Zum Bundesliga-Start: Viel Spaß da drüben!

An diesem Wochenende startet die Fußball-Bundesliga in ihre 58. Saison – für uns mit einem ganz komischen Gefühl: Nie haben wir uns emotional weiter vom Fußball entfernt als momentan. Das macht uns traurig und ernüchtert zugleich. Irgendwie haben wir aber Hoffnung auf Besserung…

Denken wir uns alle Umstände der letzten Wochen und Monate für einen kurzen Moment weg und schauen nur auf die nackten Fakten: Erster Bundesliga-Spieltag, Auswärtsspiel, der Gegner ist niemand geringeres als Vizemeister Borussia Dortmund. Unsere Borussia hat im Sommer keine Abgänge hinnehmen müssen, das Management hat die überschaubaren Abgänge (Strobl, Johnson, Raffael) sinnvoll aufgefangen (Lazaro, Wolf). Dazu spielt unser Team in der Champions League, endlich können wir Fans uns wieder in den Stadien und Kneipen der Königsklasse präsentieren. Was für eine Ausgangslage – alle Zeichen stehen voll auf Angriff. Oder?

Der Fußball im Sommer 2020 hat wenig mit dem Sport zu tun, der uns über Jahrzehnte gefesselt hat. Und ausnahmsweise wollen wir mal nicht die alte Platte von denkwürdigen Alt-Stadien oder so wichtigen Traditionsvereinen auflegen. Es geht uns um die emotionale Distanz. Nie haben wir uns vor einem Bundesliga-Start so weit weg gefühlt vom Geschehen auf dem Platz. Nie war es uns fast gleichgültig, dass unser geliebter Verein an diesem Samstag ins aktive Geschehen einer neuen Spielzeit eingreift. 

„Emotionale und stimmungsvolle Momente!“

Das liegt in erster Linie natürlich an der Corona-Krise und ihren immensen Auswirkungen auf den Fußball. Wenn Borussia morgen in Dortmund aufläuft, werden nur etwa 10.000 Fans im Stadion sein dürfen – lediglich Schwarz-Gelbe, auf Abstand, mit personalisierten Tickets, ohne direkten Kontakt zueinander und nicht koordiniert. Kurzum: Auf eine Art und Weise, die mit dem von uns eben so geliebten Stadionbesuch nicht nur wenig, sondern wirklich gar nichts zu tun hat. 

Natürlich könnte man jetzt in eine ausgiebige Diskussion eintreten. Die Argumente wurden in den letzten Tagen ja bereits zur Genüge vorgebracht: Die Vereine brauchen aber doch das Geld, besser nur wenige als keine Fans im Stadion, die Anhänger müssen Gesicht zeigen. Uns ermüden diese fadenscheinigen Augenwischereien. Machen wir uns doch alle nichts vor: Die Situation ist und bleibt – gelinde gesagt – beschissen. 300 Auserwählte durften zum Pokalspiel gegen Oberneuland – der FPMG Supporters Club sprach im Anschluss von „emotionalen und stimmungsvollen Momenten“.

Der Stadionbesuch lebt von Interaktion

Wir können diese Worte ehrlich gesagt nur bedingt verstehen. Unserem Verständnis nach existieren solche “emotionalen und stimmungsvollen” Momente nur in einem vollgepackten Stadion, in elektrisierender Atmosphäre und in Stunden größter Siege oder schmerzhaftester Niederlagen. Volle Stadien wird es aber zunächst nicht geben. Natürlich verstehen wir Leute, die auch unter diesen Umständen ins Stadion gehen. Es ist eine persönliche Entscheidung, die jeder Fan für sich treffen muss. Für uns hat es aber eben nichts mit einem gewöhnlichen Stadionbesuch zu tun.

Der Stadionbesuch lebt von der Interaktion. Er lebt von Gemeinschaft und Freundschaft, von Lebendigkeit und Ausrasten, vom Zusammenhalt und dem Kollektiv. Das alles ist aktuell nicht möglich. Dazu ist es nahezu naiv, zu glauben, man könne rund um ein Fußballspiel die gesundheitliche Sicherheit von 10.000 Menschen aus vermutlich weit über 9.000 Haushalten gewährleisten. Vor und nach dem Spiel treffen sich Fans dann eben nicht im Biergarten vor dem Stadion oder im Fanhaus, sondern im Bahnhofs-Umfeld oder in der Innenstadt und trinken dort gemütlich ihr Kiosk- oder Kneipen-Bier. Wer will es ihnen auch verübeln? Schließlich passiert all das sowieso. Denn sobald Fußball läuft, treffen sich Menschen in Kneipen, um die Spiele zu sehen. Und was da schnell passieren kann, erfahren wir gerade täglich aus diversen Städten Deutschlands.

Jetzt werden die Fans als Kunden dringend gebraucht

Und da sind wir schon beim nächsten Punkt. Dem viel Entscheidenderen und Wichtigeren. In den vergangenen Wochen hat sich das kranke System des Fußballs selbst entlarvt und enttarnt. Versuchten die Vereine zu Beginn der Corona-Krise noch den Eindruck zu vermitteln, dass sie ihre moralischen Lehren aus der Pandemie ziehen würden, ist davon heute nichts mehr zu spüren.

Längst werden Spieler wieder für 80 Millionen Euro transferiert, werden über die Medien achtstellige Summen als Spielergehälter diskutiert undvdie Nationalmannschaft jettet für 45 Minuten Flugzeit durchs eigene Land. Natürlich hat die UEFA im Sommer noch schnell ihre Klub-Wettbewerbe in Rekordzeit durchgepeitscht. Die Sponsoren danken. Von Nachhaltigkeit oder gar einem Lerneffekt? Keine Spur! 

Es geht uns weiterhin nicht ins Hirn, dass Schulen geschlossen blieben oder auch aktuell noch ganze Klassen oder Kindergarten-Gruppen aufgrund positiver Corona-Fälle Zuhause bleiben müssen – der Fußball sein Ding aber gnadenlos durchzieht. Hauptsache der Rubel rollt. Hauptsache die Kasse klingelt. In den letzten Jahren wurde nur in wenigen Wirtschaftszweigen so viel Geld verdient wie im Fußball. Dass trotzdem zahlreiche Vereine so schnell in derartige finanzielle Schieflagen geraten und vor dem Ruin stehen, zeigt wie kaputt das System längst ist. Da werden die Fans natürlich dringend gebraucht – als Kunden, um die leergefegten Kriegskassen wieder sukzessive aufzufüllen. Die Mannschaft muss ja bald wieder verstärkt werden. Was für eine Katastrophe!

Ohne Stadionbesuch verliert der Profifußball die letzte Authentizität

Zum Glück – und das macht uns etwas Mut – scheinen wir bei weitem nicht die einzigen Fans zu sein, die mit dem ganzen Zirkus nicht mehr so viel anfangen können. Bis zur Erstellung dieses Textes – am Freitagmittag – hatte nur ein Bruchteil der Borussia-DauerkarteninhaberInnen ein Ticket für das Spiel gegen Union gekauft. 

Skeptiker werden jetzt anmerken, dass die ganzen Entwicklungen im Fußball doch nichts neues sind und unser Sport schon seit Jahren zur Wirtschaft geworden ist. Stimmt! Allerdings haben wir das auch deswegen akzeptiert und toleriert, weil uns ja noch der Stadionbesuch blieb. Eine Art Zufluchts- und Sehnsuchtsort, in dem diese ganzen wirtschaftlichen Dinge mal keine Rolle spielten. In dem man für 90 Minuten mit seinen Freunden und Zehntausenden anderen BorussInnen zusammen für eine Sache gestanden hat: die Raute! In dem man sich austauschen konnte, streiten konnte, jubeln und weinen konnte. 

Die Corona-Krise agiert in dieser Hinsicht für uns wie ein Brennglas: Wir haben keinen Bock mehr auf dieses System – ohne diese zentralen Punkte wie Gemeinschaft und Zusammenhalt, ohne die Fangemeinschaft, ohne volle Stadien. Lieber verzichten wir mal eine Weile. Vielleicht – und hoffentlich – ist die Sehnsucht und Vorfreude ja dann später umso größer. Die Hoffnung stirbt da für uns zuletzt…

Bis dahin bleiben wir dem rein sportlichen Geschehen fern – auch hier auf dem Blog. Natürlich wir’s trotzdem Texte geben – dann eben zu anderen Themen. Wir freuen uns über alle, die uns weiterhin folgen und lesen.

Schwarz-weiß-grüne Grüße aus dem Stadion-Exil, Eure MitGedacht.-Jungs. 

Foto zu diesem Beitrag: Christof Koepsel / Getty Images

5 Gedanken zu „Zum Bundesliga-Start: Viel Spaß da drüben!

  • 18. September 2020 um 21:45
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    Dat doofe Corona klaut mir meine Liebe nich!

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  • 19. September 2020 um 7:17
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    “Bis dahin bleiben wir dem rein sportlichen Geschehen fern”
    Etwas ketzerisch könnte man sagen:
    Hinter Doppelhaltern mit Botschaften an Kevin § Co. und eingehüllt im Pyro-Nebel ist man dem “rein sportlichen” Geschehen ohnehin nicht wirklich nah, oder?

    Antwort
    • 19. September 2020 um 8:57
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      Den Unterschied zwischen Ultras und Normalos immer noch nicht verstanden? Beste Grüße, die vier MitGedacht.’ler

      Antwort
  • 19. September 2020 um 11:46
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    “Nie war es uns fast gleichgültig, dass unser geliebter Verein an diesem Samstag ins aktive Geschehen einer neuen Spielzeit eingreift.”

    Was will man auch von “Fans” erwarten, die Eigeninteresse ständig über Vereinsinteresse stellen.

    Ich jedenfalls freue mich sehr auf den Saisonstart heute und jeder Nicht-Covidiot weiss, dass besondere Zeiten besondere Massnahmen erfordern.

    Antwort
  • 21. September 2020 um 16:40
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    Ich verstehe was ihr damit meint und natürlich ist es nicht das gleiche und es wird alles fehlen was einen normalen Stadionbesuch ausmacht aber es geht hauptsächlich erstmal um die Unterstützung unserer Borussia und da sind 10.000 Fans eben deutlich besser als gar keiner.
    Ich werde gegen Union da sein und mir wird auch einiges fehlen aber ich freue mich drauf meine Mannschaft endlich wieder unterstützen zu können so weit es mir möglich ist.
    Mir persönlich liegt da das Wohl und der Erfolg des Vereins mehr am Herzen und nicht dass für mich einiges fehlen wird.
    Ich kann jeden verstehen der aktuell nicht hingehen mag aber diejenigen sollten dann auch jeden verstehen der hingeht weil er unsere Borussia unterstützen will.

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