Jantschke – Teil 2: “Wir sollten nicht so viel nach Leipzig schauen!”
Kommen wir zu Deinem Stellenwert bei den Fans. In Gladbach rufen viele Anhänger hinter Deinem Namen „Fußballgott“. Eine Ehre für Dich?
Ich kriege das natürlich mit. Der eine oder andere Mitspieler weist mich auch mal darauf hin (lacht). Das ist eine Auszeichnung für mich. Dieses Wort „Gott“ ist allerdings ein bisschen schwierig, weil ich nicht gläubig bin. Es ist aber trotzdem schön, wenn die Fans honorieren, dass ich schon so lange da bin und sich mit mir identifizieren.
Bleiben wir kurz bei den Fans: Du bist acht Jahre als Profi bei Borussia. Wie haben sich Borussias Anhänger in dieser Zeit aus Spieler-Sicht entwickelt?
Das Verhältnis von Fans zu Mannschaft hat sich auf jeden Fall gebessert. Als ich angefangen habe, war das noch ganz anders. Heute können wir richtig stolz darauf sein, dass Mannschaft und Fans gut kommunizieren können. Und wir haben natürlich viele Fans dazu gewonnen. Und das nicht nur hier, sondern auch in der Schweiz oder in Österreich. An allem hat das Relegationsspiel seinen Anteil. Da ist eine Einheit entstanden. Das sollten wir gut hüten und bewahren, weil es das nicht so oft gibt.
Wie ist das eigentlich: Ihr kommt immer noch vor jedem Spiel in die Kurve. Stand dieser „Brauch“ mal zur Debatte oder ist das klar, dass ihr noch einmal zu den Fans geht?
Nein! Das gehört zu uns und das gehört zur Borussia. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich es auch ziemlich geil. Ich muss schon sagen: Wenn wir auswärts manchmal noch einmal in die Hälfte des Gegners müssen, um zum Block zu klatschen, das finde ich überragend (grinst). Das ist auch ein Zeichen an den Gegner: Wir sind Borussia, wir sind eine Einheit!
Kommen wir ein wenig weg von Borussia. Du hast im Sommer in der „Rheinischen Post“ gesagt: „Ich verstehe die Leute nicht, die über RB Leipzig schimpfen. Ich sehe da nichts Verwerfliches!“ Du weißt ja wahrscheinlich, dass das viele Fans anders sehen. Kannst Du uns Deinen Standpunkt noch einmal erklären?
(Lacht) Also das ist relativ simpel: Wir leben in einer Demokratie, in der es Gesetze und Regeln gibt, die für alle gelten. Ich habe mir dieses Konstrukt mal angeschaut und ein bisschen was gelesen. Zwar habe ich mich jetzt nicht anwaltlich beraten lassen, ich habe aber nichts gefunden, das gegen die Statuten von DFB und DFL spricht. Der FC Bayern gehört zu 30 Prozent drei großen Firmen. Dort ist es eben eine Firma.
Eine Firma, die einen Fußballverein künstlich aus dem Boden gestampft hat…
Absolut! Ich finde es auch Quatsch, da groß drum rum zu reden: Natürlich ist das ein künstlich geschaffenes Produkt. Es ist aber kein Produkt wie in England, wo jemand kommt, drei Jahre Geld reinpulvert und wieder geht. Das Projekt in Leipzig ist nachhaltiger! Es wurde, ähnlich wie in Hoffenheim, in die Jugend investiert. Das finde ich gut. Und auch Red Bull bewegt sich – wie oben angedeutet – innerhalb gewisser Regeln und Strukturen des Systems. Insofern ist die Kritik vieler Fans doch ohnehin zu kurz gedacht. Aber die Traditionsdebatte? Was ist denn Tradition? Das kann dir doch keiner genau sagen. Ein Gründungsdatum um 1900? Viele Erfolge in den 70ern? Ganz ehrlich, es gibt so viele „Traditionsvereine“, die in der fünften Liga stecken. Und das, weil sie einfach schlecht gearbeitet haben.
Aber nehmen wir mal Borussia. Hier wurde auch hart um die Existenz gekämpft und hart für den Erfolg gearbeitet. Umgeht RB Leipzig diese Entwicklung nicht einfach, in dem Red Bull die Schatulle aufmacht und Geld raus haut?
Mit dieser Taktik sind sie ja damals auf die Nase gefallen. Ich weiß nicht, inwiefern ihr das verfolgt habt. In der Regionalliga haben sie damals für viel Geld alte und erfahrene Spieler geholt. Damals haben sie ihre Quittung bekommen und haben dann mit jungen Spielern einen neuen Weg eingeschlagen. Sie haben wirklich einige Granaten geholt. Wie wir auch. Bei Borussia finden die Leute diesen Weg klasse, in Leipzig soll das aber doof sein? Man sollte sich da vielleicht auch mal freuen, dass diese jungen Spieler nach Deutschland kommen. Wenn man dagegen sieht, was in England abgeht, dann haben wir mit Leipzig das geringste Problem.
Da hast Du Recht! Trotzdem ein Gegenargument: Eberl holt Elvedi für 3,5 Millionen Euro oder Stindl für 2,5 Millionen. RB Leipzig kauft als Zweitligist Selke für 10 Millionen. Das können sich Nürnberg und Kaiserslautern nicht leisten…
Ja, das stimmt! Aber ich sehe da weiter nichts Schlimmes dran. Wir haben mit der Postbank auch einen sehr guten Sponsor. Es geht heutzutage nun mal sehr viel um Geld. Wir haben 200 Sponsoren – RB hat einen, der sehr viel Geld hat. Über diese Konstellation kann man – vor allem als Traditionalist – streiten. Vielleicht ist es aber auch ein deutsches Problem, sich zu sehr mit anderen zu beschäftigen. Ich bin Spieler von Borussia Mönchengladbach, einem Verein, der mit die geilste Tradition hat und etwas Einzigartiges geschafft hat. Ich bin stolz auf diesen Verein und spiele gerne hier. Das sehen viele unserer Fans auch so. Warum beschäftigen sie sich dann mit Leipzig?
Weil sie Angst haben, dass auch ihr Verein irgendwann von Leipzig überholt wird.
Habt ihr Angst, dass Leipzig uns überholt.
Aktuell nicht, weil wir eine wahnsinnig gute Entwicklung hinter uns haben.
Aber selbst wenn sie uns mal überholen…
… sie werden uns irgendwann überholen, da sind wir uns sicher!
Na und? Schaut ihr dann neidisch darauf? Oder seid ihr stolz auf das, was wir hier ohne einen so riesigen Sponsor geschafft haben?
Wir unterscheiden uns aber doch nicht nur von Leipzig. Auch von Wolfsburg, Hoffenheim oder Leverkusen! Das sehen wir doch schon, wenn die Auswärtsfans von diesen Vereinen hierhin kommen. Bei Borussia steht eine ganze Stadt, die ganze Region und Fans in ganz Deutschland hinter dem Verein. Ich finde, man sollte viel lieber das alles betonen, als nur auf andere zu schauen und zu meckern.
Vermutlich hast Du Recht. Trotzdem bleibt das Spannungsfeld “künstliches Produkt/Traditionsverein”. Das siehst Du doch auch, oder?
Klar, wir unterscheiden uns aber doch nicht nur von Leipzig. Auch von Wolfsburg, Hoffenheim oder Leverkusen! Das sehen wir doch schon, wenn die Auswärtsfans von diesen Vereinen hierhin kommen. Bei Borussia steht eine ganze Stadt, die ganze Region und Fans in ganz Deutschland hinter dem Verein. Ich finde, man sollte viel lieber das alles betonen, als nur auf andere zu schauen und zu meckern. In Deutschland ist es eben häufig so, dass man in seinem Haus sitzt und darauf schaut, was der Nachbar für einen Zaun baut, anstatt sich um seine eigenen Sachen zu kümmern.
Wir finden den Ansatz auch spannend, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, anstatt immer auf die anderen zu zeigen.
Genau! Wir haben hier in Mönchengladbach etwas, das hat Leipzig nicht und wird es vielleicht auch nie haben: Die Tradition! Warum freut man sich nicht darüber, sondern guckt immer nur auf andere Projekte. Ich verstehe nicht, wieso man nicht einfach eine geile Choreo oder so macht und einen Banner, auf dem steht: „Das ist Tradition!“? Stattdessen werden Bullenköpfe geschmissen. Dazu möchte ich gar nicht mehr sagen…
Wobei in Dresden der Großteil der Aktion ja kreativ, gut und positiv war. Aber diese kreativen Aktionen werden leider häufig in den Schatten gestellt durch einzelne Aktionen, auf die sich der Boulevard dann stürzt.
Das ist leider so! Ich finde aber, wir haben es nicht nötig, auf Leipzig zu schauen. Ich verstehe, dass sich Traditionsvereine, die grade eine schwere Phase haben, darauf stürzen und sagen: „Die nehmen uns wieder einen Platz weg!“. Aber wieso sollte uns das interessieren? Soweit ich weiß, haben sie von uns ja auch keinen Spieler abgeworben.
Du kommst selber aus dem Osten. Was bedeutet RB Leipzig für Dein Umfeld?
Meine Meinung ist unabhängig davon, dass ich aus dem Osten komme. Die Menschen dort sind aber durch die Rivalitäten der ehemaligen DDR-Liga unfassbar fußballverrückt. Allerdings hätte Red Bull sich genauso gut Münster oder Osnabrück aussuchen können. Ich glaube, die Stadt Leipzig ist einfach das Ergebnis intensiver Marktanalysen. In meinem Umfeld sind die Meinungen da eher gemischt. Die einen sind für, andere gegen den Verein. Das sollte auch jeder für sich entscheiden.
In ein paar Tagen startet ihr in die Champions League. Wie groß ist die Vorfreude auf Manchester City, den FC Barcelona und Celtic Glasgow?
Geile Mannschaften, das kann man so sagen. Aber es hätten von mir aus auch Leicester, Porto und ein dritter Verein sein können. Ich mache das nicht vom Gegner abhängig. Auf Barcelona freue ich mich, weil Marc herkommt. Aber sonst ist mir das Wurst, ob es Real Madrid, Juventus Turin oder Porto ist.
Hattest Du schon Kontakt zu Marc-André ter Stegen?
Einige Jungs haben ihm schon geschrieben, ich aber noch nicht. Aber ich freue mich sehr drauf. Ich gucke generell privat eher weniger Fußball, einige seiner Spiele habe ich mir aber angeschaut. Es ist sehr schön, dass er mal wieder kommt. Er ist ja auch einer der Spieler, mit dem ich schon einige Erfolge gefeiert habe. Das vergisst man nicht.
Noch einmal zurück zur Gruppenphase: Was ist Dir denn wichtig, wenn nicht die Gegner?
Ich möchte weiterkommen. Das ist für mich immer das Credo. Es bringt mir doch später nichts, wenn ich erzählen kann: „Damals habe ich in Barcelona gespielt.“ Ich würde lieber sagen können: „Damals habe ich das Achtelfinale erreicht.“ Das bringt mir mehr!
Aus Fan-Sicht können wir diese Einstellung nur bedingt teilen…
Das glaube ich! Für Euch sind diese Touren sehr geil. Das merkt man ja schon an dem Hype, der gerade entsteht. Und zu Celtic: Wir haben ja damals im Testspiel dort gespielt. Das ist schon ein verdammt cooles Stadion. Von daher ist die Gruppe schon schön. Und ehrlich: Juventus und Sevilla hätte ich auch nicht noch einmal gebraucht (grinst).
Du hast schon Europa aber auch Champions League gespielt. Erklär uns doch mal: Was machen die internationalen Partien für Dich aus?
Das Flair. Aber sonst ist es eigentlich ein Spiel wie jedes andere. Alles andere würde ja bedeuten, dass ich das Spiel über die Bundesliga setzen würde. Und das ist in meinen Augen falsch. Einige Kollegen sagen ja immer, diese Spiele würden sie extra motivieren. Ich frage mich immer: Wo ist denn dann diese Motivation bei einem Bundesligaspiel?
Messi? Das ist für mich nicht besonders. Ich weiß, da werde ich in der Kabine auch immer doof angeguckt, wenn ich so etwas sage. Ich habe jahrelang gegen Ribéry und Robben auf absolutem Top-Niveau gespielt. Das habe ich auch geschafft.
Das glauben wir aber fast nicht! Ist ein Spiel gegen Augsburg für Dich genauso, wie ein Spiel in der Champions League oder wie ein Derby?
Vom Drumherum ist es natürlich anders. In der Bundesliga gibt es einen routinierten Ablauf. Da ist Champions League schon etwas Besonderes. Man weiß auch nie genau, wie die Situation vor Ort ist: Wie das Stadion von innen aussieht, wie viele Fans wirklich da sind. Wir kriegen zwar immer so eine grobe Zahl von den Fanbeauftragten oder von Steffen Korell. Aber wie es dann wirkt, wissen wir nicht. Und natürlich finde ich es auch gut, wenn wir einlaufen und richtig Stimmung in der Bude ist. Wenn es eine Choreo gibt oder wenn 10.000 Fans in Rom oder Zürich stehen. Aber wenn das Spiel angepfiffen wird, ist für mich jedes Pflichtspiel gleich. Ich spiele gegen einen Messi von Barca genauso wie gegen… (überlegt) jeden anderen Spieler.
Also keine besondere Vorfreude auf das direkte Duell mit Messi?
Ach, das ist für mich nicht so. Ich weiß, da werde ich in der Kabine auch immer doof angeguckt, wenn ich so etwas sage. Ich habe jahrelang gegen Ribéry und Robben auf absolutem Top-Niveau gespielt. Das habe ich auch geschafft.
Was war bisher Dein europäischer Borussia-Moment?
Puh, mein Borussia-Moment… (Überlegt lange) Vielleicht das Spiel in Marseille damals, als wir kurz vor Schluss das 2:2 gemacht haben. Altes Stadion, die Fans an der Seite und dann macht Juan Arango das Tor. Das war schön, weil es ein schweres Spiel war. Aber auch die Spiele gegen Bern jetzt. Wenn du so ein Playoff für Dich entscheidest, ist das ein schönes Gefühl. Vor allem mit dem Kiew-Spiel im Hinterkopf.
Was ist drin in dieser Saison?
Von 1 bis 18 alles. (Lacht) Wir wollen aber einen einstelligen Tabellenplatz mit Blick auf die internationalen Plätze! Und davon werden wir auch nicht abrücken. Das wäre ja dumm. Warum sollte ich sagen: „Wir werden Dritter!“ Das bringt doch nichts. Außer dass die ganze Saison lang Reporter zu mir kommen und sagen: „Tony, du hast doch damals gesagt, dass ihr Dritter werdet.“
Also wird weiter „Von Spiel zu Spiel“ gedacht?
(Grinst) Achja, dieses „Von Spiel zu Spiel“. Das ist doch eh so ein komischer Satz. Irgendwie ist es so, man hat aber natürlich auch das große Ganze im Blick. Es war aber immer ein cooler Spruch für uns, um uns etwas Ruhe zu verschaffen. Wenn wir aber in einigen Wochen gegen Barcelona spielen, werden wir uns sicher nicht erst ein paar Tage vorher darüber unterhalten.
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Fotos zu diesem Beitrag: Fabio Rizzetto, Chicography
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Grundsätzlich mag ich Werksklubs nicht. Bruchhagen sein Einwand zum Heimspiel der SGE gegen Wolfsburg letzte Saison passt: ” heute hatten wir wie immer Platz für 5.000 Gäste Fans , und haben 159 Karten verkauft , die übrigen Plätze blieben aus Sicherheitsgründen leer. in 14 Tagen spielen wir gegen Borussia MG , dass Spiel ist seit 6 Wochen Ausverkauft “.
Bei RB Leipzig habe ich die Hoffnung das es in einer Fußball verrückten Stadt einen Hype auslöst , und sich unter den ” Traditionsvereinen ” eingliedern kann. Für den Fußball im Osten ist das mit Sicherheit kein Nachteil ,und letztendlich für Fußball Deutschland auch nicht
Danke, ein interessantes “anderes” Interview mit unserem sympathischen Fussball Gott.
Und Glückwunsch, dass Ihr es in den Exzess geschafft habt. 😉 Der macht aus dem tollen Interview 2 bis 3 Phrasen und schon ist wieder ein Artikel für den Sportbekleidung fertig….
Danke, liebe Autokorrektur!
Pingback: Presse 06.09.2016 | rotebrauseblogger
Ein tolles Interview. Tony Jantschke ist einfach ein bodenständiger Typ.
Sorry, sehe ich anders.
Mir haben insbesondere die Aussagen zu RB Leipzig nicht gepasst. Klar, jeder hat das Recht auf seine Meinung und soll sie auch äußern dürfen. Die Aussagen von T.J. hierzu und zum Thema Tradition stehen aber dermaßen im Gegensatz zu den meinen, dass er mir dadurch leider sehr unsympatisch geworden ist.