“Wir wollen an Borussias Werte erinnern”

Seb, Eure Gruppe Sottocultura hat für kommenden Sonntag den “Tag der Tradition” ausgerufen. Warum?

Wir haben die Spieltage gegen Hoffenheim vor der Saison unter das Motto „Tradition und Leidenschaft“ gestellt. Attribute, die gerade dieser Gegner nicht vorweisen kann. Die Leidenschaft sollte im Hinspiel durch ein Chaos-Intro symbolisiert werden und nun im Rückspiel soll die Tradition im Fokus stehen.

Der Tag findet in Eicken statt, der Geburtsstätte unserer Borussia. Es soll eine Kundgebung und eine Fahrradtour geben. Erklär doch bitte kurz wie der Tag ablaufen soll. 

Wir treffen uns gegen 10 Uhr in Eicken und wollen uns dort in den umliegenden Kneipen am Aretzplätzke auf den Spieltag einstimmen. Gegen 11.30 wird es eine kleine Kundgebung verschiedener Redner (Sebastian Nellis – Sottocultura, Sven Körber – FPMG Supporters Club, Thomas Ludwig – FPMG Supporters Club, Thomas „Tower“ Weinmann – Borussia und Jürgen Kämper aus dem Aufsichtsrat Borussias) zum Thema Tradition rund um unsere Borussia, aber auch mahnend in Richtung Retortenvereine geben. Nach der Kundgebung fahren wir dann gemeinsam eine abgesprochene Route am Bökelberg vorbei in Richtung Nordpark. Natürlich freuen wir uns über jeden Mitfahrer!

Und was wollt ihr mit dem Tag genau erreichen? 

Gerade in diesem heutzutage schnelllebigen Bundesliga-Zirkus sollte man auch einmal innehalten und sich der Geschichte seines Vereins bewusstwerden. Wir wollen die Werte, die Borussia ausmachen, in den Vordergrund stellen – und den einen oder anderen auch wieder daran erinnern. In unseren Augen darf es nie passieren, dass diese Werte irgendwann vergessen werden. Wir wollen aber auch den mahnenden Zeigefinger erheben und die Entwicklungen im Fußball kritisch hinterfragen.

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In der Debatte um diese Entwicklungen spielt der Begriff „Tradition“ eine zentrale Rolle. Einfach gefragt: Was ist für Dich Tradition? 

Tradition sind für mich die vielen Geschichten und Erlebnisse rund um unseren geliebten Verein. Werte und Erfahrungen, die über Generationen weitergeben und damit meist in die Wiege gelegt werden. Tradition steht für mich aber auch für die Erfolge und Misserfolge über Jahrzehnte. Denn sie haben die Entwicklung eines Vereins aber auch einer Fanszene maßgeblich geprägt.

Du hast es bereits angesprochen: Mit der TSG Hoffenheim trifft Borussia am Sonntag auf einen der Retorten-Klubs. Es werden gefühlt immer mehr solcher Vereine. Hat Tradition heute in der Bundesliga einen immer geringeren Stellenwert?

Das kann man schon so sagen. Die Bundesliga ist in den vergangenen Jahren zu einem Kunst-Produkt geworden, bei dem die Tradition immer mehr in den Hintergrund rückt. Übrigens spielen auch die Interessen der Fans darin eine immer kleinere Rolle. Ein Beispiel ist doch die neue Spieltagszerstückelung: Mit den Montagsspielen werden die Interessen der Fans mit Füßen getreten. Wohin dieser Weg aber irgendwann führt, zeigt das mahnende Beispiel Fußball-Nationalmannschaft. Hier ist die Fankultur mittlerweile so gut wie tot.

Anfang 2015 hat Wolfsburgs Aufsichtsrats-Vize Stephan Grühsem behauptet, sein Verein hätte mehr Tradition als der 1. FC Köln. Immerhin sei Wolfsburg 1945 und der „Effzeh“ 1948 gegründet worden. Dennoch würden wir Köln wohl eher als Traditionsverein bezeichnen, oder? 

Ich breche ja ungerne eine Lanze für den Erzfeind – aber über solche Aussagen von Herrn Grühsem kann ich nur lachen. Wer meint, Tradition ausschließlich an einer Jahreszahl ablesen zu können, hat nichts verstanden.

Dennoch: Verschwimmen die Grenzen zwischen Traditions- und Retorten-Klubs immer mehr?

Keinesfalls. Produkte wie Hoffenheim oder auch Leipzig werden niemals in einer Reihe mit Vereinen wie unserer Borussia stehen. Was man allerdings feststellen muss, ist, dass der Protest gegen derartige Auswüchse – mit Ausnahme des neuesten Falls Leipzig – abgenommen hat. Sei es, weil die Leute in der Hinsicht resigniert haben oder die Kröte halt mittlerweile schlucken. Mit dem Traditionstag wollen wir dieser Entwicklung aber entgegenwirken.

Retortenklubs stehen eher für den “modernen Fußball”. Aber auch vor einem Traditionsklub wie Borussia macht der “moderne” Fußball keinen Halt. Du hast die Spieltagsaufsplittung ja selber schon erwähnt. 

Wir sind nicht naiv: Es ist ein sehr schmaler Grat auf der einen Seite konkurrenzfähig zu bleiben und auf der anderen Seite seine Werte nicht zu verlieren. Will man im Profifußball bestehen, heißt das für uns Fans heute, dass wir Widersprüche zwischen unseren Idealen und der Realität aushalten müssen. Das heißt in unseren Augen aber nicht, dass man seine Ideale aufgeben muss. Im Gegenteil, müssen sie gerade deswegen stark betont werden – wie z.B. am Sonntag.

Mit RB Leipzig steht nun der nächste Retorten-Klub vor dem Aufstieg. Wie siehst Du den Duellen im nächsten Jahr entgegen? 

Als Fußball-Fan kann ich dieses Produkt und seine Kunden niemals akzeptieren. Wie wir als Gruppe Sottocultura mit den anstehenden Begegnungen umgehen werden, werden wir sehen, wenn es so weit kommt.

Seb, abschließend eine Frage zur aktuellen sportlichen Situation. Nach den Pleiten gegen Ingolstadt und Hannover macht sich zum ersten Mal seit längerem Unruhe und Unzufriedenheit bei Teilen der Fanszene breit. Wie nimmst Du die Situation wahr? 

Natürlich waren die Niederlagen, vor allem in Hannover, total beschissen und ärgerlich. Letztendlich stehen wir aber nach wie vor auf einem mehr als zufriedenstellenden Tabellenplatz und haben beste Chancen nächstes Jahr wieder international zu spielen – trotz katastrophalem Start. In Anbetracht dessen würde ich mal sagen, dass wir Fans uns bis zum Saisonende darauf konzentrieren sollten, die Mannschaft auf den Rängen nach Europa zu schreien und uns die sportlichen Debatten für die Pause aufheben sollten.

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Fotos zu diesem Beitrag: Sebastian Nellis, Blog 1900, Mitgedacht

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