Protokoll des Wahnsinns.

Borussia schlägt den AC Florenz nach einer überragenden Partie mit 4:2. Was für eine unfassbare Aufholjagd, was für eine unbeschreibliche Tour. MitGedacht. war über drei Tage dabei – unsere etwas andere Nachbetrachtung. 

Mittwoch, 07:30 Uhr

Ankunft am Flughafen in der verbotenen Stadt. Wir treffen die üblichen Gesichter. Der eine setzt auf ein ausgewogenes Frühstück einer großen Fastfoodkette, einige andere erledigen die letzten Bankgeschäfte. Augenringe, Motivation in Grenzen. Aber immerhin: Gladbach international. 

08:25 Uhr 

Sicherheitscheck absolviert: am Gate Borussia-Fans aller Art – mehr oder weniger enthusiastisch. Mäßig schön bedruckte Spieltagspullover treffen auf Seidenschals am Rucksack – und mittendrin wir mit (noch) eher trägen Gesichtern. Ein Kollege muss sogar zurück zum Sicherheitscheck sprinten. Koffer stehen gelassen. Der ganz normale Wahnsinn halt. 

10:30 Uhr

Nach der Landung geht es erstmal mit dem Bus nach Mailand. Da wir pünktlicher als erwartet sind, wollen wir den Zug eine Stunde früher als gebucht nehmen. Der unfreundliche Mann am Schalter ist wenig begeistert und lässt nicht mit sich reden, wir müssen anderthalb Stunden warten. Das bedeutet: Pizza essen, das erste Bier der Tour kaufen! Ist auch in Ordnung. 

13:35 Uhr 

Zug nach Florenz. Sieben Fußball-Anhänger vom Niederrhein entern das Abteil. Mitfahrer sind natürlich begeistert. Auswärtsfan, was willst Du mehr??

15:30 Uhr 

Zur besten Bundesligazeit landen wir in Florenz. Auf dem Weg in die angemietete Unterkunft gibt’s einen kurzen Besuch im nahegelegenen Supermarkt. Das Ziel: eine auswärtstypische Grundversorgung. Es reißt uns fast den Boden unter den Füßen weg: Verkaufsverbot für alkoholische Getränke im Stadtgebiet. Die italienischen Sicherheitsbehörden machen ernst. Zum Glück legen einige örtliche Kioske das Verbot eher großzügig aus!

18:00 Uhr

Es geht an die Abendplanung. Nach einem ersten Gang durch die Stadt landen wir in einer gemütlichen Pizzeria. Obwohl es als Geheimtipp galt, sind wir nicht die einzigen Borussen im Laden.
Lecker ist es trotzdem!

ab 20:00 Uhr

Nach ausgiebigem Essen und einer weiteren Kiosk-Shoppingtour samt konspirativen Alkoholausschank setzen wir uns an die “Piazza San Marco”. Einem Platz, an dem viele Studenten und junge Leute sitzen. Leider auch eine große Gruppe Ultras des kommenden Gegners. Wir merken: so richtig willkommen sind wir nicht. Einige Male wechseln wir noch die Lokalität, feiern den Geburtstag eines Redaktionsmitgliedes. Die Nacht wird lang!

Donnerstag, 12:30 Uhr 

Der Tag beginnt langsam, der Abend hat seine Spuren hinterlassen. Beim Mittagessen in einem urigen italienischen Lokal gibt es dennoch einige Hartgesottene, die dem Vino frönen. Dem Restaurantbesitzer gefällt’s – er zückt trotzdem seine Florenz-Dauerkarte.

14:00 Uhr 

Nach dem Mittagessen machen wir uns am Dom vorbei auf zur “Piazza de Michelangelo”, einem Platz auf einem Hügel mit Blick über die Stadt. Ein bisschen Sightseeing muss ja sein. Auf dem Weg dorthin merken wir: die Stadt ist fest in Gladbacher Hand. Hier eine schwarz-weiß-grüne Party, da ein Borussia-Fangesang. Eine Top-Auswärtstour!

15:00 Uhr

Den Aufstieg auf den Berg mit wunderbarer Aussicht verkraften wir mehr oder weniger gut. Einige brauchen ein Sauerstoffzelt, andere geben sich zumindest halbwegs entspannt. Alle eint: der Glaube an den Sieg der Borussia. 

17:15 Uhr

Auf der Suche nach einer letzten Stärkung vor dem Spiel landen wir wieder in einer kleinen Pizzeria in der Nähe unserer Wohnung. Bei Wein und Pizza reden wir uns langsam warm, bevor wir mit einem kurzen Zwischenstopp in unserer Bleibe zufällig einen Bus voller Kutten erwischen, der uns zum Stadion bringt.

19:00 Uhr

Am Stadion angekommen geben wir uns alle Mühe, die mitgebrachten Getränke möglichst versteckt zu trinken. So richtig interessiert das die italienischen Polizisten und Ordner allerdings nicht. Sie schicken uns stattdessen auf einen ca. drei Kilometer langen Marsch rund ums Stadion. 

19:30

Mit etwa 500 Borussen geht es durch zwei Drehkreuze und ein wahnsinnig enges, rechtwinkliges Zaunkonstrukt. Tatsächlich wird jedes einzelne Ticket mit einem Lichtbildausweis unter die Lupe genommen. Willkommen in der italienischen Fußballwelt 2017!

20:00 Uhr

Auch das Stadioninnere ist Indiz dafür, dass der italienische Fußball seine besten Zeiten hinter sich hat. Den Toiletten nach zu urteilen, ist das Mutterland der Fankultur in den 1980ern hängen geblieben – “Hallo Bökelberg” hören wir Stimmen in unseren Köpfen sagen. Wir finden dennoch, dass das Stadio Artemio Franchi einen eigenen Flair versprühte. Vier Flutlichtmasten, alte Tribünen, kein Dach.

Buongiorno, Vergangenheit!

20:15 Uhr

Beim Betreten des Blockes fällt auf, dass neben den gewohnten Zaunfahnen vorne rechts ein altbekannter Lappen sein Comeback feiert. “Scenario Fanatico” – eine Gruppe mit Geschichte.

21:03 Uhr

Den italienischen Flair des Stadions verstärken einige Jungs mit einer netten Pyroshow zum Einlauf der Mannschaften. Es soll nicht das letzte Feuerwerk sein.

21:35 Uhr

Nach Anfangseuphorie auf den Rängen und einem guten Beginn der Mannschaft, blickt man reihenweise in lange Gesichter: Was für ein Déjà-vu! Florenz schießt zwei Mal aufs Tor, es steht 0:2. Um es ganz offen zu sagen: Wir haben nicht mehr dran geglaubt. Zu diesem Moment interessanter als das Geschehen auf dem Platz: die Kurve hinter dem Gladbacher Tor. Einige Anhänger sind deutlich aktiver als die Gladbacher Hintermannschaft, suchen den Kontakt zu einigen Italienern. Die Polizei lässt auf sich warten.

21:45 Uhr

Einen Elfer, den man nicht unbedingt geben muss, verwandelt Stindl. Handgestoppte vier Sekunden später folgt ein weiteres Feuerwerk auf den Rängen, das die Hoffnung nährt, der Funke könnte überspringen. 

21:55 Uhr 

Die Zuversicht ist zurückgekehrt. So ist zumindest der Eindruck des Halbzeittalks im Gästeblock.

22:17 Uhr

Fast ausgeschieden, 1:2 gemacht und dann das: Zwei krachende Torjubel und feurige Pyroshows später steht der Gästeblock Kopf. Kapitän und Hitzkopf Lars Stindl hat mit drei Toren binnen 20 Minuten die zuvor höhnischen Tifosi zum Schweigen gebracht. Hier feixt jetzt nur noch Gladbach. Gesänge überschlagen sich, Freudentränen kullern über Borussia-Gesichter. 

22:22 Uhr

Statt der erwarteten Abwehrschlacht nickt Verteidiger-Ass Christensen eine butterweiche Hofmann-Flanke zum 4:2 ein. Jetzt kracht der Torjubel so richtig. Die Sitzordnung im Gästeblock wird mal durchgewirbelt. Menschen fliegen kreuz und quer durch die Sitzreihen. Gladbach greift nach dem Titel. So fühlt es sich zumindest an…. 

22:45 Uhr 

Florenz drückt nochmal, findet aber kaum Mittel. Unsere Jungs schwitzen sich letztlich ins Achtelfinale. Um kurz vor elf ist dieses Spiel Geschichte. Singend geht es in die nächste Runde. Borussia ist wieder da! 

23:00 Uhr

Mannschaft und Fans intonieren gemeinsam bekannte Gassen-Hauer. Unnötig hierbei: Ein selfiesierender Thorgan Hazard vor dem Gästeblock. Dieser hingegen steht Kopf. Es sind Momente, die den Fußball, aber allen voran Borussia einzigartig machen. 

23:20 Uhr 

Blocksperren sind nervig! Die in Florenz setzt aber allem die Krone auf. Knapp 4.000 Helden versuchen die Zeit irgendwie totzuschlagen – einige höchst Motivierte versuchen im Inneren des Stadions richtig einen abzureißen. Es wird gepogt, gesungen, getrommelt. Die Stadiontore zittern! 

00:00 Uhr

Eine ewig lange Blocksperre endet. Es geht in die Shuttlebusse, die ihre besten Tage ebenfalls hinter sich gebracht haben. Kurz vor eins werden wir am Bahnhof rausgelassen. Wir machen noch einen Schlenker, um Essen und Trinken zu besorgen und ziehen uns in unsere Wohnung zurück. Eine gute Idee, denn Florenz jagt in Kleingruppen durch die Stadt! 

Freitag, 11:15 Uhr

Um elf Uhr sollen wir auschecken. Wir geben zu: Vermieter Hamid ist am Morgen nicht unser bester Freund! Die Wohnung hinterlassen wir zwar sauber, für einige Schlachtenbummler geht es allerdings aus der Dusche gefühlt direkt ab nach Hause! So eine Auswärts-Fahrt zerrt doch am Krafthaushalt!

11:35 Uhr

Beim Frühstück in einer Kaffeebar wälzen wir die Lokalzeitungen. Wir können zwar kein italienisch, die Worte “furioso” oder “disastro” sind aber noch zu verstehen. 

12:30 Uhr

Von der Kaffeebar zurück ins kleine italienische Lokal vom Mittag des Vortages. Der Inhaber erkennt uns wieder, seine Dauerkarte vom Vortag bleibt stecken. Begeisterunggrad: mäßig! Jetzt bleibt ihm nichts übrig, als uns zum Sieg zu gratulieren. Er erweist sich aber als guter Verlierer. Zumindest schmecken die Nudeln abermals richtig gut. 

13:00 Uhr 

Noch im Restaurant zücken wir die Handys, um die Auslosung des Europa-League-Achtelfinals im Liveticker zu verfolgen. Bitte kein Rostov, kein Krasnodar, bitte! Garniert wird die Warterei übrigens von einem guten Tropfen Weißwein! 

13:13 Uhr

Schalke! Gut? Schlecht? Wir wissen es noch nicht… 

13:17 Uhr

Nachdem wir das Los ausgiebig diskutiert haben, kommen wir zu einem (fast) einhelligen Ergebnis: Kein Urlaubstag, wenig Geld, sportlich machbar. Schalke packen wir! Einziger Nachteil: Sollten wir ausscheiden, wäre es wohlmöglich die letzte europäische Tour für einige Jahre. “Gelsenkirchen” ist da nicht unbedingt ein Ziel zum prahlen.

13:52 Uhr

Mit ein paar Bier im Gepäck geht es mit dem Zug nach Rom. Die umsitzenden Fahrgäste schauen irritiert, nehmen es aber einfach hin. Jetzt haben wir zwei Stunden, um die Tour ins Ruhrgebiet zu planen. Die Reisebeauftragten atmen durch. 

16:00 Uhr

Zug von Florenz nach Rom. Strömender Regen bei der Ankunft. Die halbe Stunde bis zum Flughafen-Shuttle schlagen wir in einer Taverne tot. Gibt Bier, gibt Wein, gib Schlimmeres.

18:00 Uhr

So eine unfassbare Auswärtstour muss natürlich weiter gefeiert werden. Nach einer Stunde Busfahrt aus dem Stadtzentrum Roms und langem Hin und Her entscheiden wir uns dazu, noch eine kleine Minibar mit auf den Ryanair-Flug mitzunehmen. Cola plus Glasflasche. Auf das Achtelfinale!

 20.35 Uhr

Landung – und der letzte Höhepunkt der Tour. Ein Mitreisender stürmt schon vor Aufsetzen auf die Toilette. Die Stewardessen trauen ihren Augen nicht und begleiten den Kollegen postwendend zurück auf seinen Platz. Mit Aufsetzen dann ein neuer Versuch. Dieses Mal wendet sich der Kapitän höchstpersönlich via Bordfunk an den Querulanten. Klare Ansage: “Sit down, sit down!” Unser Mann guckt bedient, lacht dann aber: “Achtelfinale!” Mehr zählt jetzt auch nicht mehr!

Ein Gedanke zu „Protokoll des Wahnsinns.

  • 27. Februar 2017 um 0:36
    Permalink

    Witzig, das deckt sich doch starkt mit unserem Tripp.
    Gottlob war “Feind Kontakt” trotz Fußmarsch vom Stadion in die City ausgeblieben.
    Unsere Ultras waren dieses mal noch dümmer als sonst. U.a. das unnötige Gehabe und der Versuch das Tor zu stürmen um auf die Tribüne hinter dem Tor zu gelangen – echt peinlich.
    Leider hat die Polizei mit ihren Maßnahmen recht behalten. Ganz so nett sind halt nicht alles unserer “Fans”
    Immer mieser fällt der Tuppes mit Vollbahrt, Brille und Schlapphut auf.

    So nehmen wir das Freilos 04 und schauen was passiert.

    Antwort

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