Vorsänger René über den heutigen Boykott: “Wir werden nicht einfach schweigen!”

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Korruption, Spieltagsansetzungen, Zerstückelungen, TV-Rechte – der fünfte Spieltag steht in fast allen Bundesligastadien ganz im Zeichen des bundesweiten Protests gegen DFB und DFL. Heute Abend wird sich auch die aktive Fanszene von Borussia in der Partie gegen Eintracht Frankfurt daran beteiligen. Wir haben uns gestern mit René – langjähriger Vorsänger der Nordkurve und Gesicht der Ultraszene – über den Protest unterhalten. 

René, seit Jahren bist Du maßgeblich für die Stimmung im BORUSSIA-Park mit verantwortlich. Daher erst einmal die plumpe Frage: Warum gibt es heute einen 20-minütigen Stimmungsboykott?
Die plumpe Antwort darauf wäre, dass Gespräche mit den Verbänden nichts gebracht haben und der Protest im Stadion einfach effektiver ist.

Das geht aber doch etwas ausführlicher …
Klar! Nachdem sich im vergangenen Sommer rund um die bekannte ,,Krieg dem DFB‘‘-Geschichte die Fanszenen zusammengeschlossen haben, kam es bereits Anfang der letzten Saison zu solchen Aktionsspieltagen. Die Verbände reagierten da durchaus drauf und sendeten Signale, dass man zu tatsächlichen Veränderungen bereit sei. Daher gab es dann in der Folge zwei Gespräche zwischen Vertretern der Fanszenen und den Spitzen der Verbände, die am Ende jedoch einen ähnlichen Eindruck hinterließen, wie die Gespräche jahrelang zuvor: gesichtswahrende Dialogbereitschaft nach außen, aber keine Bereitschaft zu wirklichen Veränderungen im Sinne der Fans. Aus dem Grund haben wir Fans uns in diesem Sommer bekanntlich entschieden, die Gespräche abzubrechen und die Proteste erneut ins Stadion zu verlagern.

Im gemeinsamen Statement der Fanszenen zum Boykott heißt es, über die genaue Ausgestaltung des Protests würden die jeweiligen Szenen informieren. Wie soll der Protest bei uns in Gladbach aussehen?
Also erstmal wird den Protesten in allen Stadien gemein sein, dass man die ersten 20 Minuten dem Protest gegen die Verbände widmet, statt “wie üblich” zu supporten. Wie man diese 20 Minuten genau ausgestaltet, bleibt den Szenen überlassen, um die jeweils beste Methode für den eigenen Standort wählen zu können. Über die genaue Art des Protests in der Nordkurve informieren wir morgen vor Ort. Wir werden allerdings nicht einfach schweigen, sondern haben uns etwas überlegt, wie wir lautstark auf unser Anliegen aufmerksam machen können. Inhaltlich werden wir uns außerdem auf das Thema Spieltagsansetzungen fokussieren.

Die uns in letzter Zeit mit diversen fanunfreundlichen Anstoßzeiten ja auch getroffen hat…
Genau! Die Ansetzungen sind zwar nur eines von vielen Themen, die wir an den Verbänden kritisieren – aber in der Tat haben wir in letzter Zeit einige scheiß Termine kassiert, von denen einige absolut nicht nachvollziehbar sind. Auch aufgrund der bald stattfindenden neuen TV-Rechtevergabe halten wir das Thema für sehr passend.

Seit Monaten diskutieren Fans und Medien über das diffizile Verhältnis zwischen den Verbänden und den aktiven Fans. Warum greift ihr nach 12:12 einmal mehr zum letzten Mittel und versagt der Mannschaft den Support?
Wir können uns anders kein Gehör verschaffen! Die Idealvorstellung ist natürlich, dass wir die Spieltage einzig und allein unserer Borussia widmen und den fanpolitischen Kram im direkten Austausch mit den Funktionären besprechen, um unsere Anliegen da durchzubekommen. Wenn man die Fans in solchen Gesprächen aber nicht ernst nimmt und weniger ,,drastische‘‘ Protestformen wie Spruchbänder im Stadion ebenfalls nicht wahrgenommen werden, dann müssen wir halt mit diesem letzten Mittel auf uns aufmerksam machen.

Natürlich ist es für die Verbands-Funktionäre alles andere als cool, wenn ein ansonsten lautes Stadion auf einmal totenstill ist oder man das Spielgeschehen lautstark stört. Das haben ja auch die Reaktionen auf 12:12 oder einige Proteste gegen Montagsspiele zuletzt gezeigt.

Habt Ihr Mannschaft und Team über Eure Pläne informiert?
Ja, die Spieler wissen Bescheid und auch unser Trainer hat sich ja verständnisvoll über die Proteste geäußert. Auch wenn – wie gestern am späten Nachmittag geschehen – die Zeitung mit den vier großen Buchstaben in Person von Schmierfink C. H. versucht, mit Bruchstücken der Aussagen unseres Trainers einen Keil in die Fanschar zu treiben. Uns geht es ja auch nicht darum, den Jungs die Unterstützung zu versagen. Sondern darum, dafür zu sorgen, dass sich der Fußball nicht weiter in eine Richtung entwickelt, in der wir unsere Mannschaft irgendwann überhaupt nicht mehr anfeuern können – oder wollen.

Mal ehrlich: Ist es den Verbänden nicht völlig egal, was ihr auf den Rängen macht, solange alle Fans ins Stadion gehen und brav zahlen?
Grundsätzlich ist den Funktionären die Meinung der Fans wohl leider tatsächlich egal. Aber sobald ihr Produkt, das sie möglichst sauber und glanzvoll vermarkten wollen, gestört wird, trifft man sie eben doch irgendwo. Natürlich ist es für sie aber alles andere als cool, wenn ein ansonsten lautes Stadion auf einmal totenstill ist oder man das Spielgeschehen lautstark stört. Das haben ja auch die Reaktionen auf 12:12 oder einige Proteste gegen Montagsspiele zuletzt gezeigt. Ich glaube, dass die Herren Funktionäre vor einer Wiederholung schon Respekt haben. Das beweisen ja die zuletzt geleakten Mails zwischen Grindel und Koch.

Wir merken das bei uns in der Redaktion selbst: Seid Ihr nicht auch manchmal desillusioniert im Kosmos des ganzen Verbands-Wahnsinns und Fußball-Geschäfts?
Doch, klar. Wir sollten uns alle nichts vormachen: Wir Fans stehen mit dem Rücken zur Wand. Alle maßgeblichen Entscheidungen rund um den Fußball der letzten 10 bis 15 Jahre wurden zum Nachteil der Fans in den Stadien getroffen. Solange das Ding aber nicht komplett vor die Wand gefahren ist, sollten wir nicht aufgeben, sondern nochmal alles in die Waagschale werfen, was wir Fans haben. Und dazu gehören mittlerweile eben auch drastischere Maßnahmen wie an diesem fünften Bundesliga-Spieltag.

Am Wochenende habt ihr bereits gegen die EM-Bewerbung demonstriert. Warum mischt ihr Euch in dieses Thema ein? Große Turniere sind Euch in der Regel doch egal …
Die EM-Bewerbung passt einfach ins Gesamtbild, das die Verbände abgeben. Die ganze Korruptionsaffäre rund um die WM 2006 wurde nur sporadisch aufgearbeitet. Hauptsache es geht weiter und das nächste Hochglanzprodukt kann 2024 die Spirale in noch weitere Höhen drehen. Dass die Anliegen der Fans auch in diesem Fall das allerletzte sind, woran ,,die da oben‘‘ denken, zeigen die besagten E-Mails. Da wird ein Länderspiel, was eigentlich fix in Frankfurt stattfinden sollte, mal eben nach Sinsheim verlegt, weil man bloß keine Fanproteste haben will. Darüber hinaus fällt es mir nicht schwer zu glauben, dass die EM für die Fans in den Stadien eher Nachteile mit sich bringen wird – ebenso wie es 2006 war.

Uns ist klar, dass einige Leute nicht unbedingt für solche Proteste sind, die zulasten der eigenen Mannschaft gehen. Wichtig ist aber vor allem, dass wir hier eine Aktion haben werden, an der dutzende Fanszenen aus dem ganzen Land teilnehmen und Standpunkte vertreten werden, hinter denen so gut wie alle Fans in den Stadien stehen.

Findet Ihr es nicht auch ein bisschen irrwitzig, dass auch Borussia die Bewerbung offensiv unterstützt?
So ist es! Man hätte meinen können, dass Borussia sich aus diesem Zirkus raushält, nachdem der DFB die eigene Bewerbung hat links liegen lassen und man darüber im Verein und bei der Stadt so verschnupft war. Aber es überrascht mich weniger, dass der Verein trotzdem mitmacht. Letztendlich ist Borussia auch ein Zahnrad in dem ganzen Spiel, das immer weiter laufen muss. Wenn die Maschine einmal auf Temperatur ist, ist sie kaum aufzuhalten.

Abschließend noch kurz zum Spiel: Was wünschst du dir von den Borussia-Fans vor und nach dem Protest?
Ein Wort: Geschlossenheit. Uns ist klar, dass einige Leute nicht unbedingt für solche Proteste sind, die zulasten der eigenen Mannschaft gehen. Die Diskussionen nach dem letzten Leipzig-Spiel hat ja niemand vergessen, weshalb uns auch wichtig war, dieses Mal eben nicht zu schweigen. Wichtig ist aber vor allem, dass wir hier eine Aktion haben werden, an der dutzende Fanszenen aus dem ganzen Land teilnehmen und Standpunkte vertreten werden, hinter denen so gut wie alle Fans in den Stadien stehen. Und klar kann man auch dann darüber diskutieren, wie genau so ein Protest aussehen soll und dass es in dieser Frage unterschiedliche Meinungen gibt. Dass bei einer gemeinsamen Aktion mit so vielen verschiedenen Fanszenen Kompromisse gemacht werden müssen, ist ebenso klar. Wir denken, dass wir aus der Kombination, eine deutschlandweite Aktion mitzutragen, dabei jedoch nicht zu schweigen und auch nicht das ganze Spiel über zu protestieren, einen guten Kompromiss gefunden haben. Deshalb hoffen wir, dass eventuell unterschiedliche Meinungen heute beiseitegelassen werden zugunsten eines geschlossenen Zeichens von uns Fans. Und noch etwas ist mir zum Abschluss wichtig …

Ja bitte?
Ich persönlich würde mir wünschen, dass die Leute, die gerne über die Art und Weise des Protestes diskutieren wollen oder aber Vorschläge für die Zukunft haben, das Gespräch mit uns Vorsängern oder den bekannten Ansprechpartnern beim FPMG-Supporters Club und Sottocultura heute vor dem Spiel suchen würden. Ich bin beispielsweise bis 30 Minuten vor dem Spiel am Shop von Sottocultura hinter Block 18 auffindbar. Bitte nutzt die Chance und diskutiert persönlich mit uns. Es hilft niemandem weiter, sich bei Facebook in Rage zu schreiben!

Foto zu diesem Beitrag: Nordkurvenfotos