Corona-Serie – Teil 4: Meine Liebe und Leidenschaft

Der vierte und letzte Teil der Corona-Serie “Meine Liebe und Leidenschaft” führt uns weit hinein in unsere Herzen und tiefsten Sehnsüchte. Unser Autor blickt auf die ganz eigene Wiederentdeckung seiner emotionalen Nähe zum Fußballsport – und im Speziellen zu unserer Borussia. Eine Liebeserklärung der anderen, etwas besonderen Art.

Mein kleines Töchterchen hatte ich am Ostersamstag artig in der Truhe des Lastenrads verstaut, ein bisschen Proviant für unterwegs noch eingepackt und ab ging die Kilometerjagd entlang der Wälder südlich von Frankfurt. Eigentlich sollte ich zu diesem Zeitpunkt mit dem Shuttle-Bus in Richtung Hennes-Weisweiler-Allee wackeln, stattdessen raste ich jetzt mit schlanken 20 Sachen über die Waldroute. Statt der einen oder anderen Bierdusche wich ich nun den todesmutigen Eichhörnchen am Wegesrand aus. Unser Leben schreibt gerade eben seine ganz eigenen Geschichten – und stellt altbekannte Rituale auf die Probe.

Sorgenvoller Blick in die Zukunft

Nur um das vorweg mal klarzustellen: Mir geht es gesundheitlich gut, die Kohle wird trotz Kurzarbeit für Kind und Kegel noch ein bisschen reichen und auch nach der Krise sollte ich weiterhin einen Arbeitsplatz haben. Dennoch umtreiben mich Sorgen, was mit uns passiert, was aus uns wird und wie sich generell unser Leben – auch abseits vom heiligen Rasen – verändert.

Wenn ich darüber nachdenke, blicke ich in die Augen des Radhändlers meines Vertrauens. Ich sehe die Angst, ob er es finanziell überhaupt noch in den Mai schafft oder schon vorher die Schotten dichtmachen muss. Ich beobachte meine Nachbarin, eine Betreuerin in einem Heim für psychisch kranke Kinder, die als alleinerziehende Mutter im Schichtdienst tätig ist und nicht weiß, wie sie nachts ihre Kinder betreuen soll – von der Sorge um ihre Klienten mal ganz abgesehen. Ich höre Geschichten von einer Freundin, die in der Drogenhilfe im Bahnhofsviertel arbeitet und sagt, sie habe schon Vieles erlebt, doch die jetzige Situation würde alles Vorstellbare übertreffen.

Kurzum: Ich kann mich von alledem, was um mich herum passiert, nicht freimachen und emotional geht die Zeit nicht ganz spurlos an mir vorbei – doch bisher hatte ich für solch schwere Phasen, immer die „Eine“ an meiner Seite.  

Vom Lebenselixier zum Liebesentzug in Rekordzeit

Es mag für viele Leserinnen und Leser etwas vermessen klingen, nach solch harten, eindrücklichen und schicksalhaften Sequenzen zum Fußball zu schwenken. Doch ich meine es, wie ich es schreibe: Gerade in solch schwierigen Situationen war in den vergangenen drei Jahrzehnten „die Eine“, also meine Borussia, immer für mich da. Uneingeschränkt. Ohne zu murren und Widerworte. Sie hielt meine Hand, wenn ich traurig war und schubste mich auf die Tanzfläche des Glücks, wenn ich vor selbigem fast zu platzen drohte. Egal, was war, sie war mein Anker im Leben und mein Ventil, wenn ich einen Ausbruch aus dem Alltäglichen brauchte.

Die Opas starben, die Eltern trennten sich, manche Frauen liefen von allein weg, andere waren per se unerträglich, Arbeitsaufträge und Abgabetermine raubten mir den Schlaf – doch am langen Ende (!) konnte ich mich immer an den Gedanken klemmen, dass ich am kommenden Samstag für ein paar Stunden einfach aus allem aussteigen und das sein darf, was ich am besten kann: einfach Ich sein. Einfach da sein. Einfach den Moment aufsaugen und genießen. Gemeinsam mit meinen Jungs. Mit meiner Borussia!

Doch jetzt, in der aktuellen Zeit und der Corona-Krise, spüre ich eine Ohnmacht. Ein Nichts. Eine Leere. Ich habe erstmals das Gefühl, dass Borussia für mich nichts tun kann. Dass ich ziemlich allein dastehe. Dass vielmehr ich diesmal ihre Hand halten sollte.

Konsum überlagert alles

Doch so einfach ist das nun auch wieder nicht, denn der Fußball, den wir alle verehren, dem wir nachhecheln und für den auch Borussia mittlerweile steht, dieser Fußball hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. So sehr könnten wir auch gar nicht die Augen davor verschließen, um zu leugnen, dass auch wir als Fans einen wesentlichen Anteil daran haben. Denn wir konsumieren den Sport wann immer es geht, wo immer es geht.

In dieser Art und Weise des Massenkonsums hat sich auch der eigentliche Stadionbesuch – der die Essenz meiner Liebe und Leidenschaft war und ist – verändert. Während wir in den 2000er-Jahren die Playlist des Vorprogramms ab einer Stunde vor Spielbeginn runterbeten konnten, sind wir froh, wenn wir es heute noch rechtzeitig zum Spielbeginn schaffen. Wir regen uns über die teuren Preise für Stadionwurst und das Bier auf, um im gleichen Atemzug fässerweise die Imbissstände leerzutrinken. Und selbst, wenn wir immer wieder beteuern, es nicht zu tun, am Ende schauen wir dennoch auf dem Fernseher das Top-Spiel und lassen auf dem Handy das Parallelspiel laufen. Das alles hat ein Ausmaß angenommen, dem wir nicht mehr Herr werden können – und das unsere Liebe oftmals ganz schön auf die Probe stellte.

Demut und Stolz werden bleiben

Die nun spiel- und stadionfreie Zeit, sollten wir daher auch als Chance begreifen. Als Möglichkeit, unsere Sehnsucht zum Sport und zu unserer Borussia wieder zu schärfen und uns auf das Wesentliche zu besinnen: auf den Fußball in all seiner Schönheit. Weg von TV-Geldern, gesponserten Stadionnamen und Hintergrund-Reportagen in vereinseigenen TV-Sendern. Hin zu all den Freundschaften, die wir mit diesem Verein verbinden. Zum gemeinsamen Erleben der ganz besonderen Momente. Hin zur Freiheit, die wir hatten, überhaupt ein Spiel live im Stadion sehen zu dürfen. Hin zum kratzigen Hals und zur heiseren Stimme, die Ausdruck purer Leidenschaft waren. Hin zu unseren innersten Sehnsüchten.

Ich für meinen Teil bin mir sicher, dass ich nach all dem Leid, den Sorgen, aber auch den herzzerreißenden Geschichten, die diese Zeit schreibt, anders in die Stadien zurückkehren werde. Nachdenklicher, zurückgenommener, aber auch mit Stolz auf den Verein und seine Fans. Denn wahre Größe zeigt sich in den schwierigen Momenten – und das haben Borussia und seine Anhänger in den letzten Tagen und Wochen gezeigt. Machen wir es ihnen gleich und besinnen uns auf das Wesentliche.  

Bis es soweit ist und mich der Borussia-Park wieder begrüßen darf, drücke ich für meine Nachbarin, Freundin, Fahrradhändler und alle anderen fest die Daumen, dass sie diese Scheiß-Zeit überstehen. Und erzähle in den vielen, weiteren Stunden auf dem Fahrrad meiner Tochter von meiner Liebe und Leidenschaft – und hoffe, dass ihre Mutter nicht zuhört …

Foto zu diesem Beitrag: Ina Fassbinder / AFP / Getty Image

3 Gedanken zu „Corona-Serie – Teil 4: Meine Liebe und Leidenschaft

  • 16. April 2020 um 10:25
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    Deine Einschätzung ist einfach großartig.
    Genau so empfinde ich es auch . Auch ich werde nachdenklicher und auch zurückgenommener wiederkommen .
    Danke für Deine Zeilen 💚.
    Du sprichst mir tief aus meinem Herzen 💚

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  • 23. Juli 2020 um 9:52
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    Ein grandioser Text, der genau das beschreibt was ich in den letzten Wochen und Monaten ebenso empfinde. Schön das es anderen auch so geht.

    Vielen Dank.

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