Herzlichen Glückwunsch, liebe Borussia!

Im letzten Geburtstagsbrief an Dich habe ich noch über dein unerwartetes Hoch im Alter sinniert. Um ehrlich zu sein ärgere ich mich nun ein wenig. Warum habe ich damals diese vorschnelle Entscheidung getroffen? War es die Euphorie aufgrund der vor uns liegenden Europa-League-Saison? War es die Sommerpausen-Langeweile? Gingen da einfach meine Gefühle mit mir durch? Nein! Mittlerweile weiß ich, dass das meine Skepsis, mein mangelndes Vertrauen in dein Potential und mein zu begrenzter Fußballsachverstand waren. Ich kann da nur auf deine Nachsicht hoffen und muss meinen Hut vor Dir ziehen, mal wieder!

Deinen 100. Geburtstag erlebtest Du noch als Zweitligist. Sportlich hattest Du gerade den Aufstieg verpasst, immerhin waren finanziell Fortschritte zu erahnen. Der Aufstieg gelang ein Jahr später und war wichtig für dein neues Eigenheim am Stadtrand. In dieses betonlastige Bauwerk zog es später nun auch uns zu regelmäßigen Besuchen. Komfortabel, ruhigere Lage, mehr Platz – das alles hörte sich irgendwie nach Altersresidenz an. Wir Fans waren besorgt: Sind Emotionen, wie wir sie in den engen Straßen rund um den Bökelberg und den miefigen Stehtraversen am Bökelberg erlebten, hier überhaupt möglich? Viele waren skeptisch.

Finanziell warst Du allerdings für das Alter deutlich abgesicherter als in deiner Wohnung im Stadtgebiet! Und ruhig blieb dein neues Heim ja auch nur äußerlich. Kurz vor deinem 105. Geburtstag musstest Du mal wieder erfolgreichen Klassenkampf betreiben. Das Experiment großer Namen à la Advocaat war gescheitert. Der bodenständige Gladbacher Horst Köppel hatte die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. 105 Jahre alt und weiterhin erstklassig! Aber eben ein ständiger Kampf.

Dem Tod mal wieder von der Schippe gesprungen

Ein Kampf, den Du im Jahr 2007 leider abermals verloren geben musstest. 107 Jahre und zweitklassig – viele wähnten Dich nun endgültig auf dem absteigenden Ast. Doch Dir gelang wieder der sofortige Weg zurück in die Beletage. Spätestens jetzt dachte ich, dass ich alles erlebt hatte mit Dir. Deftige Klatschen, Kantersiege, Startrainer, Edeltechniker, alternde Stars, gefallene Helden, Auswärtsdeppen, Aufstiege, Abstiege und (Zweitliga-) Meisterschaften… Doch mal wieder solltest Du mich eines Besseren belehren.

Kurz vor deinem 109. Geburtstag warst Du mal wieder unverschämt knapp von der Schippe gesprungen. Langer Ball. Neuville. Colautti. Ein Beben der Gefühle! Deinen letzten echten runden Geburtstag konntest Du auf dem zwölften Platz abschließen. Kein Zittern, keine Abstiegsangst – das tat gut! Dass Du den Kick aber noch liebst, bewiest Du uns ein Jahr später eindrucksvoll. Das Stichwort „de Camargo“ sollte reichen. Kurz vorher hatten Dich deine wahren Freunde noch vor den falschen Freunden bewahrt. Ehrensache!

Irgendwie lechztest Du seitdem nach besseren Zeiten. Denn unmittelbar nach deinem 112. Geburtstag ertönten plötzlich ganz besondere Klänge im Borussia-Park. Klänge die ich sonst nur auf der Couch zwischen Cola, Bier und Chips wahrnehmen durfte. Eine bis dahin andere Welt. Das Symbol der Königsklasse flatterte im Herzen deines trauten Heimes. Viele hatten Tränen in den Augen. Mindestens. Wer diesen Moment nicht fühlen konnte, muss gefühlskalt sein. Oder FC-Fan!

Drei (!) Mal diese Hymne!

Es war ein einzigartiger Moment, den Du uns dort in der Qualifikation zur Königklasse beschertest. Letztlich wurde es zwar nur die Europa-League, die internationalen Touren mit dir werde ich trotzdem nie vergessen. Als wir im Jahr deines 114. Ehrentages schon wieder eine Reise durch Europa – dieses Mal nach Sarajevo – planten, dachte ich: Schöner kann es nicht werden. Deshalb schrieb ich letztes Jahr über dein unerwartetes Hoch im Alter!

Es ist schöner geworden! Wir dürfen die besagte Hymne in der nächsten Saison drei Mal im Borussia-Park hören. Ich habe Dich unterschätzt. Du scheinst stabiler, reifer aber kein bisschen altersmüde geworden zu sein. Dein neuer Kick heißt: Tempofußball! Plötzlich beherrschst Du Gegner. Dabei konnte doch früher niemand so elegant eine 3:0-Halbzeitführung in Bochum vertändeln oder sich von Werksvereinen derart abschlachten lassen, dass wir schon nach 62 Minuten aus dem Stadion schlichen.

Der Mythos kehrte, kehrt und wird auch in Zukunft immer wieder zurückkehren. Und in diesem Jahr kehrst Du eben in die Königsklasse des europäischen Fußballs zurück. Dass Du diese am 13. April 1978 letztmalig beehrt hast, zeigt wie besonders der Erfolg der Qualifikation ist. Du solltest also jedes der Spiele in vollen Zügen genießen. Den passenden Rahmen werden wir schaffen. Versprochen!

Die Identifikation mit unserem Mythos

Ich habe die 1970er nicht erlebt, leider! Aber als Borusse kommt man um diese Zeit nicht herum. Mir ist daher aufgefallen, dass Du gute zwei Wochen nach Deinem Ausscheiden, also am 29. April 1978, die falsche Borussia 12:0 weggehauen hast. Der bis heute höchste Sieg der Bundesligageschichte. Meister wurde dennoch der FC. Ironischerweise wegen des besseren Torverhältnisses. Geschichten von Heldentaten oder des dramatischen Scheiterns. Sie sind das Beiwerk und die Identifikationspunkte eines Mythos. Des Mythos Borussia!

Deine Einzigartigkeit erklärt sich aber ganz anders. Die Erklärung ist viel banaler. Du bist einfach! Du bist weder „més que un club“, noch königlich oder gar der wirtschaftlich wertvollste Club der Welt. Du predigst kein „Mia san Mia“-Gefühl, forderst nicht krampfhaft „echte Liebe“ ein und spielst Dich auch nicht als „spürbar anders“ auf. Du bist für uns mehr als „més que un club“. Du regierst manchmal wie ein König, aber nur in unserer Freizeitplanung. Du bist der emotional wertvollste Club der Welt. Du bekommst echte Liebe. Du bist spürbar anders. All das bist Du ohne es zu propagieren. Bitte bleib deiner Linie treu!!

Ab und an brauchst Du sicher mal einen finanziell potenten Gönner. So ist der moderne Fußball eben. Aber tausende stehen Woche für Woche zusammen und geben Dir mehr als Banken oder Telekommunikationsunternehmen es jemals können werden. Treue, Hingabe und Leidenschaft. Wir sind in der Champions-League dabei, fahren aber auch mit Dir nach Aue, Koblenz oder Cottbus. Ob das die potenten Geldgeber auch guten Gewissens behaupten könnten?

Wie auch immer: Bleib in engem Kontakt mit deinen alten Freunden! Bleib bodenständig! Bleib schwarz-weiß-grün! Bleib Borussia! Möglichweise überraschst Du uns auch am 120. Geburtstag durch erneute und unerwartete Heldentaten. Auch dann werde ich wieder um Verzeihung bitten. Aber auch wenn es anders kommt, werde ich weiter zu Dir stehen. Drauf kannst Du dich verlassen!

Heute wünsche ich Dir aber zunächst nur das Allerbeste. Dein ganz persönliches Ständchen gibt es dann am 10. August aufm Kiez auf St. Pauli!

Auf Dich! Auf deine Historie! Auf deine Freunde! Auf Borussia!

Foto zu diesem Beitrag: nordkurvenfotos.de

2 Gedanken zu „Herzlichen Glückwunsch, liebe Borussia!

  • 1. August 2015 um 18:08
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    Moin. Auch von mir Glückwunsch. Apropos Ständchen an 10.8., jede Gastelf wird am Millerntor mit ihren Fanlied / Vereinshymne begrüßt; bis auf RedBull, die hatte letzte Saison noch keinen Song?. Und: korrekt heißt es AUF St.Pauli, ist historisch gewachsen. Der Bezirk hieß im Mittelalter Hamburger Berg, daher AUF und nicht IN?. Wurde bei der Namensänderung mit übernommen. Klugscheissermodus aus. Also, c u am 10.8. und “??Welcome to the hell of St.Pauli??. Wo steht M.Kruse? Gästeblock oder in der Südkurve?

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    • 1. August 2015 um 18:20
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      Moin Axel. Besten Dank für deine Pauli-Anmerkung. Ist korrigiert! Was Max Kruse macht, ist uns herzlich egal. Er soll seine VW-Millionen zählen und uns in Ruhe lassen 🙂 Grüße aus MG.

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