mit einem großen Automobilhersteller durch die Königsklasse. Auch im Hinblick auf die fehlende Erfahrung eines Weltmeisters und eines deutschen Nationalspielers wären andere Transfers nachvollziehbar gewesen.

Doch Max Eberl hat sich anders entschieden. Im Angesicht der bevorstehenden Saison ist seine gewählte Einkaufsstrategie bemerkenswert. In der Champions-League wird sich Borussia mit den besten Vereinen Europas messen. Wie wichtig in solchen Spielen der Faktor Erfahrung ist, konnte die Mannschaft bereits im vergangenen Jahr gegen Sevilla feststellen. In den engen KO-Spielen hätten dem Team ein oder zwei international erfahrene Spieler mit Sicherheit weitergeholfen.

Doch Eberl handelt anders, will mehr als nur kurzfristig ein gutes Bild in der Champions-League abgeben. Er möchte die Entwicklung weiterführen, die er bereits als Jugendkoordinator in Gang brachte. Sein Ziel ist es, den Begriff „Fohlenelf“, der 30 Jahre lang meist nur eine Plattitüde war und erst in den letzten Jahren wieder durch Talente aus dem eigenen Stall mit Leben gefüllt wurde, auch langfristig wieder zur Maxime des Vereins zu machen. Der Begriff „Fohlenelf“ soll wieder die Identität der Borussia werden

Es gibt genügend abschreckende Beispiele, die zeigen, dass die Champions-League neben einem Geldsegen auch ein Fluch sein kann. Werder Bremen erreichte Jahre lang die Königsklasse und hatte einen dementsprechenden Kader. Abgänge zu finanzkräftigeren Konkurrenten wurden meist kreativ, aber auch mit den nötigen Mitteln, kompensiert. Der Kader und der Verein waren von der Struktur her vollständig auf die Champions-League ausgerichtet. Nachdem der Wettbewerb immer häufiger verpasst wurde, begannen die finanziellen Probleme. Mit diesen Problemen hat der Verein bis heute zu kämpfen. So sehr zu kämpfen, dass es in den letzten Jahren nicht mehr um die Königsklasse ging. Knallharter Abstiegskampf heißt die Realität.

Der von Max Eberl geformte Kader ist dagegen sehr ausgeglichen und weist eine zukunftsträchtige Altersstruktur auf. Problematisch ist momentan nur die akute Situation, in der mit Stranzl und Dominguez wichtige Säulen der vergangenen Spielzeiten ausfallen. Für die Spiele in der Königsklasse werden gerade diese beiden Spieler wichtig sein, da sie neben ihrem großen sportlichen Wert auch die größte internationale Erfahrung vorweisen können.

Trotzdem: Dass Trainer Lucien Favre im Moment auf das Duo Christensen/Schulz setzt, ist positiv zu bewerten. Es zeigt, dass wir einen Trainer haben, der die Philosophie des Vereins unterstützt und Eberls Linie mitgeht. Er hätte am Samstag auch Tony Jantschke in die Innenverteidigung schieben und ihm Roel Brouwers zur Seite stellen können. Er tat es nicht und nahm das Risiko individueller Fehler in Kauf. Seine Begründung: „Sie sind gut. Ich vertraue ihnen.“

Genau dieses Vertrauen brauchen junge Spieler. Es ist eine Sache, junge talentierte Spieler zu finden und am Ende auch zu verpflichten. Die größten Diamanten bringen aber nichts, wenn sie nicht geschliffen werden. Favre galt immer als Trainer, der junge Spieler zu einer besonders guten Entwicklung zu verhelfen vermochte. Das hat er in den letzten viereinhalb Jahren auch bei uns gezeigt. Doch oft tut er sich schwer, Spielern den letzten Schritt, das Spiel in der Bundesliga, zuzutrauen. Das liegt auch an seinem komplexen System. Die Bubi-Abwehr ist in diesem Zusammenhang gar nicht hoch genug zu bewerten.

Auch wenn das Gefühl der Klatsche in Dortmund ein seltsames war – insbesondere nach dem Rausch der überragenden Rückrunde – es zeigt auch: Borussia geht seinen Weg. Und Borussia geht ihn konsequent. Für uns Fans heißt das: Die Mannschaft unterstützen, auch wenn es sportlich eng wird und vor allem auch jungen Spielern Fehler zugestehen. Langfristig gesehen werden Favre und Eberl unsere Gesichter, die den Verein prägen und hohe Ablösesummen entwickeln.

Und vielleicht prangt in einigen Jahren oder Jahrzehnten das Gesicht Eberls auf Waden, Wänden und Aufklebern in unserer Stadt. Ebenso wie Helmut Grasshoff bis heute präsent ist. Rund genug ist Eberls Gesicht sowieso!

Foto zu diesem Beitrag: nordkurvenfotos.de

Ein Gedanke zu „Grasshoff 2.0

  • 20. August 2015 um 17:46
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    Die Borussia geht seinen Weg!
    Wir gehen mit!

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