Herrlich: “Die Halbfinal-Atmosphäre 1995 war gigantisch!”

Pokal-Halbfinale – ein besonderes Spiel. Und so haben wir uns vor ein paar Wochen die Frage gestellt, welches Interview wir denn zu dieser Partie machen könnten. Ein Spieler der 1995er-Pokalsiegermannschaft sollte es werden. Einer mit Geschichte, vielleicht ja der Torschütze aus dem damaligen Halbfinale? Heiko Herrlich! Puh, schwierige Nummer in der Gladbacher Fanszene. “Der Judas”, der der unbedingt zu Dortmund gehen wollte. Wir haben ihn trotzdem interviewt. Auch weil 1995 eben noch nicht unsere Zeit war. Und Herrlich unseren Verein immerhin ins Pokalfinale geschossen hat…

Heiko Herrlich, was kommt Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an den die Gladbacher Pokalsiegermannschaft von 1995 zurückdenken?
Wir waren zusammen sehr erfolgreich und bis heute war der Pokalsieg 1995 der letzte große Gladbacher Titel, der jetzt ja immerhin auch schon 22 Jahre zurückliegt. Ich erinnere mich an tolle Spiele, beispielsweise an das 6:3 gegen Mainz in der ersten Pokalrunde oder an den 1:0-Sieg gegen Kaiserslautern im Halbfinale. Wir hatten mit Bernd Krauss einen hervorragenden Trainer, es war rückblickend eine sehr schöne Zeit.

Kamps, Effenberg, Dahlin – wie war es damals in dieser Truppe zu spielen?
Wir hatten viele hervorragende Einzelspieler in unseren Reihen, die ihre Stärken eingebracht haben. Es ist uns zudem aber auch gelungen, als wahre Einheit aufzutreten. Kamps hat eine überragende Saison gespielt, Effenberg war unser absoluter Leader. Es waren aber noch viele weitere Spieler, die zum Erfolg beigetragen haben. Durch einen fünften Platz in der Bundesliga sind wir ja auch unabhängig vom Pokalsieg in den UEFA Cup eingezogen.

Im Halbfinale hat Borussia 1:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern gewonnen. Sie haben das entscheidende Tor in der Verlängerung gemacht. Noch Erinnerungen?
Ja, selbstverständlich, so etwas vergisst man nie. Christian Hochstätter hat sich auf Außen durchgesetzt und mir den Ball zugespielt. Da ich nicht anders ran gekommen wäre, musste ich ihn in vollem Lauf mit dem Außenrist stoppen. Beim zweiten Kontakt habe ich den Ball dann unter die Latte genagelt. Uns war bewusst, dass die Mannschaft, die das erste Tor macht, gewinnen wird – so ist es dann auch gekommen.

Weil wir damals noch sehr jung waren und noch nicht aktiv zur Borussia gefahren sind, klären Sie uns bitte auf: Wie war die Stimmung in der Stadt, im Stadion? Hat der Bökelberg gebrannt?
Von der Stimmung in der Stadt habe ich ehrlicherweise nicht viel mitbekommen, ich war total fokussiert aufs Spiel. Der Bökelberg hat aber auf jeden Fall gebrannt – so wie immer eigentlich. Das Stadion war ja sehr eng, die Tribünen relativ steil und nur die Sitzplätze überdacht – ich habe die Stimmung immer als hervorragend wahrgenommen. Und bei einem so wichtigen Spiel war die Atmosphäre vor ausverkauftem Haus natürlich gigantisch.

Wie wurde damals der Halbfinal-Erfolg gefeiert?
Ich habe kurz vor dem Schlusspfiff einen Tritt gegen die Lippe bekommen. Es war lange nicht klar, ob ich genäht werden muss oder nicht. Meine Lippe war so oder so irgendwann so dick angeschwollen, dass ich keine Lust hatte etwas zu unternehmen. Zudem fand das Spiel am Mittwoch statt und am Samstag mussten wir schon wieder in der Bundesliga ran. Ich bin nach den anstrengenden 120 Minuten schnell ins Bett, habe versucht mich bestmöglich zu regenerieren.

Es stimmt schon, ich war sehr bockig. Heute würde ich darauf sicher anders reagieren. Ich wäre nach wie vor sehr enttäuscht über den Wortbruch, doch ich würde meinen Vertrag auf jeden Fall erfüllen.

Nach dem Pokalsieg folgte leider eine Schlammschlacht. Viele ältere Fans nehmen Ihnen heute noch den Wechsel zu Borussia Dortmund übel. Wie kam es dazu?
Es gab eine mündliche Zusage von Borussia Mönchengladbach, dass ich für 4,5 Millionen D-Mark wechseln darf. Diese Abmachung wurde bereits getroffen, bevor überhaupt jemand davon geträumt hätte, dass ich Torschützenkönig oder Nationalspieler werden würde. Irgendwann kam dann der Tag X und es gab ein entsprechendes Angebot von Borussia Dortmund. Im Verein wollte man sich aber nicht mehr an die Abmachung erinnern.

Eigentlich hatten Sie noch Vertrag. Würden Sie sich im Nachhinein betrachtet heute anders verhalten?
Es stimmt schon, ich war sehr bockig. Heute würde ich darauf sicher anders reagieren. Ich wäre nach wie vor sehr enttäuscht über den Wortbruch, doch ich würde meinen Vertrag auf jeden Fall erfüllen. Danach würde es aber definitiv nicht weitergehen. Durch meine Sturheit hatte ich mir damals erhofft, dass die Borussia doch noch einlenkt und zugibt, dass es besagte Abmachung wirklich gegeben hatte. Moralisch sehe ich mich heute noch im Recht.

Losgelöst von dem Wechsel nach Dortmund: Hätten Sie sich mehr Anerkennung von Seiten der Gladbach-Fans gewünscht? Immerhin sind sie ja auch Pokalsieger geworden…
Nein, ich habe genügend Anerkennung bekommen. Noch heute sind Gladbach-Fans, die mich auf der Straße erkennen, sehr freundlich zu mir und sprechen mich auf meine Zeit bei der Borussia an. Klar, viele sagen mir dann schon auch, dass sie damals wegen dem Wechsel ebenfalls sauer auf mich waren. Das verstehe ich aber auch.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Borussia?
Die Entwicklung ist sehr positiv, gerade unter Lucien Favre hat sich die Mannschaft sehr gut gemacht. André Schubert hat das Team nach der anfänglichen Euphorie leider nicht nachhaltig nach vorne gebracht. Mit Dieter Hecking ist jetzt aber wieder ein Mann am Ruder, der mit der Borussia erfolgreich sein wird. Da bin ich wirklich sehr optimistisch und drücke die Daumen.

Vor 17 Jahren haben Sie als aktiver Fußballer den Krebs besiegt. Gehirntumor, eine medizinisch extrem ungünstige Stelle. Wie haben Sie die Krankheit besiegt?
Ich bin ein sehr gläubiger Mensch, deshalb hat mir mein Glaube auch enorm geholfen, um das überhaupt zu verstehen und zu verarbeiten. Kein Mensch schafft es ewig zu leben, aber mit 28 Jahren wollte ich noch nicht gehen. Ich habe auf Gott vertraut und hatte das Glück, dass er mir Ärzte geschickt hat, die ihr Handwerk verstehen. So konnte ich zum Glück geheilt werden. Heute geht es mir wieder sehr gut.

Heute ist Heiko Herrlich Trainer beim SSV Jahn Regensburg

Sie arbeiteten als Trainer bei Bochum, Unterhaching, den Bayern, beim DFB, sind jetzt in Regensburg. Das klingt nach einem Trainer-Flickenteppich. Warum hat es bislang noch nicht zum ganz großen Durchbruch als Trainer gereicht? 
Die Anmerkung zu meinen Stationen ist berechtigt, gerade weil ich während meiner aktiven Spielerkarriere sehr vereinstreu war. Insgesamt war ich bei nur drei Profivereinen, zudem in der Jugend in Freiburg. Als Trainer war ich jeweils zwei Jahre in Dortmund und beim DFB-Nachwuchs. In Bochum wollte ich auch längerfristig arbeiten, die Schnelllebigkeit im Fußball ist aber allseits bekannt. Obwohl man ursprünglich auch bei einem Abstieg in die 2. Liga mit mir geplant hatte, hat man in Bochum irgendwann die Nerven verloren und mich entlassen. Ich habe dort sicherlich einige Fehler gemacht und auch viel Lehrgeld bezahlt. Nach einem Jahr in Unterhaching habe ich das Engagement aus familiären Gründen beendet, obwohl es sehr viel Spaß gemacht hat und wir mit einer älteren U19 den Klassenerhalt in der 3. Liga geschafft haben. Nach zwei Jahren als U17-Coach bei den Bayern hatte ich jetzt die Möglichkeit nach Regensburg zu gehen. Ich bin sehr glücklich, dass ich mich für den SSV Jahn entschieden habe und plane hier auch längerfristig, da ich in Regensburg eine hohe Jobzufriedenheit verspüre und hier etwas aufbauen möchte. Vieles hängt vom Erfolg ab, ich hoffe aber, dass ich beim Jahn noch lange an der Seitenlinie stehen kann.

Heiko Herrlich, zum Abschluss zurück nach Gladbach: Kann die Borussia Eintracht Frankfurt besiegen und ins Pokalfinale einziehen?
Definitiv! Frankfurt hatte in der Rückrunde viele Schwierigkeiten, gegen Augsburg ist ihnen der erste Sieg seit Februar gelungen. Die Borussia hat mehr Potential in der Mannschaft als Frankfurt und deshalb hoffe und glaube ich, dass Mönchengladbach ins Finale einzieht.

Worauf kommt es in so einem Spiel an?
Man muss hochkonzentriert und geduldig sein. Die Borussia muss ihre Chancen nutzen und dem Spiel frühzeitig die richtige Richtung geben. In der Liga kannst du über 34 Spieltage Fehlleistungen wieder ausgleichen, im Pokal bist du aber nach einer Niederlage ausgeschieden. Deshalb muss man sehr effektiv spielen.

Und bei einem möglichen Pokalfinale wären Sie als Mitglied der Pokalsieger-Mannschaft 1995 auch im Stadion?
Kürzlich wurde ich jedenfalls von der Mönchengladbacher Geschäftsstelle angeschrieben und nach meinen aktuellen Kontaktdaten gefragt. (lacht) Ich vermute deshalb, dass die Pokalsieger-Mannschaft bei einem Finaleinzug eingeladen wird und wir das Spiel live im Stadion verfolgen dürfen. Das wäre eine schöne Sache, ich würde mich sehr darüber freuen.

Fotos zu diesem Beitrag: Facebook/Elmar Bobe, Jahn Regensburg

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